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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Da ich deutlich erkannte, daß der elende Mensch ohne Zusammenhang schwatzte,
und sicher war, daß er Unheil vorhatte, gab ich ihm einen Trank, nahm aber
in Berücksichtigung einer künftigen Untersuchung nicht gleich das angebotene
Geld an. Damit nicht etwa, sagte ich, unter deinen Goldstücken ein falsches
sich finde, so thue sie in diesen Beutel und versiegte ihn mit deinem Petschaft,
damit wir nächstertags beim Wechsler sie prüfen lassen. Er lieh sich bestim¬
men, den Beutel zu versiegeln, den ich, sowie er vor Gericht erschien, rasch von
einem meiner Leute aus meiner Bude holen ließ; hier ist er, wie ich ihn vor¬
lege. Er mag ihn sich ansehen und sein Siegel recognosciren. Wie soll der
Bruder um des Giftes willen belangt werden, was dieser gekauft hat?"

Ein ungeheurer Schrecken befiel den Sklaven, Todtenblässe bedeckte sein
Gesicht, kalter Angstschweiß seine Glieder. Bald trat er auf den einen, bald
auf den andern Fuß. kratzte sich den Kopf und murmelte stotternd unverständ¬
liche Worte, daß jedermann seine Schuld klar erkannte. Aber bald gewann
er die Fassung wieder, leugnete alles ab und zieh den Arzt Lügen. Als der
so seine Glaubwürdigkeit vor seinen Mitbürgern angegriffen sah. suchte er mit
um so größerem Eifer den Schurken zu widerlegen, bis auf Befehl der Be¬
hörde die Gerichtsdiener die Hände des Sklaven untersuchten, ihm einen eiser¬
nen Ring abzogen, mit dem Siegel verglichen und dadurch den Verdacht be¬
stätigten. Jetzt ward nach griechischem Gerichtsverfahren die Tortur gegen ihn
angewendet, aber selbst das Brennen konnte ihn nicht zum Geständnis; bringen.

Daraus sagte der Arzt: "Ich kann nicht zugeben, daß dieser unschuldige
Jüngling gegen das Recht getödtet und der Verbrecher zum Hohn des Gerichts
unbestraft bleibe. Ich werde euch einen thatsächlichen Beweis geben. Als der
Elende ein tödtliches Gift von mir verlangte, hielt ich es nicht mit meiner
Kunst vereinbar, einem Menschen zum Tode zu verhelfen, da die Arzneikunde
zur Rettung, nicht zur Vernichtung dienen soll, ich fürchtete aber, wenn ich es
ihm abschlüge, durch meine unzeitige Weigerung ihm den Weg zum Verbrechen
zu bahnen, indem er von einem andern das Gift erkaufen oder auch mit
Schwert oder Dolch den Mord vollbringen könnte, deshalb gab ich ihm ein
Mittel, aber ein einschläferndes, AlKaun, das bekanntlich eine todtesähnliche
Betäubung bewirkt. Kein Wunder, wenn der Mörder, der des Todes gewiß ist,
die Schmerzen der Tortur aushält. Hat aber der Knabe wirklich den von mir
bereiteten Trank genommen, so lebt er und schläft nur, und wird aus seinem
schweren Todesschlaf wieder zum Tageslicht erwachen; ist er in Wahrheit todt,
so sucht die Ursache seines Todes anderswo."

Die Rede des Arztes wurde beifällig aufgenommen und man zog sogleich
ZU dem Grabe, in welchem die Leiche des Knaben beigesetzt war. Vom Rath,
Von den Vornehmen, von den Bürgern fehlte niemand; alles eilte dorthin.
Als der Vater mit eigenen Händen den Deckel vom Sarge entfernt hatte,


Da ich deutlich erkannte, daß der elende Mensch ohne Zusammenhang schwatzte,
und sicher war, daß er Unheil vorhatte, gab ich ihm einen Trank, nahm aber
in Berücksichtigung einer künftigen Untersuchung nicht gleich das angebotene
Geld an. Damit nicht etwa, sagte ich, unter deinen Goldstücken ein falsches
sich finde, so thue sie in diesen Beutel und versiegte ihn mit deinem Petschaft,
damit wir nächstertags beim Wechsler sie prüfen lassen. Er lieh sich bestim¬
men, den Beutel zu versiegeln, den ich, sowie er vor Gericht erschien, rasch von
einem meiner Leute aus meiner Bude holen ließ; hier ist er, wie ich ihn vor¬
lege. Er mag ihn sich ansehen und sein Siegel recognosciren. Wie soll der
Bruder um des Giftes willen belangt werden, was dieser gekauft hat?"

Ein ungeheurer Schrecken befiel den Sklaven, Todtenblässe bedeckte sein
Gesicht, kalter Angstschweiß seine Glieder. Bald trat er auf den einen, bald
auf den andern Fuß. kratzte sich den Kopf und murmelte stotternd unverständ¬
liche Worte, daß jedermann seine Schuld klar erkannte. Aber bald gewann
er die Fassung wieder, leugnete alles ab und zieh den Arzt Lügen. Als der
so seine Glaubwürdigkeit vor seinen Mitbürgern angegriffen sah. suchte er mit
um so größerem Eifer den Schurken zu widerlegen, bis auf Befehl der Be¬
hörde die Gerichtsdiener die Hände des Sklaven untersuchten, ihm einen eiser¬
nen Ring abzogen, mit dem Siegel verglichen und dadurch den Verdacht be¬
stätigten. Jetzt ward nach griechischem Gerichtsverfahren die Tortur gegen ihn
angewendet, aber selbst das Brennen konnte ihn nicht zum Geständnis; bringen.

Daraus sagte der Arzt: „Ich kann nicht zugeben, daß dieser unschuldige
Jüngling gegen das Recht getödtet und der Verbrecher zum Hohn des Gerichts
unbestraft bleibe. Ich werde euch einen thatsächlichen Beweis geben. Als der
Elende ein tödtliches Gift von mir verlangte, hielt ich es nicht mit meiner
Kunst vereinbar, einem Menschen zum Tode zu verhelfen, da die Arzneikunde
zur Rettung, nicht zur Vernichtung dienen soll, ich fürchtete aber, wenn ich es
ihm abschlüge, durch meine unzeitige Weigerung ihm den Weg zum Verbrechen
zu bahnen, indem er von einem andern das Gift erkaufen oder auch mit
Schwert oder Dolch den Mord vollbringen könnte, deshalb gab ich ihm ein
Mittel, aber ein einschläferndes, AlKaun, das bekanntlich eine todtesähnliche
Betäubung bewirkt. Kein Wunder, wenn der Mörder, der des Todes gewiß ist,
die Schmerzen der Tortur aushält. Hat aber der Knabe wirklich den von mir
bereiteten Trank genommen, so lebt er und schläft nur, und wird aus seinem
schweren Todesschlaf wieder zum Tageslicht erwachen; ist er in Wahrheit todt,
so sucht die Ursache seines Todes anderswo."

Die Rede des Arztes wurde beifällig aufgenommen und man zog sogleich
ZU dem Grabe, in welchem die Leiche des Knaben beigesetzt war. Vom Rath,
Von den Vornehmen, von den Bürgern fehlte niemand; alles eilte dorthin.
Als der Vater mit eigenen Händen den Deckel vom Sarge entfernt hatte,


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[0471] Da ich deutlich erkannte, daß der elende Mensch ohne Zusammenhang schwatzte, und sicher war, daß er Unheil vorhatte, gab ich ihm einen Trank, nahm aber in Berücksichtigung einer künftigen Untersuchung nicht gleich das angebotene Geld an. Damit nicht etwa, sagte ich, unter deinen Goldstücken ein falsches sich finde, so thue sie in diesen Beutel und versiegte ihn mit deinem Petschaft, damit wir nächstertags beim Wechsler sie prüfen lassen. Er lieh sich bestim¬ men, den Beutel zu versiegeln, den ich, sowie er vor Gericht erschien, rasch von einem meiner Leute aus meiner Bude holen ließ; hier ist er, wie ich ihn vor¬ lege. Er mag ihn sich ansehen und sein Siegel recognosciren. Wie soll der Bruder um des Giftes willen belangt werden, was dieser gekauft hat?" Ein ungeheurer Schrecken befiel den Sklaven, Todtenblässe bedeckte sein Gesicht, kalter Angstschweiß seine Glieder. Bald trat er auf den einen, bald auf den andern Fuß. kratzte sich den Kopf und murmelte stotternd unverständ¬ liche Worte, daß jedermann seine Schuld klar erkannte. Aber bald gewann er die Fassung wieder, leugnete alles ab und zieh den Arzt Lügen. Als der so seine Glaubwürdigkeit vor seinen Mitbürgern angegriffen sah. suchte er mit um so größerem Eifer den Schurken zu widerlegen, bis auf Befehl der Be¬ hörde die Gerichtsdiener die Hände des Sklaven untersuchten, ihm einen eiser¬ nen Ring abzogen, mit dem Siegel verglichen und dadurch den Verdacht be¬ stätigten. Jetzt ward nach griechischem Gerichtsverfahren die Tortur gegen ihn angewendet, aber selbst das Brennen konnte ihn nicht zum Geständnis; bringen. Daraus sagte der Arzt: „Ich kann nicht zugeben, daß dieser unschuldige Jüngling gegen das Recht getödtet und der Verbrecher zum Hohn des Gerichts unbestraft bleibe. Ich werde euch einen thatsächlichen Beweis geben. Als der Elende ein tödtliches Gift von mir verlangte, hielt ich es nicht mit meiner Kunst vereinbar, einem Menschen zum Tode zu verhelfen, da die Arzneikunde zur Rettung, nicht zur Vernichtung dienen soll, ich fürchtete aber, wenn ich es ihm abschlüge, durch meine unzeitige Weigerung ihm den Weg zum Verbrechen zu bahnen, indem er von einem andern das Gift erkaufen oder auch mit Schwert oder Dolch den Mord vollbringen könnte, deshalb gab ich ihm ein Mittel, aber ein einschläferndes, AlKaun, das bekanntlich eine todtesähnliche Betäubung bewirkt. Kein Wunder, wenn der Mörder, der des Todes gewiß ist, die Schmerzen der Tortur aushält. Hat aber der Knabe wirklich den von mir bereiteten Trank genommen, so lebt er und schläft nur, und wird aus seinem schweren Todesschlaf wieder zum Tageslicht erwachen; ist er in Wahrheit todt, so sucht die Ursache seines Todes anderswo." Die Rede des Arztes wurde beifällig aufgenommen und man zog sogleich ZU dem Grabe, in welchem die Leiche des Knaben beigesetzt war. Vom Rath, Von den Vornehmen, von den Bürgern fehlte niemand; alles eilte dorthin. Als der Vater mit eigenen Händen den Deckel vom Sarge entfernt hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/471>, abgerufen am 24.05.2024.