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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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demokratischen gegen die occidental-aristokratische Idee ansieht, wird man um die
Argumente für eine "typische" Auffassung des berczowskischen Attentats nicht
verlegen sein und dasselbe als "letzte Zuckung" des im Polcnthum verkörperten
Occidentalismus u. s. w. trefflich zu verwerthen wissen. Daß der polnische
Meuchelmörder in der Schlachtenreihe der polnischen Patrioten keine andere
Stellung einnimmt, als Karakosow sie aus dem linken Flügel der russischen
Social-Demokratie behauptete, läßt sich bei kühler Betrachtung allerdings
kaum läugnen -- wer aber hat zu dieser Zeit und Neigung, wo die lärmende
Bethätigung eines erhitzten Patriotismus an der Tagesordnung ist! Was das
karakosowsche Attentat nicht fertig gebracht hat, im entgegengesetzten Sinne
wird es der berezowskische Mordversuch sicher erreichen: die Gruppe, welcher
der Mörder angehört, in den Augen der Nation zu compromittiren und zur
Mitschuldigen zu machen. Als schuldiger Theil wird im vorliegenden Fall nicht
blos der polnische Patriotismus gelten -- alles, was man mit diesem in Ver¬
bindung zu bringen gewohnt ist. kommt auf die nationale Proscriptionsliste
und der zufällige Umstand, daß es die Hauptstadt des Westens war, in welcher
das Leben des russischen Monarchen von einem Polen bedroht wurde, trägt nur
dazu bei, das "Typische" des gesammten Vorgangs in ein besonders effektvolles
Licht zu setzen. Sind die Antipathien gegen die Völker des Westens doch seit
Zusammentritt des moskauer Slawencongresses über das gewöhnliche Maß
hinaus gereizt und kann die, -- allerdings unwürdige -- Demonstration im Temple
doch nur dazu beigetragen haben, den Haß gegen das unselige Polen, die stete
Quelle peinlicher Verwickelungen für Rußland zu schärfen.

Ob es bei den Festbanketten, welche den slawischen Gästen zu Ehren in
Petersburg und Moskau gegeben werden, ohne Peinliche Auseinandersetzungen
über das Verhältniß der Polen zu den übrigen Slawenbrüdern abgegangen,
ob man an dem erlassenen Amnestiedecret Veranlassung genommen, von dem
günstigen Einfluß der allgemeinen Stammesverbrüderung auf daS Geschick der
einzelnen Völker zu reden -- zur Zeit wissen wir es noch nicht -- was die
russische Presse bisher von diesen Festlichkeiten berichtet hat, hält sich so allge¬
mein als möglich. Wie es scheint hat man sich mit praktischer Politik möglichst
wenig befaßt und nicht sowohl für eine staatliche Vereinheitlichung der Slawen¬
stämme, als für ein literarisches und wissenschaftliches Zusammengehen Pro¬
paganda gemacht, um vorerst festen Boden für künftige Verhandlungen zu ge¬
winnen. Nur aus der tief eingewurzelten Abneigung gegen das deutsche Ele¬
ment, in welcher Russen und Czechen zu wetteifern scheinen und die man neuer"
dings den galizischen Nuthenen einzuimpfen versucht -- nur aus dieser haben
die Festgenossen kein Hehl gemacht und in dieser Beziehung eine ziemlich un¬
zweideutige Sprache geführt. In den Augen des nationalen und demokratischen
Nussenthums ist das deutsche Element, insoweit es mit Nußland in Berührung


demokratischen gegen die occidental-aristokratische Idee ansieht, wird man um die
Argumente für eine „typische" Auffassung des berczowskischen Attentats nicht
verlegen sein und dasselbe als „letzte Zuckung" des im Polcnthum verkörperten
Occidentalismus u. s. w. trefflich zu verwerthen wissen. Daß der polnische
Meuchelmörder in der Schlachtenreihe der polnischen Patrioten keine andere
Stellung einnimmt, als Karakosow sie aus dem linken Flügel der russischen
Social-Demokratie behauptete, läßt sich bei kühler Betrachtung allerdings
kaum läugnen — wer aber hat zu dieser Zeit und Neigung, wo die lärmende
Bethätigung eines erhitzten Patriotismus an der Tagesordnung ist! Was das
karakosowsche Attentat nicht fertig gebracht hat, im entgegengesetzten Sinne
wird es der berezowskische Mordversuch sicher erreichen: die Gruppe, welcher
der Mörder angehört, in den Augen der Nation zu compromittiren und zur
Mitschuldigen zu machen. Als schuldiger Theil wird im vorliegenden Fall nicht
blos der polnische Patriotismus gelten — alles, was man mit diesem in Ver¬
bindung zu bringen gewohnt ist. kommt auf die nationale Proscriptionsliste
und der zufällige Umstand, daß es die Hauptstadt des Westens war, in welcher
das Leben des russischen Monarchen von einem Polen bedroht wurde, trägt nur
dazu bei, das „Typische" des gesammten Vorgangs in ein besonders effektvolles
Licht zu setzen. Sind die Antipathien gegen die Völker des Westens doch seit
Zusammentritt des moskauer Slawencongresses über das gewöhnliche Maß
hinaus gereizt und kann die, — allerdings unwürdige — Demonstration im Temple
doch nur dazu beigetragen haben, den Haß gegen das unselige Polen, die stete
Quelle peinlicher Verwickelungen für Rußland zu schärfen.

Ob es bei den Festbanketten, welche den slawischen Gästen zu Ehren in
Petersburg und Moskau gegeben werden, ohne Peinliche Auseinandersetzungen
über das Verhältniß der Polen zu den übrigen Slawenbrüdern abgegangen,
ob man an dem erlassenen Amnestiedecret Veranlassung genommen, von dem
günstigen Einfluß der allgemeinen Stammesverbrüderung auf daS Geschick der
einzelnen Völker zu reden — zur Zeit wissen wir es noch nicht — was die
russische Presse bisher von diesen Festlichkeiten berichtet hat, hält sich so allge¬
mein als möglich. Wie es scheint hat man sich mit praktischer Politik möglichst
wenig befaßt und nicht sowohl für eine staatliche Vereinheitlichung der Slawen¬
stämme, als für ein literarisches und wissenschaftliches Zusammengehen Pro¬
paganda gemacht, um vorerst festen Boden für künftige Verhandlungen zu ge¬
winnen. Nur aus der tief eingewurzelten Abneigung gegen das deutsche Ele¬
ment, in welcher Russen und Czechen zu wetteifern scheinen und die man neuer»
dings den galizischen Nuthenen einzuimpfen versucht — nur aus dieser haben
die Festgenossen kein Hehl gemacht und in dieser Beziehung eine ziemlich un¬
zweideutige Sprache geführt. In den Augen des nationalen und demokratischen
Nussenthums ist das deutsche Element, insoweit es mit Nußland in Berührung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/482>, abgerufen am 26.05.2024.