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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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so strenger wird eine ruhige und besonnene, von Parteileidenschaft nicht hin¬
gerissene Kritik darüber zu Gericht sitzen. Je größer die Anstrengungen der
Reclame sind, um so energischer wird der Widerstand derer werden, die nach
der Aufführung eine andere Meinung gewonnen haben. Ein ächtes Werk
muß und wird sich stets durch sich selbst loben. Trotz der volltönenden
Posaunenstöße, mit denen man nicht müde wurde, die Welt zu erfüllen,
ist bis zur Stunde die Partei der Zukunftsmusiker doch eine kleine geblieben,
und weder diejenigen Städte, deren Publikum man ein künstlerisches Urtheil
zutrauen darf, noch die einsichtsvolle, gemäßigte, den Dingen aber auf den
Grund gehende Kritik hat sich bisher für die Offenbarungen Wagnerschen
Geistes zu begeistern oder gar zu sanatisiren vermocht.

Wie zu allen seinen übrigen dramatischen Werken hat der Componist
auch zu den Meistersingern den Text selbst geschrieben. Wir wollen hier aus
das Bedenkliche einer solchen Doppelarbeit nicht näher eingehen. Setzt sie
schon eine unter Musikern selten zu findende Vielseitigkeit und Begabung
voraus, so dürften überdies alle scheinbaren Vortheile, die sich sür ein solches.
Einem Geiste entsprungenes Werk anführen lassen, weitaus durch das
Bedenken überwogen werden, daß nach Einer Seite hin ein Erschlaffen, ein
Nachlaß der poetischen Kraft immer stattfinden wird, und daß entweder die
Dichtung oder, da sie später entsteht, die Musik darunter leidet. Das Text¬
buch zu den Meistersingern liegt seit Jahren dem Publikum vor. Es hat
enthusiastische Lobredner gefunden und darf sich einer Anzahl bewundern¬
der und erläuternder Broschüren rühmen, hat Sber auch ebenso viele verdam¬
mende Beurtheilungen hervorgerufen.

Wagner fucht in allen seinen Textbüchern den Ton der Zeit zu treffen,
in welcher seine, sujets spielen. Welchen schwülstigen und sonderbaren Galli-
Matthias hat er uns im Tristan und im Nibelungenring aufgetischt! Aber
beide Texte sind eigentlich nur schwache Vorläufer des neuesten, der an Weit¬
schweifigkeit, Wortschwall und ungenießbaren Reimklingklang wirklich Alles
übertrifft, was -- sür die Bühne wenigstens -- je geschrieben wurde. Na¬
türlich ist das ganze Textbuch im Meistersingerton abgefaßt. Wir bekommen
eine geschraubte Nachahmung aller jener langweiligen, verzwickten Weisen, die
man im Original der Kuriosität halber liest, die nachzuahmen aber weder dank¬
bar noch vernünftig ist. Denn ist es Wagner auch gelungen, die ganze Steifheit
und all den Zwang zu reproduciren, den die der Reimkunst befließenen ehrsamen
Handwerker des 16. und 17. Jahrhunderts in ihren Dichtungen zu entfalten
wußten, seine Musik entfernt sich dafür um so weiter von den einfachen Weisen
und Harmonien einer Kunstperiode, in der das volksthümliche Element gerade
in der Musik zum endlichen Durchbruch kam. Die Meistersängerzeit bietet doch
nur einen Nachhall der echten Poesie ver Minnesängerperiode, sie erscheint


so strenger wird eine ruhige und besonnene, von Parteileidenschaft nicht hin¬
gerissene Kritik darüber zu Gericht sitzen. Je größer die Anstrengungen der
Reclame sind, um so energischer wird der Widerstand derer werden, die nach
der Aufführung eine andere Meinung gewonnen haben. Ein ächtes Werk
muß und wird sich stets durch sich selbst loben. Trotz der volltönenden
Posaunenstöße, mit denen man nicht müde wurde, die Welt zu erfüllen,
ist bis zur Stunde die Partei der Zukunftsmusiker doch eine kleine geblieben,
und weder diejenigen Städte, deren Publikum man ein künstlerisches Urtheil
zutrauen darf, noch die einsichtsvolle, gemäßigte, den Dingen aber auf den
Grund gehende Kritik hat sich bisher für die Offenbarungen Wagnerschen
Geistes zu begeistern oder gar zu sanatisiren vermocht.

Wie zu allen seinen übrigen dramatischen Werken hat der Componist
auch zu den Meistersingern den Text selbst geschrieben. Wir wollen hier aus
das Bedenkliche einer solchen Doppelarbeit nicht näher eingehen. Setzt sie
schon eine unter Musikern selten zu findende Vielseitigkeit und Begabung
voraus, so dürften überdies alle scheinbaren Vortheile, die sich sür ein solches.
Einem Geiste entsprungenes Werk anführen lassen, weitaus durch das
Bedenken überwogen werden, daß nach Einer Seite hin ein Erschlaffen, ein
Nachlaß der poetischen Kraft immer stattfinden wird, und daß entweder die
Dichtung oder, da sie später entsteht, die Musik darunter leidet. Das Text¬
buch zu den Meistersingern liegt seit Jahren dem Publikum vor. Es hat
enthusiastische Lobredner gefunden und darf sich einer Anzahl bewundern¬
der und erläuternder Broschüren rühmen, hat Sber auch ebenso viele verdam¬
mende Beurtheilungen hervorgerufen.

Wagner fucht in allen seinen Textbüchern den Ton der Zeit zu treffen,
in welcher seine, sujets spielen. Welchen schwülstigen und sonderbaren Galli-
Matthias hat er uns im Tristan und im Nibelungenring aufgetischt! Aber
beide Texte sind eigentlich nur schwache Vorläufer des neuesten, der an Weit¬
schweifigkeit, Wortschwall und ungenießbaren Reimklingklang wirklich Alles
übertrifft, was — sür die Bühne wenigstens — je geschrieben wurde. Na¬
türlich ist das ganze Textbuch im Meistersingerton abgefaßt. Wir bekommen
eine geschraubte Nachahmung aller jener langweiligen, verzwickten Weisen, die
man im Original der Kuriosität halber liest, die nachzuahmen aber weder dank¬
bar noch vernünftig ist. Denn ist es Wagner auch gelungen, die ganze Steifheit
und all den Zwang zu reproduciren, den die der Reimkunst befließenen ehrsamen
Handwerker des 16. und 17. Jahrhunderts in ihren Dichtungen zu entfalten
wußten, seine Musik entfernt sich dafür um so weiter von den einfachen Weisen
und Harmonien einer Kunstperiode, in der das volksthümliche Element gerade
in der Musik zum endlichen Durchbruch kam. Die Meistersängerzeit bietet doch
nur einen Nachhall der echten Poesie ver Minnesängerperiode, sie erscheint


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/34>, abgerufen am 24.05.2024.