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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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suche, Savonarola zu einem Vorläufer der reformatorischen Lehre zu machen,
zurückweist, so ist doch die Art befremdlich, wie er ihm, freilich darin nicht
so weitgehend wie Perrens, dies geradezu zum Lob anrechnet, ihm deswegen
einen freieren Blick zuschreibt und eine höhere geschichtliche Stellung anweist.
Hier kommt denn doch bei aller sonstigen Unbefangenheit der Katholik zum
Vorschein, der die eigentliche Bedeutung verkennt, welche die reformatorischen
Dogmen nicht als Dogmen, aber als Ausdruck eines ganz neuen religiösen
Bewußtseins hatten. Wer Luther's Satz vom ssi-pun arbitrium nur für
eine scholastische Marotte hält, der versteht den ganzen Umschwung des 16.
Jahrhunderts nicht, der begreift den Geist deutscher Reformation nicht und der
erleichtert sich damit auch nicht das Verständniß für die geschichtliche Stelle
Savonarola's, denn er kann nicht erklären warum die deutsche Reformation
durchdrang und Savonarola scheiterte. Der Versasser schreibt am Schlüsse:
"Wird nun noch Jemand fragen ob Savonarola an das seivum aiditrium
Luther's oder an die Prädestination Calvin's geglaubt? Er umfaßte mit
seinem Geist und seinem Herzen eine Ideenwelt, die, wenn auch noch mit
vielen Vorurtheilen und beschränkten Meinungen verflochten, doch ungleich
größer war als die Welt Jener, insofern sie auf ein weit ferneres Ziel gerich¬
tet war. Der Geist, der in ihm zuerst sich zu äußern begann, war derselbe, der
das ganze folgende Zeitalter mit einem neuen Leben durchströmte und die
Cultur der Neuzeit begründete, der die moderne Philosophie erschuf, und wäh¬
rend er den Katholicismus zwang, sich zu läutern und zu reinigen, die Re¬
formation nöthigte für die Freiheit des Gewissens und für die freie For¬
schung in die Schranken zu treten, obschon diese Lehren nicht immer die
logische Folge der Prämissen Luther's waren, Savonarola war der Erste, der
die Vernunft mit dem Glauben, die Religion mit der Freiheit in Einklang
zu setzen versuchte. Er war der Erste, der die Menschheit auf jenes Ziel hin¬
lenkte, welches wir auch heute noch nicht erreicht haben, auf das wir aber
mit verdoppelter Kraft gerichtet find. Seine religiösen Bestrebungen knüpfen
sich an diejenigen Arnold's von Brescia, Dante Alighieri's und des Concils
von Costnitz, indem sie jene katholische Reform bezweckten, die zu allen Zeiten
der Wunsch der großen Italiener gewesen ist. . Eine solche Reform könnte
dereinst den Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten verschwinden
machen und beide in einem vom Geist unserer Zeit erneuten Christenthum
vereinigen." Der Verfasser stellt also die Mission Savonarola's geradezu
über die der deutschen Reformatoren. Allein selbst zugegeben, daß Savona¬
rola ein weiteres und höheres Ziel im Auge gehabt hätte, so wird doch
immerhin der ein größerer Wohlthäter der Menschheit sein, der in bescheid¬
neren Grenzen wirkliche und dauernde Erfolge erringt, als der nur ein Pro-


Grenzboten I. 1869, 12

suche, Savonarola zu einem Vorläufer der reformatorischen Lehre zu machen,
zurückweist, so ist doch die Art befremdlich, wie er ihm, freilich darin nicht
so weitgehend wie Perrens, dies geradezu zum Lob anrechnet, ihm deswegen
einen freieren Blick zuschreibt und eine höhere geschichtliche Stellung anweist.
Hier kommt denn doch bei aller sonstigen Unbefangenheit der Katholik zum
Vorschein, der die eigentliche Bedeutung verkennt, welche die reformatorischen
Dogmen nicht als Dogmen, aber als Ausdruck eines ganz neuen religiösen
Bewußtseins hatten. Wer Luther's Satz vom ssi-pun arbitrium nur für
eine scholastische Marotte hält, der versteht den ganzen Umschwung des 16.
Jahrhunderts nicht, der begreift den Geist deutscher Reformation nicht und der
erleichtert sich damit auch nicht das Verständniß für die geschichtliche Stelle
Savonarola's, denn er kann nicht erklären warum die deutsche Reformation
durchdrang und Savonarola scheiterte. Der Versasser schreibt am Schlüsse:
„Wird nun noch Jemand fragen ob Savonarola an das seivum aiditrium
Luther's oder an die Prädestination Calvin's geglaubt? Er umfaßte mit
seinem Geist und seinem Herzen eine Ideenwelt, die, wenn auch noch mit
vielen Vorurtheilen und beschränkten Meinungen verflochten, doch ungleich
größer war als die Welt Jener, insofern sie auf ein weit ferneres Ziel gerich¬
tet war. Der Geist, der in ihm zuerst sich zu äußern begann, war derselbe, der
das ganze folgende Zeitalter mit einem neuen Leben durchströmte und die
Cultur der Neuzeit begründete, der die moderne Philosophie erschuf, und wäh¬
rend er den Katholicismus zwang, sich zu läutern und zu reinigen, die Re¬
formation nöthigte für die Freiheit des Gewissens und für die freie For¬
schung in die Schranken zu treten, obschon diese Lehren nicht immer die
logische Folge der Prämissen Luther's waren, Savonarola war der Erste, der
die Vernunft mit dem Glauben, die Religion mit der Freiheit in Einklang
zu setzen versuchte. Er war der Erste, der die Menschheit auf jenes Ziel hin¬
lenkte, welches wir auch heute noch nicht erreicht haben, auf das wir aber
mit verdoppelter Kraft gerichtet find. Seine religiösen Bestrebungen knüpfen
sich an diejenigen Arnold's von Brescia, Dante Alighieri's und des Concils
von Costnitz, indem sie jene katholische Reform bezweckten, die zu allen Zeiten
der Wunsch der großen Italiener gewesen ist. . Eine solche Reform könnte
dereinst den Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten verschwinden
machen und beide in einem vom Geist unserer Zeit erneuten Christenthum
vereinigen." Der Verfasser stellt also die Mission Savonarola's geradezu
über die der deutschen Reformatoren. Allein selbst zugegeben, daß Savona¬
rola ein weiteres und höheres Ziel im Auge gehabt hätte, so wird doch
immerhin der ein größerer Wohlthäter der Menschheit sein, der in bescheid¬
neren Grenzen wirkliche und dauernde Erfolge erringt, als der nur ein Pro-


Grenzboten I. 1869, 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/100>, abgerufen am 20.05.2024.