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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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geprüften Aerzte zu einer Körperschaft zusammentreten, welche berechtigt sei:
1) ihre Berufsangelegenheiten selbst zu verwalten. 2) ihre Standesinteressen zu
wahren. 3) Gegenstände der öffentlichen Gesundheitspflege zu berathen, 4) in diesen
Hinsichten an obere und untere Behörde" Anträge zu stellen und deren Beant¬
wortung bezüglich Erledigung zu erhalten, S) zu diesem Endzweck größere und
kleinere Vereine zu bilden, 6) mittelst selbstgcwählter Abgeordneter (ärztlicher
Kammern nach Analogie der Advocaten-, Handels- und Gewerbelammern) bei
ihren betreffenden Regierungen vertreten zu sein." Nach weiterer Motivirung
wurden als Mittel zur Ausführung dieser und späterer Medicinalreformen in
Deutschland bezeichnet: "1) Bildung ärztlicher Local- und Bezirksvereine in allen
Theilen Deutschlands, 2) Gründung eines den Interessen des ärztlichen (wohl
auch pharmaceutischen) Standes gewidmeten Correspondenzblattes in jedem ein¬
zelnen deutschen Lande oder Regierungsbezirke." Der Vorsitzende Cohen und
einige andere Mitglieder stimmten diesen Anträgen im allgemeinen zu, indem
sie anerkannten, die Mcdicinalreform habe den Zweck, für die ärztliche Wirk¬
samkeit den günstigen Boden zu bereiten; viele andere, namentlich Kirchhofs,
Varrentrapp, Wasscrfuhr traten den Anträgen entgegen, sie wollten kein Ein¬
mischen des Staates in die öffentlichen Verhältnisse und keine Anlehnung an
den Staat, nur das ärztliche Wohl, keine Standesinteressen seien zu beachten,
möglichst freie Bewegung aller Berufsclassen sei im Auge zu behalten. Dr. Wasser¬
fuhr beantragte speciell auszusprechen, daß die Aerzte zur Wahrung ihrer'In¬
teressen mehr Gebrauch von dem Vereins- und Petitionsrecht machen möchten,
sowie daß im Interesse der öffentlichen Gesundheit den Physikern eine erwei¬
terte Initiative und Executive, sowie eine gesicherte unabhängigere Stellung
zuzugestehen sei. Allseits ward empfunden, daß die angeregten Fragen noch
lange nicht spruchreif, weil noch nicht unter allgemeinen Gesichtspunkt gebracht
seien. Schließlich ward beschlossen, diese Frage einstweilen aus der Tagesord¬
nung zu belassen, die Nothwendigkeit einer Mcdicinalreform sowie eines gründ¬
lichern Studiums derselben aber principiell anzuerkennen. Ein mageres Re¬
sultat, weil man, großentheils von Standesinteressen befangen, nicht erkannte,
daß es gilt, dem ärztlichen Wissen den gebührenden Einfluß gegenüber der
Bureaucratie zu verschaffen und dem entsprechend die Stellung der Aerzte
zu einer freiern zu machen, nicht aber dem ärztlichen Stande eine angenehmere
oder würdigere Stellung zu geben.

Oeffentliche Gesundheitspflege.

Der geneigte Leser möge uns
gestatten, bei dieser Section etwas länger zu verweilen, nicht nur weil sie nicht
ausschließlich den Fachmann, sondern jeden Gebildeten interessirt, oder weil
sie zum erstenmal in Deutschland derartig in öffentliche Verhandlung tritt, son¬
dern ganz besonders deshalb, weil es nach unserer Ansicht sehr darauf ankommt,
in welcher Weise darin die vorkommenden Fragen vorbereitet und verhandelt


geprüften Aerzte zu einer Körperschaft zusammentreten, welche berechtigt sei:
1) ihre Berufsangelegenheiten selbst zu verwalten. 2) ihre Standesinteressen zu
wahren. 3) Gegenstände der öffentlichen Gesundheitspflege zu berathen, 4) in diesen
Hinsichten an obere und untere Behörde« Anträge zu stellen und deren Beant¬
wortung bezüglich Erledigung zu erhalten, S) zu diesem Endzweck größere und
kleinere Vereine zu bilden, 6) mittelst selbstgcwählter Abgeordneter (ärztlicher
Kammern nach Analogie der Advocaten-, Handels- und Gewerbelammern) bei
ihren betreffenden Regierungen vertreten zu sein." Nach weiterer Motivirung
wurden als Mittel zur Ausführung dieser und späterer Medicinalreformen in
Deutschland bezeichnet: „1) Bildung ärztlicher Local- und Bezirksvereine in allen
Theilen Deutschlands, 2) Gründung eines den Interessen des ärztlichen (wohl
auch pharmaceutischen) Standes gewidmeten Correspondenzblattes in jedem ein¬
zelnen deutschen Lande oder Regierungsbezirke." Der Vorsitzende Cohen und
einige andere Mitglieder stimmten diesen Anträgen im allgemeinen zu, indem
sie anerkannten, die Mcdicinalreform habe den Zweck, für die ärztliche Wirk¬
samkeit den günstigen Boden zu bereiten; viele andere, namentlich Kirchhofs,
Varrentrapp, Wasscrfuhr traten den Anträgen entgegen, sie wollten kein Ein¬
mischen des Staates in die öffentlichen Verhältnisse und keine Anlehnung an
den Staat, nur das ärztliche Wohl, keine Standesinteressen seien zu beachten,
möglichst freie Bewegung aller Berufsclassen sei im Auge zu behalten. Dr. Wasser¬
fuhr beantragte speciell auszusprechen, daß die Aerzte zur Wahrung ihrer'In¬
teressen mehr Gebrauch von dem Vereins- und Petitionsrecht machen möchten,
sowie daß im Interesse der öffentlichen Gesundheit den Physikern eine erwei¬
terte Initiative und Executive, sowie eine gesicherte unabhängigere Stellung
zuzugestehen sei. Allseits ward empfunden, daß die angeregten Fragen noch
lange nicht spruchreif, weil noch nicht unter allgemeinen Gesichtspunkt gebracht
seien. Schließlich ward beschlossen, diese Frage einstweilen aus der Tagesord¬
nung zu belassen, die Nothwendigkeit einer Mcdicinalreform sowie eines gründ¬
lichern Studiums derselben aber principiell anzuerkennen. Ein mageres Re¬
sultat, weil man, großentheils von Standesinteressen befangen, nicht erkannte,
daß es gilt, dem ärztlichen Wissen den gebührenden Einfluß gegenüber der
Bureaucratie zu verschaffen und dem entsprechend die Stellung der Aerzte
zu einer freiern zu machen, nicht aber dem ärztlichen Stande eine angenehmere
oder würdigere Stellung zu geben.

Oeffentliche Gesundheitspflege.

Der geneigte Leser möge uns
gestatten, bei dieser Section etwas länger zu verweilen, nicht nur weil sie nicht
ausschließlich den Fachmann, sondern jeden Gebildeten interessirt, oder weil
sie zum erstenmal in Deutschland derartig in öffentliche Verhandlung tritt, son¬
dern ganz besonders deshalb, weil es nach unserer Ansicht sehr darauf ankommt,
in welcher Weise darin die vorkommenden Fragen vorbereitet und verhandelt


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[0190] geprüften Aerzte zu einer Körperschaft zusammentreten, welche berechtigt sei: 1) ihre Berufsangelegenheiten selbst zu verwalten. 2) ihre Standesinteressen zu wahren. 3) Gegenstände der öffentlichen Gesundheitspflege zu berathen, 4) in diesen Hinsichten an obere und untere Behörde« Anträge zu stellen und deren Beant¬ wortung bezüglich Erledigung zu erhalten, S) zu diesem Endzweck größere und kleinere Vereine zu bilden, 6) mittelst selbstgcwählter Abgeordneter (ärztlicher Kammern nach Analogie der Advocaten-, Handels- und Gewerbelammern) bei ihren betreffenden Regierungen vertreten zu sein." Nach weiterer Motivirung wurden als Mittel zur Ausführung dieser und späterer Medicinalreformen in Deutschland bezeichnet: „1) Bildung ärztlicher Local- und Bezirksvereine in allen Theilen Deutschlands, 2) Gründung eines den Interessen des ärztlichen (wohl auch pharmaceutischen) Standes gewidmeten Correspondenzblattes in jedem ein¬ zelnen deutschen Lande oder Regierungsbezirke." Der Vorsitzende Cohen und einige andere Mitglieder stimmten diesen Anträgen im allgemeinen zu, indem sie anerkannten, die Mcdicinalreform habe den Zweck, für die ärztliche Wirk¬ samkeit den günstigen Boden zu bereiten; viele andere, namentlich Kirchhofs, Varrentrapp, Wasscrfuhr traten den Anträgen entgegen, sie wollten kein Ein¬ mischen des Staates in die öffentlichen Verhältnisse und keine Anlehnung an den Staat, nur das ärztliche Wohl, keine Standesinteressen seien zu beachten, möglichst freie Bewegung aller Berufsclassen sei im Auge zu behalten. Dr. Wasser¬ fuhr beantragte speciell auszusprechen, daß die Aerzte zur Wahrung ihrer'In¬ teressen mehr Gebrauch von dem Vereins- und Petitionsrecht machen möchten, sowie daß im Interesse der öffentlichen Gesundheit den Physikern eine erwei¬ terte Initiative und Executive, sowie eine gesicherte unabhängigere Stellung zuzugestehen sei. Allseits ward empfunden, daß die angeregten Fragen noch lange nicht spruchreif, weil noch nicht unter allgemeinen Gesichtspunkt gebracht seien. Schließlich ward beschlossen, diese Frage einstweilen aus der Tagesord¬ nung zu belassen, die Nothwendigkeit einer Mcdicinalreform sowie eines gründ¬ lichern Studiums derselben aber principiell anzuerkennen. Ein mageres Re¬ sultat, weil man, großentheils von Standesinteressen befangen, nicht erkannte, daß es gilt, dem ärztlichen Wissen den gebührenden Einfluß gegenüber der Bureaucratie zu verschaffen und dem entsprechend die Stellung der Aerzte zu einer freiern zu machen, nicht aber dem ärztlichen Stande eine angenehmere oder würdigere Stellung zu geben. Oeffentliche Gesundheitspflege. Der geneigte Leser möge uns gestatten, bei dieser Section etwas länger zu verweilen, nicht nur weil sie nicht ausschließlich den Fachmann, sondern jeden Gebildeten interessirt, oder weil sie zum erstenmal in Deutschland derartig in öffentliche Verhandlung tritt, son¬ dern ganz besonders deshalb, weil es nach unserer Ansicht sehr darauf ankommt, in welcher Weise darin die vorkommenden Fragen vorbereitet und verhandelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/190>, abgerufen am 15.06.2024.