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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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sichten weder eigne noch fremde Rücksichten auf eine anerkannte Dynastie im
Wege. Früher als die andern Neupreußen hätten sich daher die Schleswig-
Hoisteiner in die Lage finden können. Und ein ferner Stehender konnte viel¬
leicht glauben, das sei wirklich geschehen. Kamen doch, abgesehen von den
dänisch gesinnten Theilen im Norden, nicht einmal Demonstrationen in größerem
Maßstabe vor, wie sie in Frankfurt und Hannover an der Tagesordnung
waren, geschweige denn thätliche Widersetzlichkeiten, wovon etwa dieser oder jener
Mann der schwäbischen "Volkspartei" geträumt haben mochte. Aber freilich,
wer auch nur eine oberflächliche Kenntniß der Verhältnisse hatte, der wußte,
daß diese Ruhe durchaus nicht der Ausdruck einer prcußensreundlichcn Gesin¬
nung war. Wie starr vielmehr der Sinn der Schleswig-Holsteiner geblieben,
zeigte das Ergebniß der Reichstagswahlen. Wer das Land kannte, der hatte
freilich auf einen entschiedenen Sieg der Augustenburger, ja auf die Möglichkeit
gerechnet, daß alle deutschen Bezirke particularistisch wählen würden: aber auf
einen so allgemeinen Sieg der Gegner mit solchen Majoritäten war wohl kaum
Einer aus der preußischen Partei gefaßt gewesen. Daß der nördlichste Bezirk
mit großer Mehrheit dänisch wählen würde, hatte >in Ernst niemand bezweifelt;
aber es war niederdrückend, daß das deutsch redende Flensburg den Ausschlag
für einen zweite" Dänen gab. Alle übrigen Gewählten waren particularistischc
Schleswig-Holsteiner und zwar bis auf die Herren Francke, Schleiden und
v. Warnstedt außerhalb Schleswig-Holsteins unbekannte Leute. Einen Theil der
Schuld an diesem Ergebniß trug die Aufstellung ungeeigneter Candidaten
seitens der preußischen Partei (namentlich im District Schleswig-(^ckernförde),
sowie mancherlei Fehler und Ungeschicktheiten höherer und niederer Beamten:
im Ganzen aber war das Wahlergebniß, das ist leieer nicht zu läugnen, der
Ausdruck der Gesinnung des Volks, besonders der niedern Classen, die beim
allgemeinen Stimmrecht entscheiden.

Im Reichstag selbst haben sich nun freilich unsere Abgeordneten viel weniger
energisch benommen, als ihre Wähler gewünscht hatten. Von geharnischten
Protesten war nur bei den von Kopenhagen her inspirirter beiden Dänen die
Rede, an sich höchst harmlosen Männern, die zu den in ähnlicher Stellung befind¬
lichen Polen wenig paßten. Pastor Schraders Versuche zu reden sielen recht
unglücklich aus; die andern eifrigsten Parteimänner zogen das Gold des
Schweigens dem Silber der Rede vor, das schwerlich in der Versammlung für
sehr vollwichtig gehalten wäre. Und als es zur definitiven Entscheidung kam,
stimmten die drei hervorragenden Männer, die wir oben nannten, trotz ihrer
Anhänglichkeit an das Haus Augustenburg für die Bundesverfassung und
erklärten durch diesen Act, daß sie sich der neuen Ordnung ohne Vorbehalt
anschlössen. Dieser Vorgang ist charakteristisch für die Wandelung der Stim¬
mung in den gebildeten Kreisen. Mehr und mehr erkennen diese die Nothwen'


sichten weder eigne noch fremde Rücksichten auf eine anerkannte Dynastie im
Wege. Früher als die andern Neupreußen hätten sich daher die Schleswig-
Hoisteiner in die Lage finden können. Und ein ferner Stehender konnte viel¬
leicht glauben, das sei wirklich geschehen. Kamen doch, abgesehen von den
dänisch gesinnten Theilen im Norden, nicht einmal Demonstrationen in größerem
Maßstabe vor, wie sie in Frankfurt und Hannover an der Tagesordnung
waren, geschweige denn thätliche Widersetzlichkeiten, wovon etwa dieser oder jener
Mann der schwäbischen „Volkspartei" geträumt haben mochte. Aber freilich,
wer auch nur eine oberflächliche Kenntniß der Verhältnisse hatte, der wußte,
daß diese Ruhe durchaus nicht der Ausdruck einer prcußensreundlichcn Gesin¬
nung war. Wie starr vielmehr der Sinn der Schleswig-Holsteiner geblieben,
zeigte das Ergebniß der Reichstagswahlen. Wer das Land kannte, der hatte
freilich auf einen entschiedenen Sieg der Augustenburger, ja auf die Möglichkeit
gerechnet, daß alle deutschen Bezirke particularistisch wählen würden: aber auf
einen so allgemeinen Sieg der Gegner mit solchen Majoritäten war wohl kaum
Einer aus der preußischen Partei gefaßt gewesen. Daß der nördlichste Bezirk
mit großer Mehrheit dänisch wählen würde, hatte >in Ernst niemand bezweifelt;
aber es war niederdrückend, daß das deutsch redende Flensburg den Ausschlag
für einen zweite» Dänen gab. Alle übrigen Gewählten waren particularistischc
Schleswig-Holsteiner und zwar bis auf die Herren Francke, Schleiden und
v. Warnstedt außerhalb Schleswig-Holsteins unbekannte Leute. Einen Theil der
Schuld an diesem Ergebniß trug die Aufstellung ungeeigneter Candidaten
seitens der preußischen Partei (namentlich im District Schleswig-(^ckernförde),
sowie mancherlei Fehler und Ungeschicktheiten höherer und niederer Beamten:
im Ganzen aber war das Wahlergebniß, das ist leieer nicht zu läugnen, der
Ausdruck der Gesinnung des Volks, besonders der niedern Classen, die beim
allgemeinen Stimmrecht entscheiden.

Im Reichstag selbst haben sich nun freilich unsere Abgeordneten viel weniger
energisch benommen, als ihre Wähler gewünscht hatten. Von geharnischten
Protesten war nur bei den von Kopenhagen her inspirirter beiden Dänen die
Rede, an sich höchst harmlosen Männern, die zu den in ähnlicher Stellung befind¬
lichen Polen wenig paßten. Pastor Schraders Versuche zu reden sielen recht
unglücklich aus; die andern eifrigsten Parteimänner zogen das Gold des
Schweigens dem Silber der Rede vor, das schwerlich in der Versammlung für
sehr vollwichtig gehalten wäre. Und als es zur definitiven Entscheidung kam,
stimmten die drei hervorragenden Männer, die wir oben nannten, trotz ihrer
Anhänglichkeit an das Haus Augustenburg für die Bundesverfassung und
erklärten durch diesen Act, daß sie sich der neuen Ordnung ohne Vorbehalt
anschlössen. Dieser Vorgang ist charakteristisch für die Wandelung der Stim¬
mung in den gebildeten Kreisen. Mehr und mehr erkennen diese die Nothwen'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/484>, abgerufen am 26.05.2024.