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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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wie ein abgestorbener Baum, wie eine verblühende Blume. Man hat in
unseren Tagen die Dichtungen der Minnesänger neu belebt, man konnte an
diesem Stück ächter Poesie sich wieder begeistern, erheben und erfreuen, die
Reimereinender Meistersänger aber werden zum allergrößten Theile für unsere
wie für alle späteren Zeiten ungenießbar bleiben. Selbst der hervorragendste
unter ihnen, Hans Sachs, dessen Einfluß für die Entwickelung der deutschen
Poesie durchaus nicht zu unterschätzen ist, vermag nur mit wenigen seiner
zahlreichen Dichtungen das Interesse unserer Zeit zu erregen.

Warum nun mit solchen Handwerkstönen ein ganzes Buch und noch
dazu ein Opernbuch füllen? Wagner zeigt, daß er sich die Technik der
dichtenden Handwerksgenossen mit einer gewissen Virtuosität angeeignet hat,
aber die Kunst der Nachahmung ist nur eine untergeordnete. Wie man nun
ohne Gähnen keines jener endlosen Originalstücke der Meistersängerzeit lesen
kann, so wird sich auch bei der Lektüre des 140 Seiten umfassenden Wag-
nerschen Libretto's Niemand vor Ermattung zu schützen wissen.

Wagner entwarf, wie er selbst im Vorwort zu den drei Operndichtun¬
gen (L. 1852) berichtet, den Plan zu den Meistersingern unmittelbar nach
Vollendung des Tannhäuser und übergab ihn in dem ebengenannten Buche
bereits der Oeffentlichkeit. "Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel
auf die Tragödie folgte, -- so drückt sich der Verfasser aus, -- erschien mir
plötzlich das Bild eines komischen Spiels, das in Wahrheit als beziehungs¬
volles Satyrspiel meinem Sängerkrieg auf der Wartburg sich anschließen
könnte. Es waren dieß die Meistersinger zu Nürnberg mit Hans Sachs an
der Spitze. Ich faßte diesen als die letzte Erscheinung des künstlerisch produk¬
tiven Volksgeistes auf und stellte ihn der meistersingerlichen Spießbürger-
schast entgegen, deren Pedantismus ich in der Figur des Merkers persönlichen
Ausdruck gab. Dieser Merker war der von der Zunft bestellte Aufpasser,
der die den Regeln zuwiderlaufenden Fehler mit Strichen aufzeichnen mußte;
wem so eine gewisse Anzahl-von Strichen zugetheilt war, der hatte ver-
sungen." Auf diese Persönlichkeit gründete nun der Verfasser die komische
Seite seiner Dichtung, welche, da Lohengrin, der Ring der Nibelungen und
Tristan und Isolde ihr vorausgehen mußten, erst 1861 beendigt wurde, so
daß dann im folgenden Jahre mit der Composition begonnen werden konnte.

Die neue Oper sollte eine komische werden und darauflegen die Freunde
des Tonsetzers ein großes Gewicht, indem sie nun den Componisten, der nach
ihrer Meinung die höchsten Aufgaben des Dramas' bereits glücklich gelöst
haben sollte, auch die glänzendste Begabung sür die komische Oper vindiciren
und so auf die Allseitigkeit hinweisen, die nach ihrer Meinung dem Genius
charakteristisch ist. "Mit den Meistersingern", -- so lauten die Worte seiner
Vorkämpfer, -- durchbricht er als glücklicher Sieger die Misere der Rath' und


Grenzboten III. 18V8. 4

wie ein abgestorbener Baum, wie eine verblühende Blume. Man hat in
unseren Tagen die Dichtungen der Minnesänger neu belebt, man konnte an
diesem Stück ächter Poesie sich wieder begeistern, erheben und erfreuen, die
Reimereinender Meistersänger aber werden zum allergrößten Theile für unsere
wie für alle späteren Zeiten ungenießbar bleiben. Selbst der hervorragendste
unter ihnen, Hans Sachs, dessen Einfluß für die Entwickelung der deutschen
Poesie durchaus nicht zu unterschätzen ist, vermag nur mit wenigen seiner
zahlreichen Dichtungen das Interesse unserer Zeit zu erregen.

Warum nun mit solchen Handwerkstönen ein ganzes Buch und noch
dazu ein Opernbuch füllen? Wagner zeigt, daß er sich die Technik der
dichtenden Handwerksgenossen mit einer gewissen Virtuosität angeeignet hat,
aber die Kunst der Nachahmung ist nur eine untergeordnete. Wie man nun
ohne Gähnen keines jener endlosen Originalstücke der Meistersängerzeit lesen
kann, so wird sich auch bei der Lektüre des 140 Seiten umfassenden Wag-
nerschen Libretto's Niemand vor Ermattung zu schützen wissen.

Wagner entwarf, wie er selbst im Vorwort zu den drei Operndichtun¬
gen (L. 1852) berichtet, den Plan zu den Meistersingern unmittelbar nach
Vollendung des Tannhäuser und übergab ihn in dem ebengenannten Buche
bereits der Oeffentlichkeit. „Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel
auf die Tragödie folgte, — so drückt sich der Verfasser aus, — erschien mir
plötzlich das Bild eines komischen Spiels, das in Wahrheit als beziehungs¬
volles Satyrspiel meinem Sängerkrieg auf der Wartburg sich anschließen
könnte. Es waren dieß die Meistersinger zu Nürnberg mit Hans Sachs an
der Spitze. Ich faßte diesen als die letzte Erscheinung des künstlerisch produk¬
tiven Volksgeistes auf und stellte ihn der meistersingerlichen Spießbürger-
schast entgegen, deren Pedantismus ich in der Figur des Merkers persönlichen
Ausdruck gab. Dieser Merker war der von der Zunft bestellte Aufpasser,
der die den Regeln zuwiderlaufenden Fehler mit Strichen aufzeichnen mußte;
wem so eine gewisse Anzahl-von Strichen zugetheilt war, der hatte ver-
sungen." Auf diese Persönlichkeit gründete nun der Verfasser die komische
Seite seiner Dichtung, welche, da Lohengrin, der Ring der Nibelungen und
Tristan und Isolde ihr vorausgehen mußten, erst 1861 beendigt wurde, so
daß dann im folgenden Jahre mit der Composition begonnen werden konnte.

Die neue Oper sollte eine komische werden und darauflegen die Freunde
des Tonsetzers ein großes Gewicht, indem sie nun den Componisten, der nach
ihrer Meinung die höchsten Aufgaben des Dramas' bereits glücklich gelöst
haben sollte, auch die glänzendste Begabung sür die komische Oper vindiciren
und so auf die Allseitigkeit hinweisen, die nach ihrer Meinung dem Genius
charakteristisch ist. „Mit den Meistersingern", — so lauten die Worte seiner
Vorkämpfer, — durchbricht er als glücklicher Sieger die Misere der Rath' und


Grenzboten III. 18V8. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/35>, abgerufen am 17.06.2024.