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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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um über dieselben wird an der Sache selbst nichts geändert und die Freude
über einen den Gegnern bereiteten Aerger würde reichlich aufgewogen durch den
Verlust an Einfluß, der die Folge jedes Mißerfolges ist.

Läßt sich von einem Appel an die Beihilfe der Bundesgewalt in der vor¬
liegenden Angelegenheit nichts hoffen, muß dieselbe innerhalb Sachsens ausge¬
tragen werden, so wird sichs zunächst um eine Entscheidung darüber handeln,
ob die von der Regierung gemachten Vorschläge zur Basis weiterer Verhand-
lungen dienen können oder nicht. Betrachten wir das neue Wahlgesetz, insoweit
es sich aus die zweite Kammer bezieht und lassen wir das Haus der sächsischen
Lords zunächst aus dem Spiel, so kann diese Frage unserer Anschauung nach
bejaht werden. Die Hauptmangel der alten Verfassung, der Bezirkszwang und
die einseitige Vertretung der Berufsstände sind gefallen, die indirekten Wahlen
in direkte verwandelt worden. Das Hauptargumcnt, welches die Demokratie
gegen das neue Wahlgesetz anführt, das Fortbestehen eines Census, können wir
für keinen Nachtheil halten, zumal wenn das allgemeine Stimmrecht Hand in
Hand gehen soll mit der Beibehaltung der Diäten. Das allgemeine Stimmrecht,
welches für die Wahlen zum Reichstag besteht, ist noch für keinen einzigen
Locallandtag eingeführt worden und wir haben allen Grund zu der Annahme,
daß das nicht so leicht geschehen, die Beschränkung des Wahlrechts zu den terri¬
torialen Landtagen vielmehr als heilsames Korrektiv gegen die Gefahren auf¬
recht erhalten bleiben werde, welche das allgemeine Stimmrecht unzweifelhaft
im Gefolge hat. Dazu kommt, daß der von der sächsischen Regierung vor¬
geschlagene Census ein außerordentlich niedriger ist und bei dem Fortbestehen
der Diäten für einen der liberalsten in ganz Deutschland gelten kann. Durch¬
aus verwerflich erscheint uns dagegen, daß die Regierungsvorlage an dem
Unterschiede städtischer und ländlicher Wahlbezirke festhält und auf die Hin¬
wegräumung dieser Verletzung des constitutionellen Princips sollten die säch¬
sischen Liberalen ihr Hauptaugenmerk richten und dasselbe zu einer Bedingung
weiterer Verhandlungen machen. Bei der Zähigkeit, mit welcher alle specifisch
sächsischen Parteien an der Beibehaltung der Diäten hängen, scheinen uns die
Anstrengungen zu Gunsten des allgemeinen Stimmrechts von vornherein über-
flüssig zu sein, da sie an dem entschiedenen Widerspruch der Regierung scheitern
müssen, und man thäte darum wohl, sich mit dem in Vorschlag gebrachten niedri¬
gen Census zu begnügen. An diesem festzuhalten scheint uns um so noth-
wendiger zu sein, als die Wirksamkeit jeder sächsischen Parlamentsreform von
der Beseitigung der ersten Kammer abhängig ist, gegen diese aber nur
Sturm gelaufen werden kann, wenn die Zusammensetzung der zweiten für eine
gehörige Vertretung auch der conservativen Interessen Garantien bietet.

Einer der verhält^nißvollsten Irrthümer, welche der deutsche Parlamen¬
tarismus, zumal der klcinstaatliche aus den Zeiten herüber genommen hat, in


um über dieselben wird an der Sache selbst nichts geändert und die Freude
über einen den Gegnern bereiteten Aerger würde reichlich aufgewogen durch den
Verlust an Einfluß, der die Folge jedes Mißerfolges ist.

Läßt sich von einem Appel an die Beihilfe der Bundesgewalt in der vor¬
liegenden Angelegenheit nichts hoffen, muß dieselbe innerhalb Sachsens ausge¬
tragen werden, so wird sichs zunächst um eine Entscheidung darüber handeln,
ob die von der Regierung gemachten Vorschläge zur Basis weiterer Verhand-
lungen dienen können oder nicht. Betrachten wir das neue Wahlgesetz, insoweit
es sich aus die zweite Kammer bezieht und lassen wir das Haus der sächsischen
Lords zunächst aus dem Spiel, so kann diese Frage unserer Anschauung nach
bejaht werden. Die Hauptmangel der alten Verfassung, der Bezirkszwang und
die einseitige Vertretung der Berufsstände sind gefallen, die indirekten Wahlen
in direkte verwandelt worden. Das Hauptargumcnt, welches die Demokratie
gegen das neue Wahlgesetz anführt, das Fortbestehen eines Census, können wir
für keinen Nachtheil halten, zumal wenn das allgemeine Stimmrecht Hand in
Hand gehen soll mit der Beibehaltung der Diäten. Das allgemeine Stimmrecht,
welches für die Wahlen zum Reichstag besteht, ist noch für keinen einzigen
Locallandtag eingeführt worden und wir haben allen Grund zu der Annahme,
daß das nicht so leicht geschehen, die Beschränkung des Wahlrechts zu den terri¬
torialen Landtagen vielmehr als heilsames Korrektiv gegen die Gefahren auf¬
recht erhalten bleiben werde, welche das allgemeine Stimmrecht unzweifelhaft
im Gefolge hat. Dazu kommt, daß der von der sächsischen Regierung vor¬
geschlagene Census ein außerordentlich niedriger ist und bei dem Fortbestehen
der Diäten für einen der liberalsten in ganz Deutschland gelten kann. Durch¬
aus verwerflich erscheint uns dagegen, daß die Regierungsvorlage an dem
Unterschiede städtischer und ländlicher Wahlbezirke festhält und auf die Hin¬
wegräumung dieser Verletzung des constitutionellen Princips sollten die säch¬
sischen Liberalen ihr Hauptaugenmerk richten und dasselbe zu einer Bedingung
weiterer Verhandlungen machen. Bei der Zähigkeit, mit welcher alle specifisch
sächsischen Parteien an der Beibehaltung der Diäten hängen, scheinen uns die
Anstrengungen zu Gunsten des allgemeinen Stimmrechts von vornherein über-
flüssig zu sein, da sie an dem entschiedenen Widerspruch der Regierung scheitern
müssen, und man thäte darum wohl, sich mit dem in Vorschlag gebrachten niedri¬
gen Census zu begnügen. An diesem festzuhalten scheint uns um so noth-
wendiger zu sein, als die Wirksamkeit jeder sächsischen Parlamentsreform von
der Beseitigung der ersten Kammer abhängig ist, gegen diese aber nur
Sturm gelaufen werden kann, wenn die Zusammensetzung der zweiten für eine
gehörige Vertretung auch der conservativen Interessen Garantien bietet.

Einer der verhält^nißvollsten Irrthümer, welche der deutsche Parlamen¬
tarismus, zumal der klcinstaatliche aus den Zeiten herüber genommen hat, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/485>, abgerufen am 05.06.2024.