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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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aber ist die Behandlung des Haars, dessen zierlicher, über der Stirn in eine
Schleife zusammengefaßter Lockenbau ein Haupteffectstück der Marmorstatue bildet,
während in der Bronze dieselbe Anlage schlicht und einfach ausgeführt ist. Wenn
man diese Begleichung weiter durchführt, wird man immer wieder zu demselben
Resultat gelangen, daß eine und dieselbe künstlerische Conception beiden zu
Grunde liegt, hier einfacher, dort raffinirter ausgeführt. Da es nun gleich
unwahrscheinlich ist, daß die Bronzestatuette nach der Marmorstatue, als daß diese
nach jener gearbeitet sei, so bleibt nur die durch zahlreiche Analogien unter¬
stützte Annahme übrig, daß beide nach demselben Original gearbeitet sind, wo¬
bei es dahin gestellt bleiben muß, ob und welcherlei Mittelglieder zwischen dem
eigentlichen Original und einer oder beiden davon abgeleiteten Sculpturen
etwa noch gestanden haben. Nur das läßt sich behaupten, daß die
Bronze ihrem ganzen Charakter nach eine ältere Kunstweise wiedergiebt, also
dem Vorbild näher steht als das Marmorwerk. Dadurch sehen wir das kunst¬
historische Räthsel im Wesentlichen gelöst. Der Apoll von Belvedere nimmt
nicht mehr die isolirte Stellung als eine Origiiialschöpfung der Kaiserzeit ein,
er tritt in die lange Reihe plastischer Werke, welche wir als mehr oder
weniger freie Nachbildungen berühmter Schöpfungen früherer Zeiten erkennen.
Auch der Apoll von Belvedere ist eine Conception der frühern griechischen
Kunst, das Raffinement der technischen Ausführung, der gesteigerte Effect des
theatralischen Pathos gehört dem virtuosen Nachbildner der Kaiserzeit an.
Dies Resultat hat neuerdings eine erwünschte Bestätigung gefunden.

Im vorigen Jahre fand der Bildhauer Steinhäuser in Rom bei einem
Steinmetz unter altem Gerümpel einen Marmorkopf, der ihm, wiewohl er ver¬
stümmelt war, wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Apoll von Belvedere auffiel,
und den er deshalb an sich kaufte. Nähere Untersuchung ergab, wiewohl
die Nase fehlt, die Haare und die Oberlippe zum Theil verstoßen sind, eine
so genaue Uebereinstimmung in den Maßen wie im Detail der Formen, daß
ein Gypsabguß des neuen Kopfes ohne Weiteres auf die Büste des vati¬
kanischen Apollo gesetzt werden konnte, daß die Nase und die entsprechenden
Theile des Haars und der Lippe zur Restauration des verstümmelten Kopfes
dienten. Es blieb also kein Zweifel, daß der neu gefundene Kopf einer Statue
angehörte, welche als das dritte Exemplar dasselbe Werk wiedergab, von welchem
der Apollo Stroganoff wie der vaticanische Nachbildungen sind. Hebt sich schon da¬
durch die günstige Vorstellung von dem Ruf und der Bedeutung des Originals
so wird dieselbe noch durch eine genauere Würdigung des neuen Kopfes ge¬
steigert, wie sie von Kekulö umsichtig angestellt ist, dem wir eine photo¬
graphische Abbildung verdanken. Bei der großen Uebereinstimmung geben sich
nämlich auch bedeutsame Verschiedenheiten zu Gunsten des neu aufgefundenen
Kopfes zu erkennen, welcher zu d"in des vaticanischen in einem ähnlichen Ver-


aber ist die Behandlung des Haars, dessen zierlicher, über der Stirn in eine
Schleife zusammengefaßter Lockenbau ein Haupteffectstück der Marmorstatue bildet,
während in der Bronze dieselbe Anlage schlicht und einfach ausgeführt ist. Wenn
man diese Begleichung weiter durchführt, wird man immer wieder zu demselben
Resultat gelangen, daß eine und dieselbe künstlerische Conception beiden zu
Grunde liegt, hier einfacher, dort raffinirter ausgeführt. Da es nun gleich
unwahrscheinlich ist, daß die Bronzestatuette nach der Marmorstatue, als daß diese
nach jener gearbeitet sei, so bleibt nur die durch zahlreiche Analogien unter¬
stützte Annahme übrig, daß beide nach demselben Original gearbeitet sind, wo¬
bei es dahin gestellt bleiben muß, ob und welcherlei Mittelglieder zwischen dem
eigentlichen Original und einer oder beiden davon abgeleiteten Sculpturen
etwa noch gestanden haben. Nur das läßt sich behaupten, daß die
Bronze ihrem ganzen Charakter nach eine ältere Kunstweise wiedergiebt, also
dem Vorbild näher steht als das Marmorwerk. Dadurch sehen wir das kunst¬
historische Räthsel im Wesentlichen gelöst. Der Apoll von Belvedere nimmt
nicht mehr die isolirte Stellung als eine Origiiialschöpfung der Kaiserzeit ein,
er tritt in die lange Reihe plastischer Werke, welche wir als mehr oder
weniger freie Nachbildungen berühmter Schöpfungen früherer Zeiten erkennen.
Auch der Apoll von Belvedere ist eine Conception der frühern griechischen
Kunst, das Raffinement der technischen Ausführung, der gesteigerte Effect des
theatralischen Pathos gehört dem virtuosen Nachbildner der Kaiserzeit an.
Dies Resultat hat neuerdings eine erwünschte Bestätigung gefunden.

Im vorigen Jahre fand der Bildhauer Steinhäuser in Rom bei einem
Steinmetz unter altem Gerümpel einen Marmorkopf, der ihm, wiewohl er ver¬
stümmelt war, wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Apoll von Belvedere auffiel,
und den er deshalb an sich kaufte. Nähere Untersuchung ergab, wiewohl
die Nase fehlt, die Haare und die Oberlippe zum Theil verstoßen sind, eine
so genaue Uebereinstimmung in den Maßen wie im Detail der Formen, daß
ein Gypsabguß des neuen Kopfes ohne Weiteres auf die Büste des vati¬
kanischen Apollo gesetzt werden konnte, daß die Nase und die entsprechenden
Theile des Haars und der Lippe zur Restauration des verstümmelten Kopfes
dienten. Es blieb also kein Zweifel, daß der neu gefundene Kopf einer Statue
angehörte, welche als das dritte Exemplar dasselbe Werk wiedergab, von welchem
der Apollo Stroganoff wie der vaticanische Nachbildungen sind. Hebt sich schon da¬
durch die günstige Vorstellung von dem Ruf und der Bedeutung des Originals
so wird dieselbe noch durch eine genauere Würdigung des neuen Kopfes ge¬
steigert, wie sie von Kekulö umsichtig angestellt ist, dem wir eine photo¬
graphische Abbildung verdanken. Bei der großen Uebereinstimmung geben sich
nämlich auch bedeutsame Verschiedenheiten zu Gunsten des neu aufgefundenen
Kopfes zu erkennen, welcher zu d«in des vaticanischen in einem ähnlichen Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/48>, abgerufen am 03.05.2024.