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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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illiaAMg-irs). Der Arzt wider Willen. Der Sicilianer, oder Der Liebhaber als
Maler. Amphitryon. Herr von Pourceaugnac. Scapin's Schelmenstreiche (les
?vurkeri"3 ac Leapin). -- Wir sind dem Ueberscher dankbar, daß er sich ent¬
schlossen hat, den gesammten Moliere zu übertragen, denn das merkwürdige
Talent des größten Lustspieldichters der Franzosen wird nur aus der Gesammt¬
heit seiner Dramen vollständig erkannt, gerade in den leichten Gclegenheits-
stücken ist die unübertreffliche Grazie und Feinheit seiner Charakteristik und
Scenensührung am meisten bewundernswürdig.

Die Bedeutung der Übersetzung ist in d. Bl. bei der Besprechung
des ersten Bandes gewürdigt. Uns wurde die Freude, von demselben verehrten
Mann, der mit Schlegel und Tieck zuerst den Shakespeare bei uns einbürgern
half, auch die Uebertragung Molieres zu erhalten, die erste, welche den höchsten
Anforderungen entspricht, die wir an eine Ueberhebung dieses Dichters zu machen
haben. Vor allem erfreulich ist die Germanistrung molierischer Verse. Der Ueber"
scher hat den Alexandriner in den deutschen dramatischen Fünffuß ver¬
wandelt; über die Berechtigung und Nothwendigkeit dieses Verfahrens ist früher
ausführlich gehandelt worden. Der französische Alexandriner erhält durch das
Wesen der romanischen Sprache, ihr eigenthümliches Accent- und Klangleben
einen weitverschiedenen Charakter von dem deutschen jambischen Sechsfuß,
wenn dieser durch die Cäsur in völlig gleiche Theile getheilt wird; der franzö¬
sische ist ein lebhafter, stattlich dahinschreitender Sohn der guten Gesellschaft,
der deutsche ein eckiger, langweiliger, anmaßender Pedant. Es war für den
feinen und geistvollen Moliere bisher eine harte Sache, durch solchen plumpen Vers
den Deutschen bekannt zu werden. Auch in den Prosastücken hat Graf Baudissin
seine Uebersetzervirtuosität bewährt, obwohl hier zuweilen unmöglich ist, den
feinen Hauch altfranzösischer Diction durch entsprechende Redeformen und Satz¬
bildung wiederzugeben und der Ucberscher adoptirt launig den Ausspruch von
Mademoiselle Böjart, der berühmten Schauspielerin Molieres: 1^ xroLv est
IM eneoro gue los vers.

Es sind jetzt zweihundert Jahre her, seit Moliere auf der Höhe seines
Ruhmes stand, und während dieser ganzen Zeit hat er durch seine Nachfolger
die heitere Bühne Europas beherrscht.

Seit die Komödie Anekdoten und Charaktere des Privatlebens durch die
Kunst des Schauspielers darstellt, also seit der mittlern und jüngern attischen
Komödie, ist ihr das Entlehnen und Unbilden älterer Stoffe und Rollen in
^>rer Ausdehnung eigen geblieben, wie keiner andern Gattung der Poesie.
Die Erfindungen der Griechen wurden von Plautus und Terenz, die Komödien
Römer seit der Renaissance von allen Völkern Europas, den Engländern,
Italienern, nicht zuletzt von Moliere ausgebeutet. Von Moliere entnahmen
wieder Holberg und die Deutschen des vorigen Jahrhunderts ganze Handlungen,


illiaAMg-irs). Der Arzt wider Willen. Der Sicilianer, oder Der Liebhaber als
Maler. Amphitryon. Herr von Pourceaugnac. Scapin's Schelmenstreiche (les
?vurkeri«3 ac Leapin). — Wir sind dem Ueberscher dankbar, daß er sich ent¬
schlossen hat, den gesammten Moliere zu übertragen, denn das merkwürdige
Talent des größten Lustspieldichters der Franzosen wird nur aus der Gesammt¬
heit seiner Dramen vollständig erkannt, gerade in den leichten Gclegenheits-
stücken ist die unübertreffliche Grazie und Feinheit seiner Charakteristik und
Scenensührung am meisten bewundernswürdig.

Die Bedeutung der Übersetzung ist in d. Bl. bei der Besprechung
des ersten Bandes gewürdigt. Uns wurde die Freude, von demselben verehrten
Mann, der mit Schlegel und Tieck zuerst den Shakespeare bei uns einbürgern
half, auch die Uebertragung Molieres zu erhalten, die erste, welche den höchsten
Anforderungen entspricht, die wir an eine Ueberhebung dieses Dichters zu machen
haben. Vor allem erfreulich ist die Germanistrung molierischer Verse. Der Ueber«
scher hat den Alexandriner in den deutschen dramatischen Fünffuß ver¬
wandelt; über die Berechtigung und Nothwendigkeit dieses Verfahrens ist früher
ausführlich gehandelt worden. Der französische Alexandriner erhält durch das
Wesen der romanischen Sprache, ihr eigenthümliches Accent- und Klangleben
einen weitverschiedenen Charakter von dem deutschen jambischen Sechsfuß,
wenn dieser durch die Cäsur in völlig gleiche Theile getheilt wird; der franzö¬
sische ist ein lebhafter, stattlich dahinschreitender Sohn der guten Gesellschaft,
der deutsche ein eckiger, langweiliger, anmaßender Pedant. Es war für den
feinen und geistvollen Moliere bisher eine harte Sache, durch solchen plumpen Vers
den Deutschen bekannt zu werden. Auch in den Prosastücken hat Graf Baudissin
seine Uebersetzervirtuosität bewährt, obwohl hier zuweilen unmöglich ist, den
feinen Hauch altfranzösischer Diction durch entsprechende Redeformen und Satz¬
bildung wiederzugeben und der Ucberscher adoptirt launig den Ausspruch von
Mademoiselle Böjart, der berühmten Schauspielerin Molieres: 1^ xroLv est
IM eneoro gue los vers.

Es sind jetzt zweihundert Jahre her, seit Moliere auf der Höhe seines
Ruhmes stand, und während dieser ganzen Zeit hat er durch seine Nachfolger
die heitere Bühne Europas beherrscht.

Seit die Komödie Anekdoten und Charaktere des Privatlebens durch die
Kunst des Schauspielers darstellt, also seit der mittlern und jüngern attischen
Komödie, ist ihr das Entlehnen und Unbilden älterer Stoffe und Rollen in
^>rer Ausdehnung eigen geblieben, wie keiner andern Gattung der Poesie.
Die Erfindungen der Griechen wurden von Plautus und Terenz, die Komödien
Römer seit der Renaissance von allen Völkern Europas, den Engländern,
Italienern, nicht zuletzt von Moliere ausgebeutet. Von Moliere entnahmen
wieder Holberg und die Deutschen des vorigen Jahrhunderts ganze Handlungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/439>, abgerufen am 27.04.2024.