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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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müsse zur Sühne auf der Stelle gesteinigt werden. Die Behörde aber, welche
von einem solchen tumultuarischen Verfahren Auflösung aller Zucht und Ord¬
nung fürchtete, suchte den Rath und das Publicum zu beruhigen, nach alter
Sitte solle man ordentlich Gericht halten, Anklage und Vertheidigung ver¬
nehmen und nach Recht und Gesetz ein Urtheil fällen, nicht ungehört nach Bar¬
baren und Tyrannen Weise verdammen, sondern in Ruhe ein Exempel statuiren.

Der gute Rath wurde angenommen und sofort berief der Herold den Rath
ins Stadthaus. Nachdem dort alle ihrem Range gemäß Platz genommen, trat
zuerst vom Herold aufgefordert der Ankläger auf, dann wurde der Angeklagte
vorgeführt und nach dem strengen Verfahren des Areopags gebot der Herold
den Sachwaltern, durch keinerlei Redekünste Mitleid zu erregen. Nachdem von
beiden Seiten gesprochen war, beschloß man durch sichere Beweismittel den
Thatbestand festzustellen und nicht nach Vermuthungen zu urtheilen, und des¬
halb jenen Sklaven, der ja allein wissen sollte, wie alles vor sich gegangen sei,
als Zeugen zu vernehmen. Der Galgenstrick ließ sich weder durch den An¬
blick des hohen Gerichtshofes, noch der dicht gedrängten Menge, auch nicht durch
sein böses Gewissen einschüchtern und trug seine eignen Erfindungen als wahr¬
hafte Aussage vor. Der Jüngling habe ihn erbittert, weil ihn die Stiefmutter
abgewiesen, zu sich gerufen und ihn geheißen, aus Rache den Bruder zu tödten,
er habe ihm eine große Belohnung versprochen, wenn er schweige, den Tod an¬
gedroht, da er sich weigerte, er habe ihm dann das mit eigener Hand vermischte
Gift übergeben, um es dem Bruder beizubringen, endlich aber, in dem Arg¬
wohn, er behalte den Becher als Beweismittel für eine Anklage zurück, selbst
dem Knaben das Gift gereicht. Als der Elende dies mit meisterhaft verstellter
Angst angegeben hatte, wurde die Verhandlung geschlossen.

Alle Richter erklärten den Jüngling für unzweifelhaft schuldig und verur-
theilten ihn zum Tod des Säckens. Als sie nun der Anordnung gemäß ihre
Stimmstcine, die alle gleich waren, in die Urne werfen sollten, worauf dann
das Schicksal des Angeklagten ohne Widerruf entschieden war, indem sein Haupt
dem Nachrichter verfiel, da stand aus der Reihe der Richter ein bejahrter Arzt
auf, der allgemein Vertrauen und Ansehen genoß, legte seine Hand auf die
Urne, daß niemand seine Stimmstcine hineinlegen konnte und sagte:

"Ich freue mich, daß euer Vertrauen mich bis in mein hohes Alter be¬
gleitet hat, damit ich verhüte, daß nicht an einem fälschlich Angeklagten ein
Mord begangen werde und ihr, die ihr als Geschworne richtet, euch mit einem
Meineid beladet. Ich kann nicht gegen mein Gewissen vor dem Angesicht der
Götter einen falschen Ausspruch thun, darum hört, wie sich die Sache verhält.
Der Schurke da wollte ein schnell wirkendes Gift kaufen und bot mir unlängst
100 Goldstücke dafür, indem er vorgab, ein Kranker bedürfe desselben, der lang'
jährigen Qualen eines unheilbaren Leidens dadurch ein Ende machen wolle.


müsse zur Sühne auf der Stelle gesteinigt werden. Die Behörde aber, welche
von einem solchen tumultuarischen Verfahren Auflösung aller Zucht und Ord¬
nung fürchtete, suchte den Rath und das Publicum zu beruhigen, nach alter
Sitte solle man ordentlich Gericht halten, Anklage und Vertheidigung ver¬
nehmen und nach Recht und Gesetz ein Urtheil fällen, nicht ungehört nach Bar¬
baren und Tyrannen Weise verdammen, sondern in Ruhe ein Exempel statuiren.

Der gute Rath wurde angenommen und sofort berief der Herold den Rath
ins Stadthaus. Nachdem dort alle ihrem Range gemäß Platz genommen, trat
zuerst vom Herold aufgefordert der Ankläger auf, dann wurde der Angeklagte
vorgeführt und nach dem strengen Verfahren des Areopags gebot der Herold
den Sachwaltern, durch keinerlei Redekünste Mitleid zu erregen. Nachdem von
beiden Seiten gesprochen war, beschloß man durch sichere Beweismittel den
Thatbestand festzustellen und nicht nach Vermuthungen zu urtheilen, und des¬
halb jenen Sklaven, der ja allein wissen sollte, wie alles vor sich gegangen sei,
als Zeugen zu vernehmen. Der Galgenstrick ließ sich weder durch den An¬
blick des hohen Gerichtshofes, noch der dicht gedrängten Menge, auch nicht durch
sein böses Gewissen einschüchtern und trug seine eignen Erfindungen als wahr¬
hafte Aussage vor. Der Jüngling habe ihn erbittert, weil ihn die Stiefmutter
abgewiesen, zu sich gerufen und ihn geheißen, aus Rache den Bruder zu tödten,
er habe ihm eine große Belohnung versprochen, wenn er schweige, den Tod an¬
gedroht, da er sich weigerte, er habe ihm dann das mit eigener Hand vermischte
Gift übergeben, um es dem Bruder beizubringen, endlich aber, in dem Arg¬
wohn, er behalte den Becher als Beweismittel für eine Anklage zurück, selbst
dem Knaben das Gift gereicht. Als der Elende dies mit meisterhaft verstellter
Angst angegeben hatte, wurde die Verhandlung geschlossen.

Alle Richter erklärten den Jüngling für unzweifelhaft schuldig und verur-
theilten ihn zum Tod des Säckens. Als sie nun der Anordnung gemäß ihre
Stimmstcine, die alle gleich waren, in die Urne werfen sollten, worauf dann
das Schicksal des Angeklagten ohne Widerruf entschieden war, indem sein Haupt
dem Nachrichter verfiel, da stand aus der Reihe der Richter ein bejahrter Arzt
auf, der allgemein Vertrauen und Ansehen genoß, legte seine Hand auf die
Urne, daß niemand seine Stimmstcine hineinlegen konnte und sagte:

„Ich freue mich, daß euer Vertrauen mich bis in mein hohes Alter be¬
gleitet hat, damit ich verhüte, daß nicht an einem fälschlich Angeklagten ein
Mord begangen werde und ihr, die ihr als Geschworne richtet, euch mit einem
Meineid beladet. Ich kann nicht gegen mein Gewissen vor dem Angesicht der
Götter einen falschen Ausspruch thun, darum hört, wie sich die Sache verhält.
Der Schurke da wollte ein schnell wirkendes Gift kaufen und bot mir unlängst
100 Goldstücke dafür, indem er vorgab, ein Kranker bedürfe desselben, der lang'
jährigen Qualen eines unheilbaren Leidens dadurch ein Ende machen wolle.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/470>, abgerufen am 16.06.2024.