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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Einzelnen weit übersteigt, kann nur die Vereinigung Vieler von Erfolg sein,
und wie wiederum jedes Zusammenwirken nur fruchttragend sein kann, wenn
es in einheitlicher Weise geleitet wird und die Gesamtleistungen nicht zer¬
splittert, sondern aus die zur Zeit gerade der Hilfe bedürfenden Punkte con-
centrirt weiden, so muß das deutsche See-Rettung?wesen auch dauernd durch
einen großen, alle Mittel zusammenfassenden Verein mit einheitlicher Spitze
geleitet werden.

Dennoch läßt sich aber auch hier, um einen thunlichst befriedigenden Zu¬
stand herzustellen, die Mitwirkung der Regierungsgewalt nicht ganz entbehren;
nicht zwar zur Herbcischaffmig reichlicherer Geldmittel, denn in dieser Richtung
hat sich der opferfreudige Sinn der Bevölkerung schon genügend manifestirt,
wohl aber wegen des engen im Binnenlande nicht genug gewürdigten Zusam¬
menhangs des Nettungswesens und des sog. Strandrechts; mit andern Wor¬
ten: die von der Privatthätigl'an erstrebte Rettung gestrandeter Menschen muß
in Einklang gesetzt werben mit der gesetzlich geregelten und meist durch Negic-
rungsorgane geleiteten Rettung der gestrandeten Schiffe und Güter. Während
früher fast lediglich auf die letztere das Augenmerk gerichtet war, ist jetzt end¬
lich mit Recht die erstere in den Vordergrund getreten. Die fast überall noch
in Kraft stehenden alten Strandungsordnungcn aber genügen dem jetzt allgemein
zur Geltung gebrachten Rechtsbewußtsein, daß bei jedem Schiffvruche zunächst
nur die Rettung von Menschenleben in Frage kommen dürfe und müsse, noch
keineswegs, und das lahmt dao Rctlungswerk oft auf das empfindlichste.
Die deutsche Presse hat unleugbar ein großes Verdienst um Förderung des
Nettungswesens; sie hat die Vereinsthätigkeit auf das wärmste unterstützt und
namentlich durch lebendige Schilderungen der Noth und der Gefahr der Schiff¬
brüchigen und durch Erzählungen von den todcsmuthigen Anstrengungen und
helvenkühnen Thaten der Rettungsmannschaften, die, um anderer Leben zu
retten, das eigene unbedenklich wagen, das Interesse der binnenländischen Be¬
völkerung an dem Rettungswerk zu beleben gestrebt, und dies Streben ist nicht
erfolgslos gewesen. Aber leider waren fast alle diese Schilderungen etwas
zu poetisch gefärbt und manche Rcttnngsthat, die im Oberlande mit andächtiger
Bewunderung angestaunt wird, findet an der Küste eine ganz andere und ge¬
rechtere Beurtheilung.

Die Wahrheit gebietet, offen zu sagen, daß der deutschen Küsten- und
Jnsclbevölt'erung der ihr durch die Journale und Zeitungen zu freigebig er>
theilte Ruhm, alle andern Interessen hintanzusetzen, sobald es sich um Rettung
von Menschenleben handelt, so allgemein leider noch nicht gebührt. Wir müssen
das behaupten, und wahrlich, wenn es anders wäre, so wäre es ein Wunder!
Man täusche sich nicht, schließlich bleibt im großen Ganzen genommen das eigne
Interesse die Triebfeder des menschlichen Handelns. Bringt man das Interesse


Einzelnen weit übersteigt, kann nur die Vereinigung Vieler von Erfolg sein,
und wie wiederum jedes Zusammenwirken nur fruchttragend sein kann, wenn
es in einheitlicher Weise geleitet wird und die Gesamtleistungen nicht zer¬
splittert, sondern aus die zur Zeit gerade der Hilfe bedürfenden Punkte con-
centrirt weiden, so muß das deutsche See-Rettung?wesen auch dauernd durch
einen großen, alle Mittel zusammenfassenden Verein mit einheitlicher Spitze
geleitet werden.

Dennoch läßt sich aber auch hier, um einen thunlichst befriedigenden Zu¬
stand herzustellen, die Mitwirkung der Regierungsgewalt nicht ganz entbehren;
nicht zwar zur Herbcischaffmig reichlicherer Geldmittel, denn in dieser Richtung
hat sich der opferfreudige Sinn der Bevölkerung schon genügend manifestirt,
wohl aber wegen des engen im Binnenlande nicht genug gewürdigten Zusam¬
menhangs des Nettungswesens und des sog. Strandrechts; mit andern Wor¬
ten: die von der Privatthätigl'an erstrebte Rettung gestrandeter Menschen muß
in Einklang gesetzt werben mit der gesetzlich geregelten und meist durch Negic-
rungsorgane geleiteten Rettung der gestrandeten Schiffe und Güter. Während
früher fast lediglich auf die letztere das Augenmerk gerichtet war, ist jetzt end¬
lich mit Recht die erstere in den Vordergrund getreten. Die fast überall noch
in Kraft stehenden alten Strandungsordnungcn aber genügen dem jetzt allgemein
zur Geltung gebrachten Rechtsbewußtsein, daß bei jedem Schiffvruche zunächst
nur die Rettung von Menschenleben in Frage kommen dürfe und müsse, noch
keineswegs, und das lahmt dao Rctlungswerk oft auf das empfindlichste.
Die deutsche Presse hat unleugbar ein großes Verdienst um Förderung des
Nettungswesens; sie hat die Vereinsthätigkeit auf das wärmste unterstützt und
namentlich durch lebendige Schilderungen der Noth und der Gefahr der Schiff¬
brüchigen und durch Erzählungen von den todcsmuthigen Anstrengungen und
helvenkühnen Thaten der Rettungsmannschaften, die, um anderer Leben zu
retten, das eigene unbedenklich wagen, das Interesse der binnenländischen Be¬
völkerung an dem Rettungswerk zu beleben gestrebt, und dies Streben ist nicht
erfolgslos gewesen. Aber leider waren fast alle diese Schilderungen etwas
zu poetisch gefärbt und manche Rcttnngsthat, die im Oberlande mit andächtiger
Bewunderung angestaunt wird, findet an der Küste eine ganz andere und ge¬
rechtere Beurtheilung.

Die Wahrheit gebietet, offen zu sagen, daß der deutschen Küsten- und
Jnsclbevölt'erung der ihr durch die Journale und Zeitungen zu freigebig er>
theilte Ruhm, alle andern Interessen hintanzusetzen, sobald es sich um Rettung
von Menschenleben handelt, so allgemein leider noch nicht gebührt. Wir müssen
das behaupten, und wahrlich, wenn es anders wäre, so wäre es ein Wunder!
Man täusche sich nicht, schließlich bleibt im großen Ganzen genommen das eigne
Interesse die Triebfeder des menschlichen Handelns. Bringt man das Interesse


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[0410] Einzelnen weit übersteigt, kann nur die Vereinigung Vieler von Erfolg sein, und wie wiederum jedes Zusammenwirken nur fruchttragend sein kann, wenn es in einheitlicher Weise geleitet wird und die Gesamtleistungen nicht zer¬ splittert, sondern aus die zur Zeit gerade der Hilfe bedürfenden Punkte con- centrirt weiden, so muß das deutsche See-Rettung?wesen auch dauernd durch einen großen, alle Mittel zusammenfassenden Verein mit einheitlicher Spitze geleitet werden. Dennoch läßt sich aber auch hier, um einen thunlichst befriedigenden Zu¬ stand herzustellen, die Mitwirkung der Regierungsgewalt nicht ganz entbehren; nicht zwar zur Herbcischaffmig reichlicherer Geldmittel, denn in dieser Richtung hat sich der opferfreudige Sinn der Bevölkerung schon genügend manifestirt, wohl aber wegen des engen im Binnenlande nicht genug gewürdigten Zusam¬ menhangs des Nettungswesens und des sog. Strandrechts; mit andern Wor¬ ten: die von der Privatthätigl'an erstrebte Rettung gestrandeter Menschen muß in Einklang gesetzt werben mit der gesetzlich geregelten und meist durch Negic- rungsorgane geleiteten Rettung der gestrandeten Schiffe und Güter. Während früher fast lediglich auf die letztere das Augenmerk gerichtet war, ist jetzt end¬ lich mit Recht die erstere in den Vordergrund getreten. Die fast überall noch in Kraft stehenden alten Strandungsordnungcn aber genügen dem jetzt allgemein zur Geltung gebrachten Rechtsbewußtsein, daß bei jedem Schiffvruche zunächst nur die Rettung von Menschenleben in Frage kommen dürfe und müsse, noch keineswegs, und das lahmt dao Rctlungswerk oft auf das empfindlichste. Die deutsche Presse hat unleugbar ein großes Verdienst um Förderung des Nettungswesens; sie hat die Vereinsthätigkeit auf das wärmste unterstützt und namentlich durch lebendige Schilderungen der Noth und der Gefahr der Schiff¬ brüchigen und durch Erzählungen von den todcsmuthigen Anstrengungen und helvenkühnen Thaten der Rettungsmannschaften, die, um anderer Leben zu retten, das eigene unbedenklich wagen, das Interesse der binnenländischen Be¬ völkerung an dem Rettungswerk zu beleben gestrebt, und dies Streben ist nicht erfolgslos gewesen. Aber leider waren fast alle diese Schilderungen etwas zu poetisch gefärbt und manche Rcttnngsthat, die im Oberlande mit andächtiger Bewunderung angestaunt wird, findet an der Küste eine ganz andere und ge¬ rechtere Beurtheilung. Die Wahrheit gebietet, offen zu sagen, daß der deutschen Küsten- und Jnsclbevölt'erung der ihr durch die Journale und Zeitungen zu freigebig er> theilte Ruhm, alle andern Interessen hintanzusetzen, sobald es sich um Rettung von Menschenleben handelt, so allgemein leider noch nicht gebührt. Wir müssen das behaupten, und wahrlich, wenn es anders wäre, so wäre es ein Wunder! Man täusche sich nicht, schließlich bleibt im großen Ganzen genommen das eigne Interesse die Triebfeder des menschlichen Handelns. Bringt man das Interesse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/410>, abgerufen am 01.05.2024.