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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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machen, während sie ihm vollen Spielraum zu günstigem und wohlthätigem
Einfluß gewähren.

Wenn der versteckte Absolutismus ein sogenanntes "persönliches Regiment"
fördert, so ist dies nicht blos ein hohler Sophismus, sondern eine offenbare
Unehrlichkeit, weil der Hintergedanke dabei stets ist, daß der Fürst nach den
Interessen einer Partei regiere, welche das Licht der Oeffentlichkeit und das
Gewicht der Verantwortlichkeit scheut. Es liegt in der Natur der Dinge,
daß der Kampf der streitenden Interessen um den Mittelpunkt der politischen
Gewalt am heftigsten entbrennt, dieser Kampf läßt sich nicht verbannen oder
ignoriren, sondern im Interesse des Staates nur regeln, und dies thut das
repräsentative System durch Verantwortlichkeit der Minister und Controle
der Volksvertretung. Diese Verantwortlichkeit der höchsten Behörde kann
dann auch allein die Frage lösen, inwiefern allen andern Beamten der Ver¬
waltung blos der verfassungsmäßige Gehorsam obliege. Der Staat müßte
offenbar in Verwirrung gerathen, wenn sich jeder Beamter der Ausführung
von Befehlen seiner Vorgesetzten dadurch entziehen könnte, daß er dieselben
für gesetzwidrig erklärt. Ist die Ausführung wider sein Gewissen, so mag er
den Gehorsam weigern, aber sich auch nicht beklagen, wenn er sofort abgesetzt
wird. Die Verwaltungsbehörden haben nicht wie die Gerichte zu erkennen,
was im einzelnen Falle Rechtens ist, sondern sollen durch ihre Thätigkeit das
an oberster Stelle gewollte Regierungssystem an allen Punkten zur Ausfüh¬
rung bringen. Hierzu ist einheitlicher Befehl und strenger Gehorsam noth¬
wendig, folglich muß sich jeder Beamter mit der Anordnung seiner vor¬
gesetzten Behörde selbst für die Ausführung eines ungesetzlichen Gebotes ent¬
schuldigen können und dieser Regreß geht fort von der untersten Stufe der
Hierarchie bis zur obersten, welche als leitende auch die Verantwortlichkeit
trägt. Ebenso gibt die Verantwortlichkeit allein eine Bürgschaft für die
Regelung des Verhältnisses von Gesetz und Verordnung, welches später ein¬
gehender zu betrachten ist.

Demgemäß muß sich im Ministerium aber auch wirklich die oberste Lei¬
tung der Staatsgeschäfte vollständig concentriren und dürfen dem Souverän
nicht neben den Ministern noch andere unverantwortliche Berather, welche
sich ihrer Controle entziehen, zur Seite stehen*). Das Ministerium muß
ferner eine in sich festgeschlossene Einheit bilden, es beräth, um die Har¬
monie in allen Zweigen der Verwaltung zu erhalten, gemeinsam über alle
Gegenstände von allgemeiner politischer Bedeutung unter Vorsitz seines Pra-



") Die Gründe gegen eine solche Nevcnregicrung des Cabinets sind classisch zusammen¬
gefaßt in Steins Denkschrift von 1806 : "Darstellung der fehlerhaften Organisation des Ca-
binets und der Nothwendigkeit der Bildung einer Ministerconferenz."

machen, während sie ihm vollen Spielraum zu günstigem und wohlthätigem
Einfluß gewähren.

Wenn der versteckte Absolutismus ein sogenanntes „persönliches Regiment"
fördert, so ist dies nicht blos ein hohler Sophismus, sondern eine offenbare
Unehrlichkeit, weil der Hintergedanke dabei stets ist, daß der Fürst nach den
Interessen einer Partei regiere, welche das Licht der Oeffentlichkeit und das
Gewicht der Verantwortlichkeit scheut. Es liegt in der Natur der Dinge,
daß der Kampf der streitenden Interessen um den Mittelpunkt der politischen
Gewalt am heftigsten entbrennt, dieser Kampf läßt sich nicht verbannen oder
ignoriren, sondern im Interesse des Staates nur regeln, und dies thut das
repräsentative System durch Verantwortlichkeit der Minister und Controle
der Volksvertretung. Diese Verantwortlichkeit der höchsten Behörde kann
dann auch allein die Frage lösen, inwiefern allen andern Beamten der Ver¬
waltung blos der verfassungsmäßige Gehorsam obliege. Der Staat müßte
offenbar in Verwirrung gerathen, wenn sich jeder Beamter der Ausführung
von Befehlen seiner Vorgesetzten dadurch entziehen könnte, daß er dieselben
für gesetzwidrig erklärt. Ist die Ausführung wider sein Gewissen, so mag er
den Gehorsam weigern, aber sich auch nicht beklagen, wenn er sofort abgesetzt
wird. Die Verwaltungsbehörden haben nicht wie die Gerichte zu erkennen,
was im einzelnen Falle Rechtens ist, sondern sollen durch ihre Thätigkeit das
an oberster Stelle gewollte Regierungssystem an allen Punkten zur Ausfüh¬
rung bringen. Hierzu ist einheitlicher Befehl und strenger Gehorsam noth¬
wendig, folglich muß sich jeder Beamter mit der Anordnung seiner vor¬
gesetzten Behörde selbst für die Ausführung eines ungesetzlichen Gebotes ent¬
schuldigen können und dieser Regreß geht fort von der untersten Stufe der
Hierarchie bis zur obersten, welche als leitende auch die Verantwortlichkeit
trägt. Ebenso gibt die Verantwortlichkeit allein eine Bürgschaft für die
Regelung des Verhältnisses von Gesetz und Verordnung, welches später ein¬
gehender zu betrachten ist.

Demgemäß muß sich im Ministerium aber auch wirklich die oberste Lei¬
tung der Staatsgeschäfte vollständig concentriren und dürfen dem Souverän
nicht neben den Ministern noch andere unverantwortliche Berather, welche
sich ihrer Controle entziehen, zur Seite stehen*). Das Ministerium muß
ferner eine in sich festgeschlossene Einheit bilden, es beräth, um die Har¬
monie in allen Zweigen der Verwaltung zu erhalten, gemeinsam über alle
Gegenstände von allgemeiner politischer Bedeutung unter Vorsitz seines Pra-



") Die Gründe gegen eine solche Nevcnregicrung des Cabinets sind classisch zusammen¬
gefaßt in Steins Denkschrift von 1806 : „Darstellung der fehlerhaften Organisation des Ca-
binets und der Nothwendigkeit der Bildung einer Ministerconferenz."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/238>, abgerufen am 17.06.2024.