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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Als der glänzende Feldzug Preußens vor den Thoren Wiens still hielt,
und rascher Frieden auf raschen Sieg folgte, war man erstaunt über die Mäßi¬
gung König Wilhelms; das halbe Deutschland nur gelangte zur Einigung
und manche der Brüder blieben draußen stehn. Die Hitngen verlangten mit
dem Brustton der Weisen, die vom Nctthhaus zurückkehren, die Grenzen des
Vater Arndt.

Was aber fast wie Schwäche erschien, oder übertriebene Borsicht, war
nichts als die lautere Schlauheit. Man wollte kein Opfer bringen für das.
was unentgeltlich zu haben ist. Deutschland hat nicht blos ein Recht zu
athmen, sondern auch ein Bedürfniß, und dieses Bedürfniß treibt wohl oder
übel zum weiteren Anschlusse. Das Nächstnvthwcndige war das Gefühl der
Einheit und sein Ausdruck im Parlament.

Es ist das Eigenthümliche großer Versammlungen, daß sich darin ein an¬
derer Geist entwickelt, als die sie bildenden Einzelnen vermuthen lassen. Mit
der Thatsache des Beisammenseins entspinnt sich, durch die K"se der Anschau¬
lichkeit der vollzogenen Vereinigung, ein größeres Selbstgefühl, als jeder Eine
als Bruchtheil besessen, und unberechenbar sind die Entschlüsse, zu denen solche
Stimmung solche Versammelte treibt. Hinfällig werden daher die Programme
und Entwürfe der Theile gegenüber dem Ganzen.

Die Hansestädte jedoch, vorab Hamburg, stellen ihr Programm auf und
es lautet: Beibehaltung der Freihafenstellung. So eilet die Fluth
des Patriotismus gleich wieder hinein in das gewohnte Bett particularistischer
Formeln.

Particularistischer! klingt es vorwurfsvoll zurück; hat das übrige Deutsch¬
land das geringste Interesse an unserer Aufnahme in den Zollverein, oder ist
ihm nicht vielmehr das Wichtigste der Flor unseres Handels?

Ehedem waren Bremen, Hamburg und Lübeck selbständige Staaten und
standen als solche dem übrigen Deutschland gegenüber. Sie vertraten deshalb
ihre eigenen Interessen. Es gab folgerichtig auch einen bremer, einen Ham¬
burger und einen lübecker Handel. Mit der Errichtung des norddeutschen Bun¬
des hgt dies aufgehört. Es giebt jetzt weder einen bremischen, noch einen
hamburgischen, noch einen lübeckischcn. sondern nur einen norddeutschen Handel,
es giebt weder gesammt- noch einzel-hanseatische, sondern ausschließlich nord¬
deutsche Interessen. Daß irgendeine die Interessen der bremer. der Hamburger
oder der lübecker Kaufleute berührende'Frage vom specifisch bremischen, ham¬
burgischen oder lübeckischen Standpunkte aus beurtheilt werden müsse, oder
daß für die Entschlüsse des norddeutschen Reichstags diese Sonderinteressen
bestimmend sein Mußten, hat aufgehört selbständiges Axiom zu sein. Aus frü¬
heren Verhältnissen könnte man solcher Annahme den Schein einer guten Be¬
gründung verschaffen, aber daraus läßt sich kein Anspruch auf die Zukunft her-


Als der glänzende Feldzug Preußens vor den Thoren Wiens still hielt,
und rascher Frieden auf raschen Sieg folgte, war man erstaunt über die Mäßi¬
gung König Wilhelms; das halbe Deutschland nur gelangte zur Einigung
und manche der Brüder blieben draußen stehn. Die Hitngen verlangten mit
dem Brustton der Weisen, die vom Nctthhaus zurückkehren, die Grenzen des
Vater Arndt.

Was aber fast wie Schwäche erschien, oder übertriebene Borsicht, war
nichts als die lautere Schlauheit. Man wollte kein Opfer bringen für das.
was unentgeltlich zu haben ist. Deutschland hat nicht blos ein Recht zu
athmen, sondern auch ein Bedürfniß, und dieses Bedürfniß treibt wohl oder
übel zum weiteren Anschlusse. Das Nächstnvthwcndige war das Gefühl der
Einheit und sein Ausdruck im Parlament.

Es ist das Eigenthümliche großer Versammlungen, daß sich darin ein an¬
derer Geist entwickelt, als die sie bildenden Einzelnen vermuthen lassen. Mit
der Thatsache des Beisammenseins entspinnt sich, durch die K»se der Anschau¬
lichkeit der vollzogenen Vereinigung, ein größeres Selbstgefühl, als jeder Eine
als Bruchtheil besessen, und unberechenbar sind die Entschlüsse, zu denen solche
Stimmung solche Versammelte treibt. Hinfällig werden daher die Programme
und Entwürfe der Theile gegenüber dem Ganzen.

Die Hansestädte jedoch, vorab Hamburg, stellen ihr Programm auf und
es lautet: Beibehaltung der Freihafenstellung. So eilet die Fluth
des Patriotismus gleich wieder hinein in das gewohnte Bett particularistischer
Formeln.

Particularistischer! klingt es vorwurfsvoll zurück; hat das übrige Deutsch¬
land das geringste Interesse an unserer Aufnahme in den Zollverein, oder ist
ihm nicht vielmehr das Wichtigste der Flor unseres Handels?

Ehedem waren Bremen, Hamburg und Lübeck selbständige Staaten und
standen als solche dem übrigen Deutschland gegenüber. Sie vertraten deshalb
ihre eigenen Interessen. Es gab folgerichtig auch einen bremer, einen Ham¬
burger und einen lübecker Handel. Mit der Errichtung des norddeutschen Bun¬
des hgt dies aufgehört. Es giebt jetzt weder einen bremischen, noch einen
hamburgischen, noch einen lübeckischcn. sondern nur einen norddeutschen Handel,
es giebt weder gesammt- noch einzel-hanseatische, sondern ausschließlich nord¬
deutsche Interessen. Daß irgendeine die Interessen der bremer. der Hamburger
oder der lübecker Kaufleute berührende'Frage vom specifisch bremischen, ham¬
burgischen oder lübeckischen Standpunkte aus beurtheilt werden müsse, oder
daß für die Entschlüsse des norddeutschen Reichstags diese Sonderinteressen
bestimmend sein Mußten, hat aufgehört selbständiges Axiom zu sein. Aus frü¬
heren Verhältnissen könnte man solcher Annahme den Schein einer guten Be¬
gründung verschaffen, aber daraus läßt sich kein Anspruch auf die Zukunft her-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/86>, abgerufen am 26.05.2024.