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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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fahren hätten, aber die Landtage sanken trotzdem nie zu einer bloßen Cere¬
monie herab. Die Stände stimmten über die Postulate alljährlich ab und
zwar in böhmischer Sprache, nämlich mit den Worten: ?ri2näväm 8e.

Ferdinand V. erklärte in dem Hofdecrete vom 18. Juni 1847, er wolle
sich die Landesprivilegien und Freiheiten-, wie solche in der Landesordnung
enthalten sind, gegenwärtig halten. Die Postulatlandtage gestatteten nicht
die nach 1848 in Uebung gekommene Erhöhung der Grundsteuer. Eifersüchtig
wachten die Stände über den Privilegien des Landes; Beweis dessen die De¬
putation, die 1845 unter Mathias Thun nach Wien ging, und die Denk¬
schriften vom Jahre 1847.

Im Jahre 1848 wurde die böhmische Verfassung abermals erneuert.
Kaiser Ferdinand gab in einem Schreiben vom 8. April 1848 folgende Er¬
ledigung der böhmischen Deputation:

1. Die böhmische Nationalität hat durch vollkommene Gleichstellung
der böhmischen Sprache mit der deutschen in allen Zweigen der Staatsver¬
waltung und des öffentlichen Unterrichts als Grundsatz zu gelten;

2. Zu dem nächst einzuberufenden böhmischen Landtage sind alle Stände
des Landes zu versammeln. Diese Versammlung hat aus einer, alle Interessen
des Landes umfassenden, gleichmäßigen Volksvertretung auf der möglichsten
breiten Basis der Wahlfähigkeit und Wählbarkeit mit dem Rechte, über alle
Landesangelegenheiten zu berathen und zu beschließen, zu bestehen;

3. Die Errichtung verantwortlicher Centralstellen für das Königreich
Böhmen in Prag mit einem ausgedehnten Wirkungskreise wird bewilligt.

Bemerkenswerth erscheint noch folgender Umstand. Einzelne Mitglieder
der böhmischen Stände ließen im Anfang April 1848 eine Erklärung drucken
(Prager Zeitung 1848 Ur. 54), in welcher sie sich bereit erklärten, zur Zu-
standebringung einer zeitgemäßen Volksvertretung zusammenzuwirken. Zu
oberst war Karl Fürst Auersperg unterzeichnet.

Am 30. März 1848 kam in Brunn die Ständeversammlung zusammen.
Gleich in der ersten Sitzung wurde freiwillig jeder der sieben königlichen
Städte Mährens statt der bisherigen Collectivstimme eine Virilstimme zuge¬
standen. Freiwillig wurde ferner der Bauernstand und die nicht habilitirten
Besitzer landtäflicher Güter in den Landtag berufen.

Die folgenden Ereignisse sind bekannt.

Erst am 6. April 1861 wurde wieder ein böhmischer Landtag eröffnet.
Die Mitglieder der ständischen Corporation brachten dem Präsidium einen
wichtigen Protest rücksichtlich der neuen Verfassung zur Kenntniß. (Seen. Prot.
d. bösen. L. 1861 MZ. 53). Sie beriefen sich auf die Landesordnung vom
Jahre 1627 und erklärten, daß sie durch ihre Theilnahme an der einberufe¬
nen Versammlung den Rechten und Freiheiten des Königreichs Böhmen und


fahren hätten, aber die Landtage sanken trotzdem nie zu einer bloßen Cere¬
monie herab. Die Stände stimmten über die Postulate alljährlich ab und
zwar in böhmischer Sprache, nämlich mit den Worten: ?ri2näväm 8e.

Ferdinand V. erklärte in dem Hofdecrete vom 18. Juni 1847, er wolle
sich die Landesprivilegien und Freiheiten-, wie solche in der Landesordnung
enthalten sind, gegenwärtig halten. Die Postulatlandtage gestatteten nicht
die nach 1848 in Uebung gekommene Erhöhung der Grundsteuer. Eifersüchtig
wachten die Stände über den Privilegien des Landes; Beweis dessen die De¬
putation, die 1845 unter Mathias Thun nach Wien ging, und die Denk¬
schriften vom Jahre 1847.

Im Jahre 1848 wurde die böhmische Verfassung abermals erneuert.
Kaiser Ferdinand gab in einem Schreiben vom 8. April 1848 folgende Er¬
ledigung der böhmischen Deputation:

1. Die böhmische Nationalität hat durch vollkommene Gleichstellung
der böhmischen Sprache mit der deutschen in allen Zweigen der Staatsver¬
waltung und des öffentlichen Unterrichts als Grundsatz zu gelten;

2. Zu dem nächst einzuberufenden böhmischen Landtage sind alle Stände
des Landes zu versammeln. Diese Versammlung hat aus einer, alle Interessen
des Landes umfassenden, gleichmäßigen Volksvertretung auf der möglichsten
breiten Basis der Wahlfähigkeit und Wählbarkeit mit dem Rechte, über alle
Landesangelegenheiten zu berathen und zu beschließen, zu bestehen;

3. Die Errichtung verantwortlicher Centralstellen für das Königreich
Böhmen in Prag mit einem ausgedehnten Wirkungskreise wird bewilligt.

Bemerkenswerth erscheint noch folgender Umstand. Einzelne Mitglieder
der böhmischen Stände ließen im Anfang April 1848 eine Erklärung drucken
(Prager Zeitung 1848 Ur. 54), in welcher sie sich bereit erklärten, zur Zu-
standebringung einer zeitgemäßen Volksvertretung zusammenzuwirken. Zu
oberst war Karl Fürst Auersperg unterzeichnet.

Am 30. März 1848 kam in Brunn die Ständeversammlung zusammen.
Gleich in der ersten Sitzung wurde freiwillig jeder der sieben königlichen
Städte Mährens statt der bisherigen Collectivstimme eine Virilstimme zuge¬
standen. Freiwillig wurde ferner der Bauernstand und die nicht habilitirten
Besitzer landtäflicher Güter in den Landtag berufen.

Die folgenden Ereignisse sind bekannt.

Erst am 6. April 1861 wurde wieder ein böhmischer Landtag eröffnet.
Die Mitglieder der ständischen Corporation brachten dem Präsidium einen
wichtigen Protest rücksichtlich der neuen Verfassung zur Kenntniß. (Seen. Prot.
d. bösen. L. 1861 MZ. 53). Sie beriefen sich auf die Landesordnung vom
Jahre 1627 und erklärten, daß sie durch ihre Theilnahme an der einberufe¬
nen Versammlung den Rechten und Freiheiten des Königreichs Böhmen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/436>, abgerufen am 24.05.2024.