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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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den Jungen des Fremden fragen lassen, wer sein Herr sei: der hatte seine
Auskunft geben können. Nach der Vesper in der Kirche waren die Herren
im Garten des Bürgermeisters und dann bis 11 Uhr in seinem Hause, wo.
wie zu der Zeit immer, tüchtig gezecht wurde. Auch hierbei sangen die Schüler.
Darauf, Nachts 11 Uhr, ging der ganze Zug auf der Straße spazieren -- sie
gingen ein wenig "^assatuin", wie sich der Bürgermeister ausdrückte. Da be¬
gegnete ihnen auf dem Kirchhofe der Glasir Bruder, tractirte sie vor des Grasen
Haus mit Bier, wobei wieder die Schüler singen mußten. Der Gräfin Bruder
ging dann mit zum Bürgermeister, wo in Wein fortgezccht wurde. Auf Be¬
fragen desselben nannte Strauber sich Dietrich von Wirben. Den dritten Tag
zeigte "mit Erlaubniß der Gräfin" der Bürgermeister seinem Gaste die Festung
und behielt ihn bei sich. Nachmittags kam der alte Graf: es wurde bis 1
Uhr Nachts beim Bürgermeister "gefressen und gesoffen." Dann geleiteten sie
den Grafen nach Hause, der den Fremden seinem Sohne, dem Grafen August
vorstellte und sie beim Becher noch zurückhielt. Der Cantor und die Schüler
waren immer dabei gewesen und mit herumgezogen. Am vierten Tage wurde
früh 10 Uhr der Herr von Wirben der Gräfin und dem Fräulein vorgestellt:
auch hier mußten die Schüler singen. Er blieb mit dem Bürgermeister den
ganzen Tag beim Grafen: es wurde geschmaust, gezecht und getanzt bis 1 Uhr
Nachts und für den nächsten Morgen wurden sie zum Frühstück eingeladen;
wie gewöhnlich gaben die Schüler den Heimkehrenden das Geleite und sangen
Vor des Bürgermeisters Hause noch einige Motetten. Den fünften Tag früh
wollte Strauber fort. Da erhielt er von einem "Bildhauer" Kupferstiche ver¬
ehrt und eine Büchse mit seinem und des Fräuleins Portrait in Wachs --
wahrscheinlich mehr Spekulation des gräflichen Hauses als des Bildhauers,
der zwei Goldgulden zur Verehrung erhielt. Nun mochte es aber dem Schwind¬
ler unheimlich werden. Darum schickte er des Bürgermeisters Jungen zum
Grafen, um Dank und Abschied zu sagen, "er bedanke sich höchlich des erzeigten
Willens und alles Guten, und lasse bitten, wenn er sich ungebührlich gehalten,
wollten sie es dem Trunke zurechnen". Da kam wieder Botschaft mit schönen
Complimenten, das Fräulein ließ sagen: "der fremde Herr und der Herr Bür¬
germeister müßten rechte Nachtraben sein." Zugleich schickte der Graf sein
Stammbuch. Da aber Ser-ander sich einzuschreiben ablehnte, so kam die drin¬
gende Einladung für Nachmittags zum Grafen und nachdem der Bürgermeister
und Strauber dort bis 1 Uhr geschmaust und gezecht, mußte letzterer beim jungen
Grafen zur Nacht bleiben. Auch den andern Morgen hielt ihn dieser mit
"Sect" zurück, bis sie von der Gräfin zum Frühstück gerufen wurden; der
Bürgermeister wurde geholt, Strauber mußte dableiben, den andern Tag wollte
ihn die Gräfin nach Berlin fahren lassen. Doch denselben Abend kam der
andere junge Gras, der kurbrandcnburgische Regierungsrath Johann Casimir zu


den Jungen des Fremden fragen lassen, wer sein Herr sei: der hatte seine
Auskunft geben können. Nach der Vesper in der Kirche waren die Herren
im Garten des Bürgermeisters und dann bis 11 Uhr in seinem Hause, wo.
wie zu der Zeit immer, tüchtig gezecht wurde. Auch hierbei sangen die Schüler.
Darauf, Nachts 11 Uhr, ging der ganze Zug auf der Straße spazieren — sie
gingen ein wenig „^assatuin", wie sich der Bürgermeister ausdrückte. Da be¬
gegnete ihnen auf dem Kirchhofe der Glasir Bruder, tractirte sie vor des Grasen
Haus mit Bier, wobei wieder die Schüler singen mußten. Der Gräfin Bruder
ging dann mit zum Bürgermeister, wo in Wein fortgezccht wurde. Auf Be¬
fragen desselben nannte Strauber sich Dietrich von Wirben. Den dritten Tag
zeigte „mit Erlaubniß der Gräfin" der Bürgermeister seinem Gaste die Festung
und behielt ihn bei sich. Nachmittags kam der alte Graf: es wurde bis 1
Uhr Nachts beim Bürgermeister „gefressen und gesoffen." Dann geleiteten sie
den Grafen nach Hause, der den Fremden seinem Sohne, dem Grafen August
vorstellte und sie beim Becher noch zurückhielt. Der Cantor und die Schüler
waren immer dabei gewesen und mit herumgezogen. Am vierten Tage wurde
früh 10 Uhr der Herr von Wirben der Gräfin und dem Fräulein vorgestellt:
auch hier mußten die Schüler singen. Er blieb mit dem Bürgermeister den
ganzen Tag beim Grafen: es wurde geschmaust, gezecht und getanzt bis 1 Uhr
Nachts und für den nächsten Morgen wurden sie zum Frühstück eingeladen;
wie gewöhnlich gaben die Schüler den Heimkehrenden das Geleite und sangen
Vor des Bürgermeisters Hause noch einige Motetten. Den fünften Tag früh
wollte Strauber fort. Da erhielt er von einem „Bildhauer" Kupferstiche ver¬
ehrt und eine Büchse mit seinem und des Fräuleins Portrait in Wachs —
wahrscheinlich mehr Spekulation des gräflichen Hauses als des Bildhauers,
der zwei Goldgulden zur Verehrung erhielt. Nun mochte es aber dem Schwind¬
ler unheimlich werden. Darum schickte er des Bürgermeisters Jungen zum
Grafen, um Dank und Abschied zu sagen, „er bedanke sich höchlich des erzeigten
Willens und alles Guten, und lasse bitten, wenn er sich ungebührlich gehalten,
wollten sie es dem Trunke zurechnen". Da kam wieder Botschaft mit schönen
Complimenten, das Fräulein ließ sagen: „der fremde Herr und der Herr Bür¬
germeister müßten rechte Nachtraben sein." Zugleich schickte der Graf sein
Stammbuch. Da aber Ser-ander sich einzuschreiben ablehnte, so kam die drin¬
gende Einladung für Nachmittags zum Grafen und nachdem der Bürgermeister
und Strauber dort bis 1 Uhr geschmaust und gezecht, mußte letzterer beim jungen
Grafen zur Nacht bleiben. Auch den andern Morgen hielt ihn dieser mit
„Sect" zurück, bis sie von der Gräfin zum Frühstück gerufen wurden; der
Bürgermeister wurde geholt, Strauber mußte dableiben, den andern Tag wollte
ihn die Gräfin nach Berlin fahren lassen. Doch denselben Abend kam der
andere junge Gras, der kurbrandcnburgische Regierungsrath Johann Casimir zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/27>, abgerufen am 03.05.2024.