Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Register, keine Ueberschrift der vier großen, bis jetzt gelieferten Abschnitte,
geschweige, daß die einzelnen Seiten mit einer Inhaltsangabe versehen wären!
Man muß es im Kopf behalten, daß der erste Abschnitt bis zum bleibenden
pariser Aufenthalt im Jahr 1741, der zweite bis zur Uebersiedelung in die
Eremitage, der dritte bis zu derjenigen nach Montmorency, der vierte bis
zur Flucht von da geht. Das heißt doch die Objektivität der Erzählung,
das Für sich sprechenlassen der Thatsachen seitens des Erzählers, der sich
nach fünf Jahren Unterbrechung zwischen dem ersten und zweiten Band
nicht einmal in einem kurzen Vorwort zum letzteren vernehmen läßt, zu
weit treiben!

Anstoß nehmen wir in diesem biographischen Theil an der Bemerkung
I, 131: der Verfasser des contrat social sei seines Schwures', nie an einem
Bürgerkampf Theil zu nehmen oder je einmal die innere Freiheit durch
Waffengewalt sicher stellen zu lassen, nicht immer eingedenk geblieben. noto¬
risch ist ja in Rousseau der theoretische und der praktische Politiker zeitlebens
auseinander gegangen, sodaß in ihm der radicalsten Theorie stets die jungfräu¬
lichste Scheu vor Bürgerkrieg und Revolution zur Seite gegangen ist. Ferner die
etwas weit getriebene Parteilichkeit des Verfassers für seinen Helden, den er
wie ein zärtlicher Vater sein Kind vor allem nachtheiligen von Bedeutung,
das aus ihn kommen könnte, hütet. Im Benehmen gegen Frau v. Epinay
hätte von der Beschuldigung der Undankbarkeit wohl mehr, als geschehen
ist. auf Rousseau's Schultern liegen bleiben dürfen; bei dem Bruch mit
Diderot ist II, 221 eine offenbare Härte des Mannes, der nach sieben Jahren
der zwischen alten Freunden eingetretenen Verstimmung die dargebotene
Freundeshand zurückweisen konnte, in Schutz genommen, und S. 360 und
352 in den Beziehungen zu dem Marschall von Luxemburg das ungerechte
Mißtrauen, das Rousseau gegen diesen grundguten Mann hegte, wie ab"
sichtlich verschleiert.

Nach der Vorrede "erörtert der bibliographische Theil unseres Bu>
ches Anlaß und Ursprung der Werke, deckt die mehr oder minder engen Be-
ziehungen auf, in welchen sie zu dem Geist- und Gemüthsleben ihres Ver¬
fassers stehen, gibt eine genaue und vollständige Analyse ihres wesentlichen
Inhalts, firirt die Stelle, die sie in der gesammten Culturentwickelung ihrer
Entstehungszeit einnehmen, und stellt ihre zeitlichen Wirkungen wie den blei-
benden Werth sest, auf welchen die in ihnen ausgesprochenen Grundsätze und
Meinungen Anspruch haben." Versicherungen, die lange nicht in ihrem gan¬
zen Umsange zutreffen, da zu einer Einreihung der Rousseau'schen Leistungen
in ihre culturgeschichtliche Stelle Wesentliches, wie eine Uebersicht über die
Vorarbeiten der Vorgänger, vor Allem die Darlegung des Rousseau'schen
Princips und die Erfassung seiner leitenden Gesichtspunkte fehlt. Es ist eine


65*

Register, keine Ueberschrift der vier großen, bis jetzt gelieferten Abschnitte,
geschweige, daß die einzelnen Seiten mit einer Inhaltsangabe versehen wären!
Man muß es im Kopf behalten, daß der erste Abschnitt bis zum bleibenden
pariser Aufenthalt im Jahr 1741, der zweite bis zur Uebersiedelung in die
Eremitage, der dritte bis zu derjenigen nach Montmorency, der vierte bis
zur Flucht von da geht. Das heißt doch die Objektivität der Erzählung,
das Für sich sprechenlassen der Thatsachen seitens des Erzählers, der sich
nach fünf Jahren Unterbrechung zwischen dem ersten und zweiten Band
nicht einmal in einem kurzen Vorwort zum letzteren vernehmen läßt, zu
weit treiben!

Anstoß nehmen wir in diesem biographischen Theil an der Bemerkung
I, 131: der Verfasser des contrat social sei seines Schwures', nie an einem
Bürgerkampf Theil zu nehmen oder je einmal die innere Freiheit durch
Waffengewalt sicher stellen zu lassen, nicht immer eingedenk geblieben. noto¬
risch ist ja in Rousseau der theoretische und der praktische Politiker zeitlebens
auseinander gegangen, sodaß in ihm der radicalsten Theorie stets die jungfräu¬
lichste Scheu vor Bürgerkrieg und Revolution zur Seite gegangen ist. Ferner die
etwas weit getriebene Parteilichkeit des Verfassers für seinen Helden, den er
wie ein zärtlicher Vater sein Kind vor allem nachtheiligen von Bedeutung,
das aus ihn kommen könnte, hütet. Im Benehmen gegen Frau v. Epinay
hätte von der Beschuldigung der Undankbarkeit wohl mehr, als geschehen
ist. auf Rousseau's Schultern liegen bleiben dürfen; bei dem Bruch mit
Diderot ist II, 221 eine offenbare Härte des Mannes, der nach sieben Jahren
der zwischen alten Freunden eingetretenen Verstimmung die dargebotene
Freundeshand zurückweisen konnte, in Schutz genommen, und S. 360 und
352 in den Beziehungen zu dem Marschall von Luxemburg das ungerechte
Mißtrauen, das Rousseau gegen diesen grundguten Mann hegte, wie ab«
sichtlich verschleiert.

Nach der Vorrede „erörtert der bibliographische Theil unseres Bu>
ches Anlaß und Ursprung der Werke, deckt die mehr oder minder engen Be-
ziehungen auf, in welchen sie zu dem Geist- und Gemüthsleben ihres Ver¬
fassers stehen, gibt eine genaue und vollständige Analyse ihres wesentlichen
Inhalts, firirt die Stelle, die sie in der gesammten Culturentwickelung ihrer
Entstehungszeit einnehmen, und stellt ihre zeitlichen Wirkungen wie den blei-
benden Werth sest, auf welchen die in ihnen ausgesprochenen Grundsätze und
Meinungen Anspruch haben." Versicherungen, die lange nicht in ihrem gan¬
zen Umsange zutreffen, da zu einer Einreihung der Rousseau'schen Leistungen
in ihre culturgeschichtliche Stelle Wesentliches, wie eine Uebersicht über die
Vorarbeiten der Vorgänger, vor Allem die Darlegung des Rousseau'schen
Princips und die Erfassung seiner leitenden Gesichtspunkte fehlt. Es ist eine


65*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0549" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287261"/>
          <p xml:id="ID_1393" prev="#ID_1392"> Register, keine Ueberschrift der vier großen, bis jetzt gelieferten Abschnitte,<lb/>
geschweige, daß die einzelnen Seiten mit einer Inhaltsangabe versehen wären!<lb/>
Man muß es im Kopf behalten, daß der erste Abschnitt bis zum bleibenden<lb/>
pariser Aufenthalt im Jahr 1741, der zweite bis zur Uebersiedelung in die<lb/>
Eremitage, der dritte bis zu derjenigen nach Montmorency, der vierte bis<lb/>
zur Flucht von da geht. Das heißt doch die Objektivität der Erzählung,<lb/>
das Für sich sprechenlassen der Thatsachen seitens des Erzählers, der sich<lb/>
nach fünf Jahren Unterbrechung zwischen dem ersten und zweiten Band<lb/>
nicht einmal in einem kurzen Vorwort zum letzteren vernehmen läßt, zu<lb/>
weit treiben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1394"> Anstoß nehmen wir in diesem biographischen Theil an der Bemerkung<lb/>
I, 131: der Verfasser des contrat social sei seines Schwures', nie an einem<lb/>
Bürgerkampf Theil zu nehmen oder je einmal die innere Freiheit durch<lb/>
Waffengewalt sicher stellen zu lassen, nicht immer eingedenk geblieben. noto¬<lb/>
risch ist ja in Rousseau der theoretische und der praktische Politiker zeitlebens<lb/>
auseinander gegangen, sodaß in ihm der radicalsten Theorie stets die jungfräu¬<lb/>
lichste Scheu vor Bürgerkrieg und Revolution zur Seite gegangen ist. Ferner die<lb/>
etwas weit getriebene Parteilichkeit des Verfassers für seinen Helden, den er<lb/>
wie ein zärtlicher Vater sein Kind vor allem nachtheiligen von Bedeutung,<lb/>
das aus ihn kommen könnte, hütet. Im Benehmen gegen Frau v. Epinay<lb/>
hätte von der Beschuldigung der Undankbarkeit wohl mehr, als geschehen<lb/>
ist. auf Rousseau's Schultern liegen bleiben dürfen; bei dem Bruch mit<lb/>
Diderot ist II, 221 eine offenbare Härte des Mannes, der nach sieben Jahren<lb/>
der zwischen alten Freunden eingetretenen Verstimmung die dargebotene<lb/>
Freundeshand zurückweisen konnte, in Schutz genommen, und S. 360 und<lb/>
352 in den Beziehungen zu dem Marschall von Luxemburg das ungerechte<lb/>
Mißtrauen, das Rousseau gegen diesen grundguten Mann hegte, wie ab«<lb/>
sichtlich verschleiert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1395" next="#ID_1396"> Nach der Vorrede &#x201E;erörtert der bibliographische Theil unseres Bu&gt;<lb/>
ches Anlaß und Ursprung der Werke, deckt die mehr oder minder engen Be-<lb/>
ziehungen auf, in welchen sie zu dem Geist- und Gemüthsleben ihres Ver¬<lb/>
fassers stehen, gibt eine genaue und vollständige Analyse ihres wesentlichen<lb/>
Inhalts, firirt die Stelle, die sie in der gesammten Culturentwickelung ihrer<lb/>
Entstehungszeit einnehmen, und stellt ihre zeitlichen Wirkungen wie den blei-<lb/>
benden Werth sest, auf welchen die in ihnen ausgesprochenen Grundsätze und<lb/>
Meinungen Anspruch haben." Versicherungen, die lange nicht in ihrem gan¬<lb/>
zen Umsange zutreffen, da zu einer Einreihung der Rousseau'schen Leistungen<lb/>
in ihre culturgeschichtliche Stelle Wesentliches, wie eine Uebersicht über die<lb/>
Vorarbeiten der Vorgänger, vor Allem die Darlegung des Rousseau'schen<lb/>
Princips und die Erfassung seiner leitenden Gesichtspunkte fehlt. Es ist eine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 65*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0549] Register, keine Ueberschrift der vier großen, bis jetzt gelieferten Abschnitte, geschweige, daß die einzelnen Seiten mit einer Inhaltsangabe versehen wären! Man muß es im Kopf behalten, daß der erste Abschnitt bis zum bleibenden pariser Aufenthalt im Jahr 1741, der zweite bis zur Uebersiedelung in die Eremitage, der dritte bis zu derjenigen nach Montmorency, der vierte bis zur Flucht von da geht. Das heißt doch die Objektivität der Erzählung, das Für sich sprechenlassen der Thatsachen seitens des Erzählers, der sich nach fünf Jahren Unterbrechung zwischen dem ersten und zweiten Band nicht einmal in einem kurzen Vorwort zum letzteren vernehmen läßt, zu weit treiben! Anstoß nehmen wir in diesem biographischen Theil an der Bemerkung I, 131: der Verfasser des contrat social sei seines Schwures', nie an einem Bürgerkampf Theil zu nehmen oder je einmal die innere Freiheit durch Waffengewalt sicher stellen zu lassen, nicht immer eingedenk geblieben. noto¬ risch ist ja in Rousseau der theoretische und der praktische Politiker zeitlebens auseinander gegangen, sodaß in ihm der radicalsten Theorie stets die jungfräu¬ lichste Scheu vor Bürgerkrieg und Revolution zur Seite gegangen ist. Ferner die etwas weit getriebene Parteilichkeit des Verfassers für seinen Helden, den er wie ein zärtlicher Vater sein Kind vor allem nachtheiligen von Bedeutung, das aus ihn kommen könnte, hütet. Im Benehmen gegen Frau v. Epinay hätte von der Beschuldigung der Undankbarkeit wohl mehr, als geschehen ist. auf Rousseau's Schultern liegen bleiben dürfen; bei dem Bruch mit Diderot ist II, 221 eine offenbare Härte des Mannes, der nach sieben Jahren der zwischen alten Freunden eingetretenen Verstimmung die dargebotene Freundeshand zurückweisen konnte, in Schutz genommen, und S. 360 und 352 in den Beziehungen zu dem Marschall von Luxemburg das ungerechte Mißtrauen, das Rousseau gegen diesen grundguten Mann hegte, wie ab« sichtlich verschleiert. Nach der Vorrede „erörtert der bibliographische Theil unseres Bu> ches Anlaß und Ursprung der Werke, deckt die mehr oder minder engen Be- ziehungen auf, in welchen sie zu dem Geist- und Gemüthsleben ihres Ver¬ fassers stehen, gibt eine genaue und vollständige Analyse ihres wesentlichen Inhalts, firirt die Stelle, die sie in der gesammten Culturentwickelung ihrer Entstehungszeit einnehmen, und stellt ihre zeitlichen Wirkungen wie den blei- benden Werth sest, auf welchen die in ihnen ausgesprochenen Grundsätze und Meinungen Anspruch haben." Versicherungen, die lange nicht in ihrem gan¬ zen Umsange zutreffen, da zu einer Einreihung der Rousseau'schen Leistungen in ihre culturgeschichtliche Stelle Wesentliches, wie eine Uebersicht über die Vorarbeiten der Vorgänger, vor Allem die Darlegung des Rousseau'schen Princips und die Erfassung seiner leitenden Gesichtspunkte fehlt. Es ist eine 65*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/549
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/549>, abgerufen am 16.06.2024.