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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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stunden mehrerer, den Ersatz für jeden fehlenden Mann von Fach zusammen.
Wie schwerfällig, geistlos und unverantwortlich (das Wort im eigentlichen Be¬
griffe gebraucht) dadurch die hansestädtische Verwaltung dem Durchschnitt nach
geworden ist, weiß jeder Kundige. In Handelssachen war es leicht für sie,
den Ruf der Meisterschaft zu wahren; aber dieser eine Tugendmantel hatte
viele und arge Blößen zu bedecken. Darum darf nun auch jetzt, wo das Be¬
dürfniß hinweggcfallen ist, um Gotteswillen aus dem Nothbehelf nicht ein Bor¬
zug gemacht werden, am wenigsten im Namen der Selbstverwaltung oder der
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Es ist keine Sparsamkeit, sondern die
ärgste Verschwendung, wenn die kostbare Zeit und Kraft intelligenter Männer
so in Masse vergeudet wird, wie irr den bestehenden Deputationen meistentheils
geschieht. Sie werden dem Gemeinwesen darum nicht verloren gehen, wenn
man die Deputationsarbeit, wo es irgend geht, auf eigentliche Beamte abwälzt.

Wird auf diese Weise nicht ohne große Schwierigkeit eine Musterverwaitung
herzustellen sein? -- musterhaft auch darin, daß sie dem Zwangsverfahren der
Behörden nicht mehr überläßt, als was durch freie Vereinigungen schlechter¬
dings nicht zu leisten ist? Daß sie, anders ausgedrückt, das höchste Maß com-
munaler Leistungen mit dem relativ niedrigsten Grade communaler Steuer¬
anspannung verbindet? Und wenn so dereinst die Kräfte vor aller Welt den
Baum loben, wird dann nicht das Streben der deutschen Gemeinden nach
Unabhängigkeit von den Staatsbehörden, nach freier Selbstbestimmung in allen
ihnen eigenthümlichen Angelegenheiten die fühlbarste Ermuthigung, die mächtigste
Unterstützung gegen den Widerstand der alten Lehre und Praxis empfangen?
Das vermögen die drei Hansestädte ihren Schwestern zu leisten, wenn sie sich
rechtzeitig auf eine neue Rolle bescheiden und einrichten. Ihre specifisch politische
Aufgabe, Deutschlands Antheil am Welthandel mit Staatsmitteln zu behaupten
und unablässig auszudehnen, ist auf einen andern, stärkern, und schließlich
doch auch geschicktem Träger übergegangen; aber ihr gesammter Lebens-
beruf ist damit noch keineswegs erschöpft, sondern es öffnet sich ihrem Ehrgeiz
auf der Stelle ein neues weites Feld, geräumig genug zum Sammelplatz edler
Kräfte. Wenn sie es verstehen, von der ihnen gebliebenen innern Souveränität
einem allgemein einleuchtenden, reichen und nützlichen Gebrauch zu machen, so
wird die Zukunft sie nicht etwa auf das rechtliche Niveau der übrigen deutschen
Städte hinabzudrücken, sondern umgekehrt die letzteren auf das rechtliche Niveau
der Hansestädte zu erheben trachten. Warum, in der That, sollte eine moderne
Großstadt nicht im Bereich ihrer besonderen Aufgaben völlig selbständig sein?
Welche Art von Weisheit und Tugend ist es denn, die das preußische
Ministerium des Innern z. B. vor der Stadtverwaltung von Berlin oder
Breslau voraus hat, wenn es sich um communale Angelegenheiten handelt?
Es fehlt nur an Beispielen zum Vergleich, um die Abgeschmacktheit des über-


stunden mehrerer, den Ersatz für jeden fehlenden Mann von Fach zusammen.
Wie schwerfällig, geistlos und unverantwortlich (das Wort im eigentlichen Be¬
griffe gebraucht) dadurch die hansestädtische Verwaltung dem Durchschnitt nach
geworden ist, weiß jeder Kundige. In Handelssachen war es leicht für sie,
den Ruf der Meisterschaft zu wahren; aber dieser eine Tugendmantel hatte
viele und arge Blößen zu bedecken. Darum darf nun auch jetzt, wo das Be¬
dürfniß hinweggcfallen ist, um Gotteswillen aus dem Nothbehelf nicht ein Bor¬
zug gemacht werden, am wenigsten im Namen der Selbstverwaltung oder der
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Es ist keine Sparsamkeit, sondern die
ärgste Verschwendung, wenn die kostbare Zeit und Kraft intelligenter Männer
so in Masse vergeudet wird, wie irr den bestehenden Deputationen meistentheils
geschieht. Sie werden dem Gemeinwesen darum nicht verloren gehen, wenn
man die Deputationsarbeit, wo es irgend geht, auf eigentliche Beamte abwälzt.

Wird auf diese Weise nicht ohne große Schwierigkeit eine Musterverwaitung
herzustellen sein? — musterhaft auch darin, daß sie dem Zwangsverfahren der
Behörden nicht mehr überläßt, als was durch freie Vereinigungen schlechter¬
dings nicht zu leisten ist? Daß sie, anders ausgedrückt, das höchste Maß com-
munaler Leistungen mit dem relativ niedrigsten Grade communaler Steuer¬
anspannung verbindet? Und wenn so dereinst die Kräfte vor aller Welt den
Baum loben, wird dann nicht das Streben der deutschen Gemeinden nach
Unabhängigkeit von den Staatsbehörden, nach freier Selbstbestimmung in allen
ihnen eigenthümlichen Angelegenheiten die fühlbarste Ermuthigung, die mächtigste
Unterstützung gegen den Widerstand der alten Lehre und Praxis empfangen?
Das vermögen die drei Hansestädte ihren Schwestern zu leisten, wenn sie sich
rechtzeitig auf eine neue Rolle bescheiden und einrichten. Ihre specifisch politische
Aufgabe, Deutschlands Antheil am Welthandel mit Staatsmitteln zu behaupten
und unablässig auszudehnen, ist auf einen andern, stärkern, und schließlich
doch auch geschicktem Träger übergegangen; aber ihr gesammter Lebens-
beruf ist damit noch keineswegs erschöpft, sondern es öffnet sich ihrem Ehrgeiz
auf der Stelle ein neues weites Feld, geräumig genug zum Sammelplatz edler
Kräfte. Wenn sie es verstehen, von der ihnen gebliebenen innern Souveränität
einem allgemein einleuchtenden, reichen und nützlichen Gebrauch zu machen, so
wird die Zukunft sie nicht etwa auf das rechtliche Niveau der übrigen deutschen
Städte hinabzudrücken, sondern umgekehrt die letzteren auf das rechtliche Niveau
der Hansestädte zu erheben trachten. Warum, in der That, sollte eine moderne
Großstadt nicht im Bereich ihrer besonderen Aufgaben völlig selbständig sein?
Welche Art von Weisheit und Tugend ist es denn, die das preußische
Ministerium des Innern z. B. vor der Stadtverwaltung von Berlin oder
Breslau voraus hat, wenn es sich um communale Angelegenheiten handelt?
Es fehlt nur an Beispielen zum Vergleich, um die Abgeschmacktheit des über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/232>, abgerufen am 15.05.2024.