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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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eigenthümlichen Bau der ganze konstitutionelle Apparat fehle, welcher einer
Ministerverantwortlichkeit als Grundlage dienen müsse. Wenn aber hierüber
hinausgehend nicht blos Herr Wagner, sondern einige früher als liberal be¬
kannte Redner behaupteten, die Ministerverantwortlichkeit sei überhaupt etwas
Werthloses und praktisch überwundenes, so müssen wir uns wundern über
diese Fähigkeit des "Sich-Andenkens" und möchten fragen, was Dahlmann
zu seinen alten Freunden sagen würde? Glücklicherweise sind derartige Aeu¬
ßerungen nur Monologe, und wir können uns an das Wort des Minister-
Präsidenten halten, daß die Verantwortlichkeit der preußischen Minister genau
dieselbe bleibe wie vorher, also wie die Verfassung sie festsetzt, und wir er¬
lauben uns auch zu prophezeien, daß dieselbe nicht abgeschafft, sondern aus¬
gebildet werden wird, indem dem staatsrechtlich aufgestellten Princip das
Mittel zur Seite gestellt werden muß, es praktisch zu sichern.

In der That, es scheint uns als eine der ersten Grundwahrheiten im
Verfassungsstaat, daß die UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhauptes nur
dann eine Realität ist, wenn sie gedeckt wird durch die Verantwortlichkeit
der höchsten Staatsbeamten, der Minister. Kein Regierungsact des Fürsten
darf sich ohne ihre Unterschrift vollziehen. Allerdings liegt es in der Narur
des Repräsentativsystems, die Initiative der Krone in engere Grenzen einzu¬
schließen, aber innerhalb derselben besitzt der bedeutende, seiner Aufgabe ge¬
wachsene Fürst eine Fülle von Gewicht. Einfluß, Bestimmungsfähigkeit. Als
Moderator über den Parteien stehend, übt er eine Macht, welche den Augen
der Menge nicht immer erkennbar sein mag, aber darum nicht weniger wir¬
kungsreich ist, sodaß man wohl sagen darf, seine Aufgabe sei schwerer, aber,
keineswegs unbedeutender, als die eines verfassungsmäßig nicht beschränkten
Souveräns.

Die englische Verfassung hat Wilhelm III. nicht gehindert, ein Held und
Staatsmann ersten Ranges zu sein, und König Leopold ist trotz der belgischen
Verfassung der roi Komme ä'6es.t unserer Zeit geworden.*)

Das Wort: "der König kann kein Unrecht thun" ist nicht blos eine
konstitutionelle Fiction, sondern hat eine gewichtige Bedeutung auch in deiw
Sinne, daß die Schranken der repräsentativen Verfassung dem Souverän un¬
gesetzliche und nachtheilige Eingriffe, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer



') Diejenigen, welche den constitutionellen Fürsten als eine Null, als das Kittel über
I hinstellen, mögen sich vom Gegentheil aus der höchst merkwürdigen Correspoudenj von
Lord Grey mit Wilhelm IV. überzeugen, sie werden daraus sehen, daß die Krone eines par¬
lamentarisch regierten Staates, selbst wenn sie von einem keineswegs bedeutenden Manne ge-
tragen wirv, doch eine Realität ist, während allerdings die Verfassung eines solchen Staates
dem Eigenwillen eines Georgs III. heilsame Fesseln anlegte (Oorresponäsnos ok los kath
^art Krev vnd. II. N. King "William IV. 2, vol. I^olläon 1867. VorrkLxonäonoiz ok I^via
Nork viel XinK KoorZs III. 2. vol. I^onäoll 1367).

eigenthümlichen Bau der ganze konstitutionelle Apparat fehle, welcher einer
Ministerverantwortlichkeit als Grundlage dienen müsse. Wenn aber hierüber
hinausgehend nicht blos Herr Wagner, sondern einige früher als liberal be¬
kannte Redner behaupteten, die Ministerverantwortlichkeit sei überhaupt etwas
Werthloses und praktisch überwundenes, so müssen wir uns wundern über
diese Fähigkeit des „Sich-Andenkens" und möchten fragen, was Dahlmann
zu seinen alten Freunden sagen würde? Glücklicherweise sind derartige Aeu¬
ßerungen nur Monologe, und wir können uns an das Wort des Minister-
Präsidenten halten, daß die Verantwortlichkeit der preußischen Minister genau
dieselbe bleibe wie vorher, also wie die Verfassung sie festsetzt, und wir er¬
lauben uns auch zu prophezeien, daß dieselbe nicht abgeschafft, sondern aus¬
gebildet werden wird, indem dem staatsrechtlich aufgestellten Princip das
Mittel zur Seite gestellt werden muß, es praktisch zu sichern.

In der That, es scheint uns als eine der ersten Grundwahrheiten im
Verfassungsstaat, daß die UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhauptes nur
dann eine Realität ist, wenn sie gedeckt wird durch die Verantwortlichkeit
der höchsten Staatsbeamten, der Minister. Kein Regierungsact des Fürsten
darf sich ohne ihre Unterschrift vollziehen. Allerdings liegt es in der Narur
des Repräsentativsystems, die Initiative der Krone in engere Grenzen einzu¬
schließen, aber innerhalb derselben besitzt der bedeutende, seiner Aufgabe ge¬
wachsene Fürst eine Fülle von Gewicht. Einfluß, Bestimmungsfähigkeit. Als
Moderator über den Parteien stehend, übt er eine Macht, welche den Augen
der Menge nicht immer erkennbar sein mag, aber darum nicht weniger wir¬
kungsreich ist, sodaß man wohl sagen darf, seine Aufgabe sei schwerer, aber,
keineswegs unbedeutender, als die eines verfassungsmäßig nicht beschränkten
Souveräns.

Die englische Verfassung hat Wilhelm III. nicht gehindert, ein Held und
Staatsmann ersten Ranges zu sein, und König Leopold ist trotz der belgischen
Verfassung der roi Komme ä'6es.t unserer Zeit geworden.*)

Das Wort: „der König kann kein Unrecht thun" ist nicht blos eine
konstitutionelle Fiction, sondern hat eine gewichtige Bedeutung auch in deiw
Sinne, daß die Schranken der repräsentativen Verfassung dem Souverän un¬
gesetzliche und nachtheilige Eingriffe, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer



') Diejenigen, welche den constitutionellen Fürsten als eine Null, als das Kittel über
I hinstellen, mögen sich vom Gegentheil aus der höchst merkwürdigen Correspoudenj von
Lord Grey mit Wilhelm IV. überzeugen, sie werden daraus sehen, daß die Krone eines par¬
lamentarisch regierten Staates, selbst wenn sie von einem keineswegs bedeutenden Manne ge-
tragen wirv, doch eine Realität ist, während allerdings die Verfassung eines solchen Staates
dem Eigenwillen eines Georgs III. heilsame Fesseln anlegte (Oorresponäsnos ok los kath
^art Krev vnd. II. N. King "William IV. 2, vol. I^olläon 1867. VorrkLxonäonoiz ok I^via
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[0237] eigenthümlichen Bau der ganze konstitutionelle Apparat fehle, welcher einer Ministerverantwortlichkeit als Grundlage dienen müsse. Wenn aber hierüber hinausgehend nicht blos Herr Wagner, sondern einige früher als liberal be¬ kannte Redner behaupteten, die Ministerverantwortlichkeit sei überhaupt etwas Werthloses und praktisch überwundenes, so müssen wir uns wundern über diese Fähigkeit des „Sich-Andenkens" und möchten fragen, was Dahlmann zu seinen alten Freunden sagen würde? Glücklicherweise sind derartige Aeu¬ ßerungen nur Monologe, und wir können uns an das Wort des Minister- Präsidenten halten, daß die Verantwortlichkeit der preußischen Minister genau dieselbe bleibe wie vorher, also wie die Verfassung sie festsetzt, und wir er¬ lauben uns auch zu prophezeien, daß dieselbe nicht abgeschafft, sondern aus¬ gebildet werden wird, indem dem staatsrechtlich aufgestellten Princip das Mittel zur Seite gestellt werden muß, es praktisch zu sichern. In der That, es scheint uns als eine der ersten Grundwahrheiten im Verfassungsstaat, daß die UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhauptes nur dann eine Realität ist, wenn sie gedeckt wird durch die Verantwortlichkeit der höchsten Staatsbeamten, der Minister. Kein Regierungsact des Fürsten darf sich ohne ihre Unterschrift vollziehen. Allerdings liegt es in der Narur des Repräsentativsystems, die Initiative der Krone in engere Grenzen einzu¬ schließen, aber innerhalb derselben besitzt der bedeutende, seiner Aufgabe ge¬ wachsene Fürst eine Fülle von Gewicht. Einfluß, Bestimmungsfähigkeit. Als Moderator über den Parteien stehend, übt er eine Macht, welche den Augen der Menge nicht immer erkennbar sein mag, aber darum nicht weniger wir¬ kungsreich ist, sodaß man wohl sagen darf, seine Aufgabe sei schwerer, aber, keineswegs unbedeutender, als die eines verfassungsmäßig nicht beschränkten Souveräns. Die englische Verfassung hat Wilhelm III. nicht gehindert, ein Held und Staatsmann ersten Ranges zu sein, und König Leopold ist trotz der belgischen Verfassung der roi Komme ä'6es.t unserer Zeit geworden.*) Das Wort: „der König kann kein Unrecht thun" ist nicht blos eine konstitutionelle Fiction, sondern hat eine gewichtige Bedeutung auch in deiw Sinne, daß die Schranken der repräsentativen Verfassung dem Souverän un¬ gesetzliche und nachtheilige Eingriffe, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer ') Diejenigen, welche den constitutionellen Fürsten als eine Null, als das Kittel über I hinstellen, mögen sich vom Gegentheil aus der höchst merkwürdigen Correspoudenj von Lord Grey mit Wilhelm IV. überzeugen, sie werden daraus sehen, daß die Krone eines par¬ lamentarisch regierten Staates, selbst wenn sie von einem keineswegs bedeutenden Manne ge- tragen wirv, doch eine Realität ist, während allerdings die Verfassung eines solchen Staates dem Eigenwillen eines Georgs III. heilsame Fesseln anlegte (Oorresponäsnos ok los kath ^art Krev vnd. II. N. King "William IV. 2, vol. I^olläon 1867. VorrkLxonäonoiz ok I^via Nork viel XinK KoorZs III. 2. vol. I^onäoll 1367).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/237>, abgerufen am 25.05.2024.