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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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über, Erzherzog Albrecht, "der Sieger von Custozza", gilt für den Repräsen-
tanten einer Preußen abgeneigten Richtung und es ist nicht unwahrscheinlich,
daß in den Stunden der Entscheidung gekränkter Stolz dort wieder den Sieg
über eine ruhige Würdigung der Staatsinteressen davontragen wird. Trotz dem
Verlust Venetiens hat Oestreich keines seiner hundert Regimenter aufgegeben,
sog.,r die Formation von zwanzig neuen Jägerbataillonen begonnen, und seine
Banknotenpresse ist unermüdlich thätig, die Ausrüstung des Heeres zu decken.
Dieser Weg, die Heeresbcdürfnisse zu beschaffen, wird allerdings bei jeder großen
Erschütterung des Geldmarkts verlegt, und es sieht nicht so aus, als wenn die
neue Weihe des Kaisers durch die Krone des heiligen Stephan neue Silber¬
adern in den blutarmen Körper des Staates leiten sollte. Für Oestreich ist es
jetzt doppelt schwer geworden einen Krieg zu führen, denn man hat ihn von
der Einwilligung der Magyaren abhängig gemacht, und bei aller Hochachtung
Vor der politischen Energie der Ungarn darf man doch sagen, daß ihre Politik
in einem solchen Falle ganz unberechenbar, zuverlässig aber großen Leistungen
abgeneigt sein wird.

Schwerer wird uns, die Politik Kaiser Napoleons zu verstehen. Auch in
seiner Art liegt es, auf alte Pläne mit Hartnäckigkeit zurückzukommen und
gewissen Lieblingsideen eine Gewalt über sich einzuräumen, welche ihm wohl
einmal die Stellung im eignen Lande erschwert. Aber es ist für ihn und
seine Dynastie ein Krieg mit dem Bundesstaat Deutschland ein Kampf auf
Leben und Tod, das weiß er so gut als seine Gegner in Frankreich, welche
jetzt für den Krieg lärmen. Und doch ist klar, daß die gegenwärtigen Rüstungen
Frankreichs sehr ernst gemeint sind. Der Kaiser muß also in der Stille daran
zweifeln, ob ihm möglich sein wird, den Frieden zu bewahren. Wir aber
fragen, was kann ihn, den vorsichtigen Spieler, zu einem so hohen Einsatz
bestimmen, der immerhin alles, was er durch neunzehn Jahre errungen, in Frage
stellt? Ist es nur die gekränkte Empfindung darüber, daß ihm ein im legten
Jahre gehoffler Eiwerb durch die Finger gleitet? oder ist es die stille Ueber¬
zeugung, daß er nach einer langen Negierung, welche unstreitig viel für Frank¬
reich gethan und vieles in den Franzosen geändert hat. doch noch eines Ent-
schcidungskampss bedarf, um sich entweder aufs neue festzusetzen, oder hinaus¬
geschleudert zu werden? Was uns auch zuverlässige Berichte sagen mögen
über die UnPopularität, welche dem kaiserlichen System gegenwärtig in Frank¬
reich geworden ist, und daß die Franzosen sich grade jetzt gelangweilt fühlen,
es wird uns sehr schwer ihnen zu glauben.

Der Kaiser hat viel gethan, die Franzosen zu einem industriellen Volke zu
machen, alle realen Interessen des Landes fordern friedliches Gedeihen, es ist
unmöglich, daß der Kaiser die Kraft der lärmenden Opposition sehr hoch an-
schlägf, so lan^e diese von pariser Journalisten und einer Anzahl Einzelner


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über, Erzherzog Albrecht, „der Sieger von Custozza", gilt für den Repräsen-
tanten einer Preußen abgeneigten Richtung und es ist nicht unwahrscheinlich,
daß in den Stunden der Entscheidung gekränkter Stolz dort wieder den Sieg
über eine ruhige Würdigung der Staatsinteressen davontragen wird. Trotz dem
Verlust Venetiens hat Oestreich keines seiner hundert Regimenter aufgegeben,
sog.,r die Formation von zwanzig neuen Jägerbataillonen begonnen, und seine
Banknotenpresse ist unermüdlich thätig, die Ausrüstung des Heeres zu decken.
Dieser Weg, die Heeresbcdürfnisse zu beschaffen, wird allerdings bei jeder großen
Erschütterung des Geldmarkts verlegt, und es sieht nicht so aus, als wenn die
neue Weihe des Kaisers durch die Krone des heiligen Stephan neue Silber¬
adern in den blutarmen Körper des Staates leiten sollte. Für Oestreich ist es
jetzt doppelt schwer geworden einen Krieg zu führen, denn man hat ihn von
der Einwilligung der Magyaren abhängig gemacht, und bei aller Hochachtung
Vor der politischen Energie der Ungarn darf man doch sagen, daß ihre Politik
in einem solchen Falle ganz unberechenbar, zuverlässig aber großen Leistungen
abgeneigt sein wird.

Schwerer wird uns, die Politik Kaiser Napoleons zu verstehen. Auch in
seiner Art liegt es, auf alte Pläne mit Hartnäckigkeit zurückzukommen und
gewissen Lieblingsideen eine Gewalt über sich einzuräumen, welche ihm wohl
einmal die Stellung im eignen Lande erschwert. Aber es ist für ihn und
seine Dynastie ein Krieg mit dem Bundesstaat Deutschland ein Kampf auf
Leben und Tod, das weiß er so gut als seine Gegner in Frankreich, welche
jetzt für den Krieg lärmen. Und doch ist klar, daß die gegenwärtigen Rüstungen
Frankreichs sehr ernst gemeint sind. Der Kaiser muß also in der Stille daran
zweifeln, ob ihm möglich sein wird, den Frieden zu bewahren. Wir aber
fragen, was kann ihn, den vorsichtigen Spieler, zu einem so hohen Einsatz
bestimmen, der immerhin alles, was er durch neunzehn Jahre errungen, in Frage
stellt? Ist es nur die gekränkte Empfindung darüber, daß ihm ein im legten
Jahre gehoffler Eiwerb durch die Finger gleitet? oder ist es die stille Ueber¬
zeugung, daß er nach einer langen Negierung, welche unstreitig viel für Frank¬
reich gethan und vieles in den Franzosen geändert hat. doch noch eines Ent-
schcidungskampss bedarf, um sich entweder aufs neue festzusetzen, oder hinaus¬
geschleudert zu werden? Was uns auch zuverlässige Berichte sagen mögen
über die UnPopularität, welche dem kaiserlichen System gegenwärtig in Frank¬
reich geworden ist, und daß die Franzosen sich grade jetzt gelangweilt fühlen,
es wird uns sehr schwer ihnen zu glauben.

Der Kaiser hat viel gethan, die Franzosen zu einem industriellen Volke zu
machen, alle realen Interessen des Landes fordern friedliches Gedeihen, es ist
unmöglich, daß der Kaiser die Kraft der lärmenden Opposition sehr hoch an-
schlägf, so lan^e diese von pariser Journalisten und einer Anzahl Einzelner


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[0247] über, Erzherzog Albrecht, „der Sieger von Custozza", gilt für den Repräsen- tanten einer Preußen abgeneigten Richtung und es ist nicht unwahrscheinlich, daß in den Stunden der Entscheidung gekränkter Stolz dort wieder den Sieg über eine ruhige Würdigung der Staatsinteressen davontragen wird. Trotz dem Verlust Venetiens hat Oestreich keines seiner hundert Regimenter aufgegeben, sog.,r die Formation von zwanzig neuen Jägerbataillonen begonnen, und seine Banknotenpresse ist unermüdlich thätig, die Ausrüstung des Heeres zu decken. Dieser Weg, die Heeresbcdürfnisse zu beschaffen, wird allerdings bei jeder großen Erschütterung des Geldmarkts verlegt, und es sieht nicht so aus, als wenn die neue Weihe des Kaisers durch die Krone des heiligen Stephan neue Silber¬ adern in den blutarmen Körper des Staates leiten sollte. Für Oestreich ist es jetzt doppelt schwer geworden einen Krieg zu führen, denn man hat ihn von der Einwilligung der Magyaren abhängig gemacht, und bei aller Hochachtung Vor der politischen Energie der Ungarn darf man doch sagen, daß ihre Politik in einem solchen Falle ganz unberechenbar, zuverlässig aber großen Leistungen abgeneigt sein wird. Schwerer wird uns, die Politik Kaiser Napoleons zu verstehen. Auch in seiner Art liegt es, auf alte Pläne mit Hartnäckigkeit zurückzukommen und gewissen Lieblingsideen eine Gewalt über sich einzuräumen, welche ihm wohl einmal die Stellung im eignen Lande erschwert. Aber es ist für ihn und seine Dynastie ein Krieg mit dem Bundesstaat Deutschland ein Kampf auf Leben und Tod, das weiß er so gut als seine Gegner in Frankreich, welche jetzt für den Krieg lärmen. Und doch ist klar, daß die gegenwärtigen Rüstungen Frankreichs sehr ernst gemeint sind. Der Kaiser muß also in der Stille daran zweifeln, ob ihm möglich sein wird, den Frieden zu bewahren. Wir aber fragen, was kann ihn, den vorsichtigen Spieler, zu einem so hohen Einsatz bestimmen, der immerhin alles, was er durch neunzehn Jahre errungen, in Frage stellt? Ist es nur die gekränkte Empfindung darüber, daß ihm ein im legten Jahre gehoffler Eiwerb durch die Finger gleitet? oder ist es die stille Ueber¬ zeugung, daß er nach einer langen Negierung, welche unstreitig viel für Frank¬ reich gethan und vieles in den Franzosen geändert hat. doch noch eines Ent- schcidungskampss bedarf, um sich entweder aufs neue festzusetzen, oder hinaus¬ geschleudert zu werden? Was uns auch zuverlässige Berichte sagen mögen über die UnPopularität, welche dem kaiserlichen System gegenwärtig in Frank¬ reich geworden ist, und daß die Franzosen sich grade jetzt gelangweilt fühlen, es wird uns sehr schwer ihnen zu glauben. Der Kaiser hat viel gethan, die Franzosen zu einem industriellen Volke zu machen, alle realen Interessen des Landes fordern friedliches Gedeihen, es ist unmöglich, daß der Kaiser die Kraft der lärmenden Opposition sehr hoch an- schlägf, so lan^e diese von pariser Journalisten und einer Anzahl Einzelner 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/247>, abgerufen am 17.06.2024.