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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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"Wünschest du dir den Grabcsfrieden, wie er hier ist?"

"Nein, nur Kampf! Hals doch der Pfarrer selbst gesagt, daß es mit
dem Frieden nur meinetwegen nicht anginge, und die Landtagswahlen haben es
bewiesen."

Im Dorfe Sontag besuchten wir den dortigen Wirth, der aus dem Bre¬
genzerwalde da heraufgezogen war. Hier lagen Zeitungen auf dem Tisch. Ich
begann zu lesen, wurde aber gleich vom Wirthe mit der Frage unterbrochen:
"ob ich etwa jetzt ein Mährenländer geworden sei?"

"Ich bin gar nichts geworden, sondern nur geblieben, was ich war, ein
guter Christ, der das Gute liebt und das Böse haßt."

Nun ging es durch Tannenwälder und Tobel abwärts gegen Bludenz. wo
wir Abends sechs Uhr von der Frau des eben in Amtsgeschäften abwesenden
Schwagers Moosbrugger aufs freundlichste begrüßt wurden.

Wir plauderten, bis eine sonst seltene Schläfrigkeit uns daran erinnerte,
daß wir nun 36 Stunden dem Körper feine Ruh mehr gelassen hatten. Trotz¬
dem that es uns recht in der Seele wohl, als der heimgekommene Beamte uns
noch aus dem ersten Schlafe weckte, um uns zu begrüßen und seine Freude über
unser Kommen, dessen Ursache ihm nicht unbekannt war, in der herzlichsten Weise
auszusprechen.

"Hier." sagte er, "kannst und sollst du bleiben, bis auch in deiner Heimath
wieder ein anderer Wind weht, und Wenns bis dahin auch Jahre dauern
sollte. Unser Bölklcin ist aber zu gesund, um so lange zu brauchen, und Wahr¬
heit und Recht werden sogar ganz hinten im Bregenzerwald der Lüge und dem
Pharisäerthum nicht erliegen."

So ists gekommen, daß ich im Jahre des Heils 1867 meinen Geburtstag
in Bludenz -- erlebte. Zu einer besonderen Feier jedoch hat mir die Stimmung
gefehlt. Traurig saß ich neben einigen Herren, die ich kaum dem Namen nach
kannte. Während sie spielten und gelegentheitlich ein wenig stritten, wie das bei
der alten Jaßkunst (Jas, ein Kartenspiel) unvermeidlich zu sein scheint, ließ
ich die Erlebnisse der letzten Wochen an mir vorüberziehen, gedachte meiner
Flucht und die ganze Strecke von Sontag bis Bludenz legte meine Erinnerung
wieder zurück. Jedes Wortes, das wir gewechselt hatten, konnte ich mich noch erinnern.

Wer so ein Wible sein nennt, der sollte gar nie so traurig sein, aber zu
meiner Entschuldigung muß ich gestehen, daß nur die Sorge um die zu den
Kindern und zur Mutter Zurückgekehrte es war. die so schwer auf mir lastete,
daß ich mich kaum noch zu einem tröstlichen Gedanken erschwingen konnte.

Am 9. Mai hatte ich sie wohl mehr als den vierten Theil des ihr bekann-
ten Wegs zurückbegleitet, und unter heiterem Himmel beim Abschied versprach
sie mir nebst Vielem auch, so schnell als möglich von der Rückreise und der
Stimmung der Heimath zu berichten.


„Wünschest du dir den Grabcsfrieden, wie er hier ist?"

„Nein, nur Kampf! Hals doch der Pfarrer selbst gesagt, daß es mit
dem Frieden nur meinetwegen nicht anginge, und die Landtagswahlen haben es
bewiesen."

Im Dorfe Sontag besuchten wir den dortigen Wirth, der aus dem Bre¬
genzerwalde da heraufgezogen war. Hier lagen Zeitungen auf dem Tisch. Ich
begann zu lesen, wurde aber gleich vom Wirthe mit der Frage unterbrochen:
„ob ich etwa jetzt ein Mährenländer geworden sei?"

„Ich bin gar nichts geworden, sondern nur geblieben, was ich war, ein
guter Christ, der das Gute liebt und das Böse haßt."

Nun ging es durch Tannenwälder und Tobel abwärts gegen Bludenz. wo
wir Abends sechs Uhr von der Frau des eben in Amtsgeschäften abwesenden
Schwagers Moosbrugger aufs freundlichste begrüßt wurden.

Wir plauderten, bis eine sonst seltene Schläfrigkeit uns daran erinnerte,
daß wir nun 36 Stunden dem Körper feine Ruh mehr gelassen hatten. Trotz¬
dem that es uns recht in der Seele wohl, als der heimgekommene Beamte uns
noch aus dem ersten Schlafe weckte, um uns zu begrüßen und seine Freude über
unser Kommen, dessen Ursache ihm nicht unbekannt war, in der herzlichsten Weise
auszusprechen.

„Hier." sagte er, „kannst und sollst du bleiben, bis auch in deiner Heimath
wieder ein anderer Wind weht, und Wenns bis dahin auch Jahre dauern
sollte. Unser Bölklcin ist aber zu gesund, um so lange zu brauchen, und Wahr¬
heit und Recht werden sogar ganz hinten im Bregenzerwald der Lüge und dem
Pharisäerthum nicht erliegen."

So ists gekommen, daß ich im Jahre des Heils 1867 meinen Geburtstag
in Bludenz — erlebte. Zu einer besonderen Feier jedoch hat mir die Stimmung
gefehlt. Traurig saß ich neben einigen Herren, die ich kaum dem Namen nach
kannte. Während sie spielten und gelegentheitlich ein wenig stritten, wie das bei
der alten Jaßkunst (Jas, ein Kartenspiel) unvermeidlich zu sein scheint, ließ
ich die Erlebnisse der letzten Wochen an mir vorüberziehen, gedachte meiner
Flucht und die ganze Strecke von Sontag bis Bludenz legte meine Erinnerung
wieder zurück. Jedes Wortes, das wir gewechselt hatten, konnte ich mich noch erinnern.

Wer so ein Wible sein nennt, der sollte gar nie so traurig sein, aber zu
meiner Entschuldigung muß ich gestehen, daß nur die Sorge um die zu den
Kindern und zur Mutter Zurückgekehrte es war. die so schwer auf mir lastete,
daß ich mich kaum noch zu einem tröstlichen Gedanken erschwingen konnte.

Am 9. Mai hatte ich sie wohl mehr als den vierten Theil des ihr bekann-
ten Wegs zurückbegleitet, und unter heiterem Himmel beim Abschied versprach
sie mir nebst Vielem auch, so schnell als möglich von der Rückreise und der
Stimmung der Heimath zu berichten.


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[0509] „Wünschest du dir den Grabcsfrieden, wie er hier ist?" „Nein, nur Kampf! Hals doch der Pfarrer selbst gesagt, daß es mit dem Frieden nur meinetwegen nicht anginge, und die Landtagswahlen haben es bewiesen." Im Dorfe Sontag besuchten wir den dortigen Wirth, der aus dem Bre¬ genzerwalde da heraufgezogen war. Hier lagen Zeitungen auf dem Tisch. Ich begann zu lesen, wurde aber gleich vom Wirthe mit der Frage unterbrochen: „ob ich etwa jetzt ein Mährenländer geworden sei?" „Ich bin gar nichts geworden, sondern nur geblieben, was ich war, ein guter Christ, der das Gute liebt und das Böse haßt." Nun ging es durch Tannenwälder und Tobel abwärts gegen Bludenz. wo wir Abends sechs Uhr von der Frau des eben in Amtsgeschäften abwesenden Schwagers Moosbrugger aufs freundlichste begrüßt wurden. Wir plauderten, bis eine sonst seltene Schläfrigkeit uns daran erinnerte, daß wir nun 36 Stunden dem Körper feine Ruh mehr gelassen hatten. Trotz¬ dem that es uns recht in der Seele wohl, als der heimgekommene Beamte uns noch aus dem ersten Schlafe weckte, um uns zu begrüßen und seine Freude über unser Kommen, dessen Ursache ihm nicht unbekannt war, in der herzlichsten Weise auszusprechen. „Hier." sagte er, „kannst und sollst du bleiben, bis auch in deiner Heimath wieder ein anderer Wind weht, und Wenns bis dahin auch Jahre dauern sollte. Unser Bölklcin ist aber zu gesund, um so lange zu brauchen, und Wahr¬ heit und Recht werden sogar ganz hinten im Bregenzerwald der Lüge und dem Pharisäerthum nicht erliegen." So ists gekommen, daß ich im Jahre des Heils 1867 meinen Geburtstag in Bludenz — erlebte. Zu einer besonderen Feier jedoch hat mir die Stimmung gefehlt. Traurig saß ich neben einigen Herren, die ich kaum dem Namen nach kannte. Während sie spielten und gelegentheitlich ein wenig stritten, wie das bei der alten Jaßkunst (Jas, ein Kartenspiel) unvermeidlich zu sein scheint, ließ ich die Erlebnisse der letzten Wochen an mir vorüberziehen, gedachte meiner Flucht und die ganze Strecke von Sontag bis Bludenz legte meine Erinnerung wieder zurück. Jedes Wortes, das wir gewechselt hatten, konnte ich mich noch erinnern. Wer so ein Wible sein nennt, der sollte gar nie so traurig sein, aber zu meiner Entschuldigung muß ich gestehen, daß nur die Sorge um die zu den Kindern und zur Mutter Zurückgekehrte es war. die so schwer auf mir lastete, daß ich mich kaum noch zu einem tröstlichen Gedanken erschwingen konnte. Am 9. Mai hatte ich sie wohl mehr als den vierten Theil des ihr bekann- ten Wegs zurückbegleitet, und unter heiterem Himmel beim Abschied versprach sie mir nebst Vielem auch, so schnell als möglich von der Rückreise und der Stimmung der Heimath zu berichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/509>, abgerufen am 17.06.2024.