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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Die deutsche Bildung flößt ihnen Respect, das deutsche Wesen Vertrauen ein.
während sie den Czechen fürchten.

Aber Viala hatte Recht. Fortwährend wurden Massenversammlungen
unter freiem Himmel angesagt, welche die Regierung verbot, und jedesmal
erklärten die czechischen Organe, daß jene Meetings den Zweck gehabt hätten,
die Deutschböhmen zur Verbrüderung aufzufordern. Sie werden sich einst
mit Geschick auf diesen Beweis ihrer edlen Gesinnung berufen. Oder sieht
der deutschböhmische Michel wirklich so dumm aus, daß die Kinder Palacky's
im Ernste zu ihm sagen konnten: "Wir sehen jetzt ein. daß Ihr 2,000,000
zählt. Wir sind 3,000,000, aber nicht genug. Helft uns also, das liberale
Ministerium stürzen, damit wir auch Mähren und ein Stück Schlesien unter
die Wenzelskrone bringen und einen größern Majoritätsprügel in die Hand
bekommen. Ihr sollt dann über unsere Großmuth erstaunen." Die Verbrü¬
derungskomödie war schlecht gespielt; ebenso schlecht spielt Czechomanien den
Marquis Posa oder die jüngste unter den unterdrückten Nationalitäten. Zum
Himmel schreit in der That das Elend, welches die Verfassung vom Decem¬
ber 1867 über Böhmen gebracht hat! Sie hat die Melregiererei. den Steuer¬
druck, das Monopol- und Proteetionswesen und andere Vermächtnisse einer
traurigen Vorzeit nicht im Nu abgeschafft; sie hat ein hartes Preßgesetz be¬
stehen lassen, das Vereinsrecht, welches sie gab, ist nach der wiener, nicht
nach der englischen Elle zugemessen. Die Verfassung ist überhaupt nicht das
Ideal, zu welchem großdeutsche Festredner sie verhimmeln, aber sie ist eine
treffliche Grundlage, auf der sich bald ein schöner Bau erheben könnte. Wenn
nur schon die günstigen Bedingungen vorhanden wären, die sich Oestreich
erst erobern muß! Dem philiströsen Deutschen mag sie als ein Anfang herr¬
lich scheinen, für den Michel ist ja Alles gut genug: dem hochfliegenden Geist
des Ruthenen, dem ritterlichen Slovenen, dem theatralischen Hussiten, der
dem Adel und Clerus die Schleppe trägt, ist sie zu wenig demokratisch,
d. h. zu wenig ruthenisch, slovenisch, czechisch und panslavisch. Die altöstrei¬
chischen Liberalen pflegten auf die deutsche Einheit zu trinken, bekämpften
aber jede erreichbare Form der Einheit, die nicht Oestreich die Herrschaft
über Deutschland gab. Eine ähnliche Politik der Verneinung möchte die
czechische Opposition gegen die Consolidirung Oestreichs anwenden. Man
thut den Slaven kaum Unrecht mit der Vermuthung, daß sie entweder die
Herrschaft oder die Rückkehr ins patriarchalische Zeitalter wollen. Im Schat¬
ten des Absolutismus blühte ihr Weizen; das System, welches aus dem
Deutschöstreicher ein politisches Musterschaf machte, trieb den nichtdeutschen
Nationalitäten Proselyten zu. Wenn das deutsche Element allmählich an
der Lust der Freiheit erstarkt, könnte das Blatt sich wenden. Dies scheinen
sie richtig zu erkennen, und doch fangen sie sich oft selbst in den Netzen


Die deutsche Bildung flößt ihnen Respect, das deutsche Wesen Vertrauen ein.
während sie den Czechen fürchten.

Aber Viala hatte Recht. Fortwährend wurden Massenversammlungen
unter freiem Himmel angesagt, welche die Regierung verbot, und jedesmal
erklärten die czechischen Organe, daß jene Meetings den Zweck gehabt hätten,
die Deutschböhmen zur Verbrüderung aufzufordern. Sie werden sich einst
mit Geschick auf diesen Beweis ihrer edlen Gesinnung berufen. Oder sieht
der deutschböhmische Michel wirklich so dumm aus, daß die Kinder Palacky's
im Ernste zu ihm sagen konnten: „Wir sehen jetzt ein. daß Ihr 2,000,000
zählt. Wir sind 3,000,000, aber nicht genug. Helft uns also, das liberale
Ministerium stürzen, damit wir auch Mähren und ein Stück Schlesien unter
die Wenzelskrone bringen und einen größern Majoritätsprügel in die Hand
bekommen. Ihr sollt dann über unsere Großmuth erstaunen." Die Verbrü¬
derungskomödie war schlecht gespielt; ebenso schlecht spielt Czechomanien den
Marquis Posa oder die jüngste unter den unterdrückten Nationalitäten. Zum
Himmel schreit in der That das Elend, welches die Verfassung vom Decem¬
ber 1867 über Böhmen gebracht hat! Sie hat die Melregiererei. den Steuer¬
druck, das Monopol- und Proteetionswesen und andere Vermächtnisse einer
traurigen Vorzeit nicht im Nu abgeschafft; sie hat ein hartes Preßgesetz be¬
stehen lassen, das Vereinsrecht, welches sie gab, ist nach der wiener, nicht
nach der englischen Elle zugemessen. Die Verfassung ist überhaupt nicht das
Ideal, zu welchem großdeutsche Festredner sie verhimmeln, aber sie ist eine
treffliche Grundlage, auf der sich bald ein schöner Bau erheben könnte. Wenn
nur schon die günstigen Bedingungen vorhanden wären, die sich Oestreich
erst erobern muß! Dem philiströsen Deutschen mag sie als ein Anfang herr¬
lich scheinen, für den Michel ist ja Alles gut genug: dem hochfliegenden Geist
des Ruthenen, dem ritterlichen Slovenen, dem theatralischen Hussiten, der
dem Adel und Clerus die Schleppe trägt, ist sie zu wenig demokratisch,
d. h. zu wenig ruthenisch, slovenisch, czechisch und panslavisch. Die altöstrei¬
chischen Liberalen pflegten auf die deutsche Einheit zu trinken, bekämpften
aber jede erreichbare Form der Einheit, die nicht Oestreich die Herrschaft
über Deutschland gab. Eine ähnliche Politik der Verneinung möchte die
czechische Opposition gegen die Consolidirung Oestreichs anwenden. Man
thut den Slaven kaum Unrecht mit der Vermuthung, daß sie entweder die
Herrschaft oder die Rückkehr ins patriarchalische Zeitalter wollen. Im Schat¬
ten des Absolutismus blühte ihr Weizen; das System, welches aus dem
Deutschöstreicher ein politisches Musterschaf machte, trieb den nichtdeutschen
Nationalitäten Proselyten zu. Wenn das deutsche Element allmählich an
der Lust der Freiheit erstarkt, könnte das Blatt sich wenden. Dies scheinen
sie richtig zu erkennen, und doch fangen sie sich oft selbst in den Netzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/545>, abgerufen am 18.06.2024.