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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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digkeit und Heilsamkeit des Geschehenen an. welche Gesinnung sie auch früher
gehabt haben mögen und wie viel Particularwünsche auch noch in den Falten
des Herzens verborgen sind. Manche kleine Züge bestätigen die Verbesserung
in diesen Kreisen. Für die Wahl zum Abgeordnetenhause im Herbst, bei der
nach dem allerdings wunderlichen Dreiclassensystem der Einfluß der Massen mehr
zurücktritt, hoffen wir zwar noch kein völlig gutes, aber doch ein entschieden
besseres Resultat, ja schon bei der Wahl zum nächsten Reichstag wird sich
Schleswig-Holstein vermuthlich in ein etwas günstigeres Licht stellen. Aber bis
auch die untern Classen die Nachwirkung der jahrelangen berechtigten und unbe¬
rechtigten Agitation, die Scheu vor den unbequemen Neuerungen und die Ab¬
neigung gegen die strengen Anforderungen des Staates überwunden haben
werden, dazu wills noch manches Jahr.

Jedoch weiter als zu so leichten und ungefährlichen Acten, wie die Wahl
Particuwistischer Abgeordneten geht unsere Opposition nicht. Von staatsgefähr¬
lichen Umtrieben, wie in Hannover, keine Spur. Man darf das freilich nicht
aus dem vielgerühmten "deutschen Sinn" der Schleswig-Holsteiner herleiten,
dem jede Verbindung mit dem Auslande ein Greuel sei. Das deutsche Be¬
wußtsein ist unserm Lande, namentlich Schleswig, erst in den letzten Jahrzehnten
durch die Dänen aufgezwängt. aber es ist noch durchaus nicht in Fleisch und
Rind übergegangen, vielmehr oft nur eine andere Form des engherzigen Pro¬
vinzialismus. Die deutschen Kämpfe gegen Frankreich haben unsere Väter nicht
mitgemacht, daher kennen wir nicht die Leidenschaft des Ehrgefühls den Fran¬
zosen gegenüber, die in andern Theilen-Norddeutschlands so leicht zu erregen
ist. Die Ausrichtung des Schleswig-holsteimschen Staates durch französische Hrlfe
würd>e einem großen Theil unseres Volkes als etwas sehr Erwünschtes und ganz
Unschuldiges erscheinen.

Aber es fehlen dazu viele sonstige Bedingungen. Das Volk, von Natur
überaus phlegmatisch, ist nach der Aufregung von 1863 noch immer müde und
hat eine instinctmäßige Abneigung vor neuen Kämpfen, zumal es schlimme Er¬
fahrungen über das geringe Gewicht seines Willens gemacht, hat. Die Orga¬
nisation der Vereine wäre zwar leicht herzustellen, aber die eigentlichen Führer
sind theils übergegangen, theils eingeschüchtert, theils allerdings auch patriotisch
genug, um den Bund mit dem Fremden zu verschmähen; die politisirenden
Dorfschulmeister. welche im kleineren Kreise den in den Vereinen sich aussprechen¬
den Volkswillen leiteten, sind viel zu furchtsam, um jetzt noch etwas zu wagen.
Der Adel, welcher sich in Hannover zum Theil gegen Preußen compromittirt
hat, war hier von Anfang an wenn nicht für Preußen, so doch gegen das Haus
Augustenburg. So sehr es dem Erbprinzen in kurzer Zeit gelungen ist, allge¬
meine Liebe zu erwerben, sozeigt sich doch jetzt der Unterschied zwischen einer solchen
flüchtigen Volksgunst und einer tief gewurzelten Anhänglichkeit an ein altes


digkeit und Heilsamkeit des Geschehenen an. welche Gesinnung sie auch früher
gehabt haben mögen und wie viel Particularwünsche auch noch in den Falten
des Herzens verborgen sind. Manche kleine Züge bestätigen die Verbesserung
in diesen Kreisen. Für die Wahl zum Abgeordnetenhause im Herbst, bei der
nach dem allerdings wunderlichen Dreiclassensystem der Einfluß der Massen mehr
zurücktritt, hoffen wir zwar noch kein völlig gutes, aber doch ein entschieden
besseres Resultat, ja schon bei der Wahl zum nächsten Reichstag wird sich
Schleswig-Holstein vermuthlich in ein etwas günstigeres Licht stellen. Aber bis
auch die untern Classen die Nachwirkung der jahrelangen berechtigten und unbe¬
rechtigten Agitation, die Scheu vor den unbequemen Neuerungen und die Ab¬
neigung gegen die strengen Anforderungen des Staates überwunden haben
werden, dazu wills noch manches Jahr.

Jedoch weiter als zu so leichten und ungefährlichen Acten, wie die Wahl
Particuwistischer Abgeordneten geht unsere Opposition nicht. Von staatsgefähr¬
lichen Umtrieben, wie in Hannover, keine Spur. Man darf das freilich nicht
aus dem vielgerühmten „deutschen Sinn" der Schleswig-Holsteiner herleiten,
dem jede Verbindung mit dem Auslande ein Greuel sei. Das deutsche Be¬
wußtsein ist unserm Lande, namentlich Schleswig, erst in den letzten Jahrzehnten
durch die Dänen aufgezwängt. aber es ist noch durchaus nicht in Fleisch und
Rind übergegangen, vielmehr oft nur eine andere Form des engherzigen Pro¬
vinzialismus. Die deutschen Kämpfe gegen Frankreich haben unsere Väter nicht
mitgemacht, daher kennen wir nicht die Leidenschaft des Ehrgefühls den Fran¬
zosen gegenüber, die in andern Theilen-Norddeutschlands so leicht zu erregen
ist. Die Ausrichtung des Schleswig-holsteimschen Staates durch französische Hrlfe
würd>e einem großen Theil unseres Volkes als etwas sehr Erwünschtes und ganz
Unschuldiges erscheinen.

Aber es fehlen dazu viele sonstige Bedingungen. Das Volk, von Natur
überaus phlegmatisch, ist nach der Aufregung von 1863 noch immer müde und
hat eine instinctmäßige Abneigung vor neuen Kämpfen, zumal es schlimme Er¬
fahrungen über das geringe Gewicht seines Willens gemacht, hat. Die Orga¬
nisation der Vereine wäre zwar leicht herzustellen, aber die eigentlichen Führer
sind theils übergegangen, theils eingeschüchtert, theils allerdings auch patriotisch
genug, um den Bund mit dem Fremden zu verschmähen; die politisirenden
Dorfschulmeister. welche im kleineren Kreise den in den Vereinen sich aussprechen¬
den Volkswillen leiteten, sind viel zu furchtsam, um jetzt noch etwas zu wagen.
Der Adel, welcher sich in Hannover zum Theil gegen Preußen compromittirt
hat, war hier von Anfang an wenn nicht für Preußen, so doch gegen das Haus
Augustenburg. So sehr es dem Erbprinzen in kurzer Zeit gelungen ist, allge¬
meine Liebe zu erwerben, sozeigt sich doch jetzt der Unterschied zwischen einer solchen
flüchtigen Volksgunst und einer tief gewurzelten Anhänglichkeit an ein altes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/485>, abgerufen am 17.06.2024.