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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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leiten. Denn im Grunde war die geduldete Selbständigkeit der Hansestädte an
den Wasserthoren Deutschlands doch auch eine Beeinträchtigung des unver-
äußerlichen Rechtes "zu athmen". Die sich wie Staaten geberdenden Kauf¬
mannsinnungen versperrten ihre Thore dem deutschen Hintermanne und deuteten
die Bevorzugung ihrer Lage oft genug in sehr particularisiischem, ja sogar in
engherzigen Familienintcresse aus. Der Deutsche schalt über den Zoll, welchen
Dänen aus deutsche Schiffe erhoben, den Tribut aber, den die Hansestädte vom
oberländischen Fleiß forderten, ließ er sich lange ohne Kritik gefallen.

Der Hanseate kann das Recht der Selbständigkeit und der Beurtheilung
seiner Interessen von keinem anderen als einem gemeinsamen Standpunkte her¬
leiten, vorwiegend aus dem Factum, daß Deutschlands Fürsten mächtiger waren
als Deutschlands Kaiser. Und woher stammen die Reichthümer der Hansestädte,
der Glanz und die Größe ihres Handels? woher zogen sie das Mark ihres
Daseins, und was ist es, das ihnen noch heute Leben giebt? In erster Reihe
das deutsche Hinterland. Und dieses deutsche Hinterland soll an specifisch bremische,
hamburgische, lübeckische Interessen gebunden sein? . . . Das aus der Thatsache
Geborene fällt mit der Thatsache, und ebenso wie Deutschland die Schlüssel
der Weser und der Elbe in eigene Hände nimmt, wird es Mittel suchen, den
Lauf des Rheins selbst zu controliren und Holland daran erinnern, wer ihm
das Leben gab.

Wie der hanseaiische Handel mit der Gründung des norddeutschen Bundes
norddeutscher Handel geworden, sind die Bewohner der Hansestädte Zugehörige
des deutschen Staates, nicht aber die Kaufleute des Bundes, welche wie Agenten
auswärtiger Häuser oder Commissionäre für Rechnung Deutschlands Geschäfte
machen.

Damit soll keineswegs entschieden werden, ob es den Interessen Nord¬
deutschlands besser entspricht, die ehemaligen Hansestädte in ihrer Freihafen¬
stellung zu belassen oder sie in die Zolllinie hereinzuziehen, aber es soll hervor¬
gehoben werden, daß die Clausel der Bundesverfassung, welche die Aufnahme
in den Zollverband dem freien Ermessen der Hansestädte anheimgiebt, ein nicht
unbedenkliches Zugesiändniß an den Particularismus bezeichnet, einen Anklang
wenigstens an die Zeiten, wo ein hanseatischer Convent über Fragen von sol¬
cher Bedeutung selbständig entschied.

Es handelt sich bei der Beurtheilung der Frage, ob Freihafen geduldet
werden sollen oder nicht, für Deutschland nicht blos um die Interessen des
deutschen Handels, sondern um die Interessen der deutschen Industrie. Diese,
welche nicht nur des Ganges wegen, welchen unsere wirtschaftliche Entwickelung
einmal genommen hat, sondern ihrer natürlichen Beschaffenheit nach der ge-
sammtstaatlichen Fürsorge weit mehr als der Handel bedarf, ist vor allem ins
Auge zu fassen, und was sie erheischt, muß die Norm geben. Der Handel ist


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leiten. Denn im Grunde war die geduldete Selbständigkeit der Hansestädte an
den Wasserthoren Deutschlands doch auch eine Beeinträchtigung des unver-
äußerlichen Rechtes „zu athmen". Die sich wie Staaten geberdenden Kauf¬
mannsinnungen versperrten ihre Thore dem deutschen Hintermanne und deuteten
die Bevorzugung ihrer Lage oft genug in sehr particularisiischem, ja sogar in
engherzigen Familienintcresse aus. Der Deutsche schalt über den Zoll, welchen
Dänen aus deutsche Schiffe erhoben, den Tribut aber, den die Hansestädte vom
oberländischen Fleiß forderten, ließ er sich lange ohne Kritik gefallen.

Der Hanseate kann das Recht der Selbständigkeit und der Beurtheilung
seiner Interessen von keinem anderen als einem gemeinsamen Standpunkte her¬
leiten, vorwiegend aus dem Factum, daß Deutschlands Fürsten mächtiger waren
als Deutschlands Kaiser. Und woher stammen die Reichthümer der Hansestädte,
der Glanz und die Größe ihres Handels? woher zogen sie das Mark ihres
Daseins, und was ist es, das ihnen noch heute Leben giebt? In erster Reihe
das deutsche Hinterland. Und dieses deutsche Hinterland soll an specifisch bremische,
hamburgische, lübeckische Interessen gebunden sein? . . . Das aus der Thatsache
Geborene fällt mit der Thatsache, und ebenso wie Deutschland die Schlüssel
der Weser und der Elbe in eigene Hände nimmt, wird es Mittel suchen, den
Lauf des Rheins selbst zu controliren und Holland daran erinnern, wer ihm
das Leben gab.

Wie der hanseaiische Handel mit der Gründung des norddeutschen Bundes
norddeutscher Handel geworden, sind die Bewohner der Hansestädte Zugehörige
des deutschen Staates, nicht aber die Kaufleute des Bundes, welche wie Agenten
auswärtiger Häuser oder Commissionäre für Rechnung Deutschlands Geschäfte
machen.

Damit soll keineswegs entschieden werden, ob es den Interessen Nord¬
deutschlands besser entspricht, die ehemaligen Hansestädte in ihrer Freihafen¬
stellung zu belassen oder sie in die Zolllinie hereinzuziehen, aber es soll hervor¬
gehoben werden, daß die Clausel der Bundesverfassung, welche die Aufnahme
in den Zollverband dem freien Ermessen der Hansestädte anheimgiebt, ein nicht
unbedenkliches Zugesiändniß an den Particularismus bezeichnet, einen Anklang
wenigstens an die Zeiten, wo ein hanseatischer Convent über Fragen von sol¬
cher Bedeutung selbständig entschied.

Es handelt sich bei der Beurtheilung der Frage, ob Freihafen geduldet
werden sollen oder nicht, für Deutschland nicht blos um die Interessen des
deutschen Handels, sondern um die Interessen der deutschen Industrie. Diese,
welche nicht nur des Ganges wegen, welchen unsere wirtschaftliche Entwickelung
einmal genommen hat, sondern ihrer natürlichen Beschaffenheit nach der ge-
sammtstaatlichen Fürsorge weit mehr als der Handel bedarf, ist vor allem ins
Auge zu fassen, und was sie erheischt, muß die Norm geben. Der Handel ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/87>, abgerufen am 17.06.2024.