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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Lebenskreisen kennen, wie sie so klar und charakteristisch in solchen Abschnitzeln
des geschichtlichen Materials selten zur Anschauung kommt. Man sieht
ferner, wie die religiöse Bewegung, so lies sie auch viele Gemüther ergriffen
und viele Geister eiregt haben mochte, doch auf die Sitte in den höheren Kreisen
nicht nachdrücklich einzuwirken vermocht hatte. Erst die wunderbar großartige
Arbeit der Vertreter der Humanitätscntwickelung des achtzehnten Jahrhunderts,
die freilich nur bei der in der religiösen Bewegung gewonnenen Freiheit mög¬
lich war, hat in unserm Vaterlande eine sittliche Reform im Familienleben
der höheren Kreise angeregt, welche in den politischen Stürmen und Wande¬
lungen der letzten achtzig Jahre immer weiter und reicher wirksam geworden ist. --
Nach diesen Bemerkungen möge die Geschichte jenes Schwindlers, ohne weitere
Erläuterung, hier und da, wo es zur Charakteristik der Zeit dient, mit seinen
eigenen Worten kurz zusammengefaßt einfach erzählt werden. Für die Zuverlässigkeit
der Aussagen bürgt der Umstand, daß dieselben von der Behörde durch Bericht¬
erstattung nach Spandau und Gratz leicht controlirt werden konnten.

Der angebliche Hans Frank hieß Gottfried Strauber und war aus der
Grafschaft Schwarzburg. Sein Vater, ein kleiner Handelsmann, war verschul¬
det gestorben, die Mutter diente als Kinderfrau beim Grafen Albrecht von
Schwarzburg. Gottfried Strauber war einige Jahre vorher Bedienter bei einem
Grafen von Hohenstein gewesen und scheint dann in Norddeutschland mit Erfolg
sein Glück gesucht zu haben. Denn dort war er, als er schwer krank geworden,
in Lübeck im Hause eines Kaufmanns ein halbes Jahr lang beherbergt und
von dessen Frau verpflegt worden und hatte sich zu einer angeblichen Geschäfts¬
reise nach Polen 300 Thaler zu verschaffen gewußt. Eine Episode aus dieser
Reise nach Polen ist es, über welche Strauber genauen Bericht giebt. Auf dem
Wege nach Berlin kam er, -- natürlich in stattlichem Aufzuge, wie ihn die
Edelleute trugen -- nach Ruppin und erhielt hier bei einem Tuchmacher, den
er nach einer guten Herberge gefragt hatte, gastfreundliche Aufnahme. Den
andern Tag kam er in dem Wagen, den ihm der Tuchmacher besorgt und mit
einem Jungen, den dieser mitgegeben, zum Bürgermeister von Spandau, dem
Bruder des Tuchmachers, der ihn, ohne seinen Namen zu kennen oder später
darnach zu fragen, bei sich aufnahm und gut verpflegte. Den andern Morgen
-- eines Sonntags -- ging der Bürgermeister mit seinem Gaste in die Kirche
und zwar zur Orgel hinauf, weil sich dieser für Musik zu interessiren schien.
Dies erregte die Aufmerksamkeit der Familie des Generals Grafen Rochus von
Lynar. des Commandanten von Spandau: das Fräulein zumal verwendete keinen
Blick von dem fremden Herrn. Mittags waren beim Bürgermeister Gäste:
es ging lustig zu: der Cantor und die Schüler mußten singen. Als Strauber
fortfahren wollte, hielt ihn der Bürgermeister zurück und ließ sich beim Grafen
^das Instrument" holen. Während dessen hatten die Gräfin und das Fräulein


Lebenskreisen kennen, wie sie so klar und charakteristisch in solchen Abschnitzeln
des geschichtlichen Materials selten zur Anschauung kommt. Man sieht
ferner, wie die religiöse Bewegung, so lies sie auch viele Gemüther ergriffen
und viele Geister eiregt haben mochte, doch auf die Sitte in den höheren Kreisen
nicht nachdrücklich einzuwirken vermocht hatte. Erst die wunderbar großartige
Arbeit der Vertreter der Humanitätscntwickelung des achtzehnten Jahrhunderts,
die freilich nur bei der in der religiösen Bewegung gewonnenen Freiheit mög¬
lich war, hat in unserm Vaterlande eine sittliche Reform im Familienleben
der höheren Kreise angeregt, welche in den politischen Stürmen und Wande¬
lungen der letzten achtzig Jahre immer weiter und reicher wirksam geworden ist. —
Nach diesen Bemerkungen möge die Geschichte jenes Schwindlers, ohne weitere
Erläuterung, hier und da, wo es zur Charakteristik der Zeit dient, mit seinen
eigenen Worten kurz zusammengefaßt einfach erzählt werden. Für die Zuverlässigkeit
der Aussagen bürgt der Umstand, daß dieselben von der Behörde durch Bericht¬
erstattung nach Spandau und Gratz leicht controlirt werden konnten.

Der angebliche Hans Frank hieß Gottfried Strauber und war aus der
Grafschaft Schwarzburg. Sein Vater, ein kleiner Handelsmann, war verschul¬
det gestorben, die Mutter diente als Kinderfrau beim Grafen Albrecht von
Schwarzburg. Gottfried Strauber war einige Jahre vorher Bedienter bei einem
Grafen von Hohenstein gewesen und scheint dann in Norddeutschland mit Erfolg
sein Glück gesucht zu haben. Denn dort war er, als er schwer krank geworden,
in Lübeck im Hause eines Kaufmanns ein halbes Jahr lang beherbergt und
von dessen Frau verpflegt worden und hatte sich zu einer angeblichen Geschäfts¬
reise nach Polen 300 Thaler zu verschaffen gewußt. Eine Episode aus dieser
Reise nach Polen ist es, über welche Strauber genauen Bericht giebt. Auf dem
Wege nach Berlin kam er, — natürlich in stattlichem Aufzuge, wie ihn die
Edelleute trugen — nach Ruppin und erhielt hier bei einem Tuchmacher, den
er nach einer guten Herberge gefragt hatte, gastfreundliche Aufnahme. Den
andern Tag kam er in dem Wagen, den ihm der Tuchmacher besorgt und mit
einem Jungen, den dieser mitgegeben, zum Bürgermeister von Spandau, dem
Bruder des Tuchmachers, der ihn, ohne seinen Namen zu kennen oder später
darnach zu fragen, bei sich aufnahm und gut verpflegte. Den andern Morgen
— eines Sonntags — ging der Bürgermeister mit seinem Gaste in die Kirche
und zwar zur Orgel hinauf, weil sich dieser für Musik zu interessiren schien.
Dies erregte die Aufmerksamkeit der Familie des Generals Grafen Rochus von
Lynar. des Commandanten von Spandau: das Fräulein zumal verwendete keinen
Blick von dem fremden Herrn. Mittags waren beim Bürgermeister Gäste:
es ging lustig zu: der Cantor und die Schüler mußten singen. Als Strauber
fortfahren wollte, hielt ihn der Bürgermeister zurück und ließ sich beim Grafen
^das Instrument" holen. Während dessen hatten die Gräfin und das Fräulein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/26>, abgerufen am 29.04.2024.