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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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beschränkt, sofern sie für Beleidigungen der Staatsregierung wie von Privat¬
personen vor die Gerichte gezogen werden können, im neuen Entwurf beibe¬
halten ist. Was läßt sich nicht alles unter den Begriff Beleidigung der
Staatsregierung bringen! Und wie hat der Particularismus unsers Landes
die bekannten Vorgänge in -Preußen ausgebeutet, ohne des Balkens im eig¬
nen Auge zu gedenken! Die bloße Klugheit hätte die Regierung bestimmen
sollen, hier keine Parallelen herauszufordern, die sich ohnedies überall von
selbst aufdrängen. Bekanntlich hat bisher der würtembergischen Kammer
nicht einmal die Initiative der Gesetzgebung zugestanden; sie soll ihr nun
gewährt werden, aber unter Einschränkungen, welche dieses Recht fast illuso¬
risch machen, mindestens an einen lästigen Apparat von Vorbedingungen
knüpfen. Beibehalten ist ferner die kleinliche Bestimmung, wonach die Kam¬
mer den Präsidenten und Vicepräsidenten nicht selbständig wählt, sondern
nur das Präsentationsrecht besitzt. Endlich soll, wie bisher, die Wahlperiode
6 Jahre dauern und der ordentliche Budgetlandtag nur alle 3 Jahre berufen
werden. Lauter Beispiele, welche zeigen, wie der würtenbergische Constitu-
tionalismus nach den Ideen des Herrn von Geßler künftig sich ausnehmen
wird. --

Ein unläugbar freisinniger Zug geht dagegen durch die neuen Bestim¬
mungen über die Organisation der Verwaltung. Es soll dem Volk durch
die Wahlen in Bezirksräthe, aus welchen wieder die Wahlen in die Kreis¬
räthe erfolgen, ein größerer Antheil an der Verwaltung gewährt werden. Es
soll z. B. die Controle, welche bisher den Staatsbehörden über das Rech¬
nungswesen der Gemeinden zustand, völlig aufgehoben werden. Allein die
neue Organisation der Behörden kann gleichwohl schwerlich eine Vereinfachung
genannt werden. Man hatte die Aufhebung der vier Kreisregierungen er¬
wartet, statt dessen sind sie verdoppelt, entsprechend den acht Kreisen der Ge¬
richtsverfassung. Dem Oberamtmann stehen die von den Gemeindevertretun¬
gen gewählten Bezirksräthe, dem Kreishauptmann die Kreisräthe zur Seite,
alles unbesoldete aber obligatorische Aemter, mit welchen es doch dem Bürger
zu viel werden muß, der statt der Verminderung der Vielregierei nur die
Anzahl der Regierenden, auf Kosten seiner Zeit, ins riesenhafte anschwellen
sieht. Es ist schon in der Kammer bemerkt worden, daß es in Zukunft
wohl keinen Würtenberger geben möchte, der nicht im Besitz irgend eines
solchen Ehrenamtes wäre, sei es als Bürgerausschußmitglied oder als Ge¬
meinderath, als Schöffe oder als Handelsrichter, als Bezirksrath oder als
Kreisrath, als Pfarrgemeinderath oder als Synodalmitglied.

Durch die Abgeordneten, welche die Kirche mittelst der Synode in die
zweite Kammer senden soll, hängt auch die Synodalverfassung mit der Reform
der Landesverfassung zusammen. Im Ganzen trägt sie denselben Charakter


beschränkt, sofern sie für Beleidigungen der Staatsregierung wie von Privat¬
personen vor die Gerichte gezogen werden können, im neuen Entwurf beibe¬
halten ist. Was läßt sich nicht alles unter den Begriff Beleidigung der
Staatsregierung bringen! Und wie hat der Particularismus unsers Landes
die bekannten Vorgänge in -Preußen ausgebeutet, ohne des Balkens im eig¬
nen Auge zu gedenken! Die bloße Klugheit hätte die Regierung bestimmen
sollen, hier keine Parallelen herauszufordern, die sich ohnedies überall von
selbst aufdrängen. Bekanntlich hat bisher der würtembergischen Kammer
nicht einmal die Initiative der Gesetzgebung zugestanden; sie soll ihr nun
gewährt werden, aber unter Einschränkungen, welche dieses Recht fast illuso¬
risch machen, mindestens an einen lästigen Apparat von Vorbedingungen
knüpfen. Beibehalten ist ferner die kleinliche Bestimmung, wonach die Kam¬
mer den Präsidenten und Vicepräsidenten nicht selbständig wählt, sondern
nur das Präsentationsrecht besitzt. Endlich soll, wie bisher, die Wahlperiode
6 Jahre dauern und der ordentliche Budgetlandtag nur alle 3 Jahre berufen
werden. Lauter Beispiele, welche zeigen, wie der würtenbergische Constitu-
tionalismus nach den Ideen des Herrn von Geßler künftig sich ausnehmen
wird. —

Ein unläugbar freisinniger Zug geht dagegen durch die neuen Bestim¬
mungen über die Organisation der Verwaltung. Es soll dem Volk durch
die Wahlen in Bezirksräthe, aus welchen wieder die Wahlen in die Kreis¬
räthe erfolgen, ein größerer Antheil an der Verwaltung gewährt werden. Es
soll z. B. die Controle, welche bisher den Staatsbehörden über das Rech¬
nungswesen der Gemeinden zustand, völlig aufgehoben werden. Allein die
neue Organisation der Behörden kann gleichwohl schwerlich eine Vereinfachung
genannt werden. Man hatte die Aufhebung der vier Kreisregierungen er¬
wartet, statt dessen sind sie verdoppelt, entsprechend den acht Kreisen der Ge¬
richtsverfassung. Dem Oberamtmann stehen die von den Gemeindevertretun¬
gen gewählten Bezirksräthe, dem Kreishauptmann die Kreisräthe zur Seite,
alles unbesoldete aber obligatorische Aemter, mit welchen es doch dem Bürger
zu viel werden muß, der statt der Verminderung der Vielregierei nur die
Anzahl der Regierenden, auf Kosten seiner Zeit, ins riesenhafte anschwellen
sieht. Es ist schon in der Kammer bemerkt worden, daß es in Zukunft
wohl keinen Würtenberger geben möchte, der nicht im Besitz irgend eines
solchen Ehrenamtes wäre, sei es als Bürgerausschußmitglied oder als Ge¬
meinderath, als Schöffe oder als Handelsrichter, als Bezirksrath oder als
Kreisrath, als Pfarrgemeinderath oder als Synodalmitglied.

Durch die Abgeordneten, welche die Kirche mittelst der Synode in die
zweite Kammer senden soll, hängt auch die Synodalverfassung mit der Reform
der Landesverfassung zusammen. Im Ganzen trägt sie denselben Charakter


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[0116] beschränkt, sofern sie für Beleidigungen der Staatsregierung wie von Privat¬ personen vor die Gerichte gezogen werden können, im neuen Entwurf beibe¬ halten ist. Was läßt sich nicht alles unter den Begriff Beleidigung der Staatsregierung bringen! Und wie hat der Particularismus unsers Landes die bekannten Vorgänge in -Preußen ausgebeutet, ohne des Balkens im eig¬ nen Auge zu gedenken! Die bloße Klugheit hätte die Regierung bestimmen sollen, hier keine Parallelen herauszufordern, die sich ohnedies überall von selbst aufdrängen. Bekanntlich hat bisher der würtembergischen Kammer nicht einmal die Initiative der Gesetzgebung zugestanden; sie soll ihr nun gewährt werden, aber unter Einschränkungen, welche dieses Recht fast illuso¬ risch machen, mindestens an einen lästigen Apparat von Vorbedingungen knüpfen. Beibehalten ist ferner die kleinliche Bestimmung, wonach die Kam¬ mer den Präsidenten und Vicepräsidenten nicht selbständig wählt, sondern nur das Präsentationsrecht besitzt. Endlich soll, wie bisher, die Wahlperiode 6 Jahre dauern und der ordentliche Budgetlandtag nur alle 3 Jahre berufen werden. Lauter Beispiele, welche zeigen, wie der würtenbergische Constitu- tionalismus nach den Ideen des Herrn von Geßler künftig sich ausnehmen wird. — Ein unläugbar freisinniger Zug geht dagegen durch die neuen Bestim¬ mungen über die Organisation der Verwaltung. Es soll dem Volk durch die Wahlen in Bezirksräthe, aus welchen wieder die Wahlen in die Kreis¬ räthe erfolgen, ein größerer Antheil an der Verwaltung gewährt werden. Es soll z. B. die Controle, welche bisher den Staatsbehörden über das Rech¬ nungswesen der Gemeinden zustand, völlig aufgehoben werden. Allein die neue Organisation der Behörden kann gleichwohl schwerlich eine Vereinfachung genannt werden. Man hatte die Aufhebung der vier Kreisregierungen er¬ wartet, statt dessen sind sie verdoppelt, entsprechend den acht Kreisen der Ge¬ richtsverfassung. Dem Oberamtmann stehen die von den Gemeindevertretun¬ gen gewählten Bezirksräthe, dem Kreishauptmann die Kreisräthe zur Seite, alles unbesoldete aber obligatorische Aemter, mit welchen es doch dem Bürger zu viel werden muß, der statt der Verminderung der Vielregierei nur die Anzahl der Regierenden, auf Kosten seiner Zeit, ins riesenhafte anschwellen sieht. Es ist schon in der Kammer bemerkt worden, daß es in Zukunft wohl keinen Würtenberger geben möchte, der nicht im Besitz irgend eines solchen Ehrenamtes wäre, sei es als Bürgerausschußmitglied oder als Ge¬ meinderath, als Schöffe oder als Handelsrichter, als Bezirksrath oder als Kreisrath, als Pfarrgemeinderath oder als Synodalmitglied. Durch die Abgeordneten, welche die Kirche mittelst der Synode in die zweite Kammer senden soll, hängt auch die Synodalverfassung mit der Reform der Landesverfassung zusammen. Im Ganzen trägt sie denselben Charakter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/116>, abgerufen am 16.06.2024.