Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Stil und in der Darstellungsweise. In einer einfachen und ruhigen Sprache
und doch mit warmer Begeisterung entrollt Villari vor unseren Augen das
Drama dieses bewegten Lebens. Mit wachsender Theilnahme folgen wir dem
unerschrockenen Mönch auf jedem Schritt seiner gefährlichen Bahn und obwohl
wir die Klippen, an denen er scheitern muß, klar voraussehen, stehen wir
doch erschüttert, als die Katastrophe endlich über ihn hereinbricht."

Die Documente, welche Villari neu aufgefunden hat, beziehen sich na¬
mentlich auf den Proceß, der nunmehr, wie auch der Hergang der Feuer¬
probe, vollständig aufgehellt ist. Ein mehrjähriges hingebendes Studium
hat er sodann auf die Schriften Savonarola's verwandt und auch hier gelang
es ihm, neue Schriften und Briefe aufzufinden, ferner autographische Rand¬
bemerkungen auf Bibeln, welche herausstellen, daß Savonarola immer sich
selbst gleich geblieben ist, in der Einsamkeit seiner Zelle wie auf der Kanzel
und in seinen öffentlichen Schriften. Auch die politische Geschichte von Flo¬
renz ist von dem Verfasser selbständig durchforscht worden. Ein klares Bild
der Parteiverhältnisse ließ sich namentlich aus den bisher noch nicht benutzten
Pratiche, d. h. den Auszügen der im Rath gepflogenen Verhandlungen,
schöpfen, und der Vergleich derselben mit den Predigten Savonarola's ergab
zugleich, in wie hohem Grad dieser der belebende Geist des großen politischen
Dramas gewesen war. Endlich aber ist sich der Geschichtschreiber bewußt,
seine Arbeit ohne vorgefaßte Meinung begonnen und durchgeführt zu haben.
Er wollte seinen Helden im Verhältniß zu seiner Zeit, aber nicht als einen
Vorkämpfer der Leidenschaften des 19. Jahrhunderts darstellen. Er schrieb
nicht im Interesse einer Partei, um Rom zu vertheidigen oder anzugreifen.
"Hätte ich in ihm" sagt,er, "einen Ketzer oder Ungläubigen gefunden, so
würde ich ihn ohne allen Zweifel auch so geschildert haben. Statt dessen hat
er sich mir in allen wesentlichen Punkten als Katholiken erwiesen und als
solchen stelle ich ihn dem Leser dar."

Bei einem Stoff dieser Art ist es freilich doppelt schwierig, sich aller Vor¬
eingenommenheit, aller Einwirkung nationaler und religiöser Rücksichten zu
entschlagen, auch ist es begreiflich, wenn jahrelange angestrengte Beschäfti¬
gung mit einem Helden dazu führt, mit derselben Wärme seine Sache vor der
Nachwelt zu führen, mit welcher die Piagnonen zu Florenz ihr Parteihaupt
schützten und verehrten. Allein wenn der Verfasser, wie uns in der That
scheint, feinem Helden einen höheren Platz in der Geschichte anweist, als ihm
wirklich zukommt, wenn er ihn als Geist ersten Ranges auch in solchen Fächern
erhebt, in welchen Savonarola selbst sicher am wenigsten diesen Anspruch
machte, wie z. B. in der Philosophie, so dient die eigene gewissenhafte Er¬
zählung des Verfassers selbst dazu, solche summarische Urtheile auf ihren
wahren Werth zurückzuführen. Wenn Villari auch ganz mit Recht die Ver-


Stil und in der Darstellungsweise. In einer einfachen und ruhigen Sprache
und doch mit warmer Begeisterung entrollt Villari vor unseren Augen das
Drama dieses bewegten Lebens. Mit wachsender Theilnahme folgen wir dem
unerschrockenen Mönch auf jedem Schritt seiner gefährlichen Bahn und obwohl
wir die Klippen, an denen er scheitern muß, klar voraussehen, stehen wir
doch erschüttert, als die Katastrophe endlich über ihn hereinbricht."

Die Documente, welche Villari neu aufgefunden hat, beziehen sich na¬
mentlich auf den Proceß, der nunmehr, wie auch der Hergang der Feuer¬
probe, vollständig aufgehellt ist. Ein mehrjähriges hingebendes Studium
hat er sodann auf die Schriften Savonarola's verwandt und auch hier gelang
es ihm, neue Schriften und Briefe aufzufinden, ferner autographische Rand¬
bemerkungen auf Bibeln, welche herausstellen, daß Savonarola immer sich
selbst gleich geblieben ist, in der Einsamkeit seiner Zelle wie auf der Kanzel
und in seinen öffentlichen Schriften. Auch die politische Geschichte von Flo¬
renz ist von dem Verfasser selbständig durchforscht worden. Ein klares Bild
der Parteiverhältnisse ließ sich namentlich aus den bisher noch nicht benutzten
Pratiche, d. h. den Auszügen der im Rath gepflogenen Verhandlungen,
schöpfen, und der Vergleich derselben mit den Predigten Savonarola's ergab
zugleich, in wie hohem Grad dieser der belebende Geist des großen politischen
Dramas gewesen war. Endlich aber ist sich der Geschichtschreiber bewußt,
seine Arbeit ohne vorgefaßte Meinung begonnen und durchgeführt zu haben.
Er wollte seinen Helden im Verhältniß zu seiner Zeit, aber nicht als einen
Vorkämpfer der Leidenschaften des 19. Jahrhunderts darstellen. Er schrieb
nicht im Interesse einer Partei, um Rom zu vertheidigen oder anzugreifen.
„Hätte ich in ihm" sagt,er, „einen Ketzer oder Ungläubigen gefunden, so
würde ich ihn ohne allen Zweifel auch so geschildert haben. Statt dessen hat
er sich mir in allen wesentlichen Punkten als Katholiken erwiesen und als
solchen stelle ich ihn dem Leser dar."

Bei einem Stoff dieser Art ist es freilich doppelt schwierig, sich aller Vor¬
eingenommenheit, aller Einwirkung nationaler und religiöser Rücksichten zu
entschlagen, auch ist es begreiflich, wenn jahrelange angestrengte Beschäfti¬
gung mit einem Helden dazu führt, mit derselben Wärme seine Sache vor der
Nachwelt zu führen, mit welcher die Piagnonen zu Florenz ihr Parteihaupt
schützten und verehrten. Allein wenn der Verfasser, wie uns in der That
scheint, feinem Helden einen höheren Platz in der Geschichte anweist, als ihm
wirklich zukommt, wenn er ihn als Geist ersten Ranges auch in solchen Fächern
erhebt, in welchen Savonarola selbst sicher am wenigsten diesen Anspruch
machte, wie z. B. in der Philosophie, so dient die eigene gewissenhafte Er¬
zählung des Verfassers selbst dazu, solche summarische Urtheile auf ihren
wahren Werth zurückzuführen. Wenn Villari auch ganz mit Recht die Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120288"/>
            <p xml:id="ID_270" prev="#ID_269"> Stil und in der Darstellungsweise. In einer einfachen und ruhigen Sprache<lb/>
und doch mit warmer Begeisterung entrollt Villari vor unseren Augen das<lb/>
Drama dieses bewegten Lebens. Mit wachsender Theilnahme folgen wir dem<lb/>
unerschrockenen Mönch auf jedem Schritt seiner gefährlichen Bahn und obwohl<lb/>
wir die Klippen, an denen er scheitern muß, klar voraussehen, stehen wir<lb/>
doch erschüttert, als die Katastrophe endlich über ihn hereinbricht."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_271"> Die Documente, welche Villari neu aufgefunden hat, beziehen sich na¬<lb/>
mentlich auf den Proceß, der nunmehr, wie auch der Hergang der Feuer¬<lb/>
probe, vollständig aufgehellt ist. Ein mehrjähriges hingebendes Studium<lb/>
hat er sodann auf die Schriften Savonarola's verwandt und auch hier gelang<lb/>
es ihm, neue Schriften und Briefe aufzufinden, ferner autographische Rand¬<lb/>
bemerkungen auf Bibeln, welche herausstellen, daß Savonarola immer sich<lb/>
selbst gleich geblieben ist, in der Einsamkeit seiner Zelle wie auf der Kanzel<lb/>
und in seinen öffentlichen Schriften. Auch die politische Geschichte von Flo¬<lb/>
renz ist von dem Verfasser selbständig durchforscht worden. Ein klares Bild<lb/>
der Parteiverhältnisse ließ sich namentlich aus den bisher noch nicht benutzten<lb/>
Pratiche, d. h. den Auszügen der im Rath gepflogenen Verhandlungen,<lb/>
schöpfen, und der Vergleich derselben mit den Predigten Savonarola's ergab<lb/>
zugleich, in wie hohem Grad dieser der belebende Geist des großen politischen<lb/>
Dramas gewesen war. Endlich aber ist sich der Geschichtschreiber bewußt,<lb/>
seine Arbeit ohne vorgefaßte Meinung begonnen und durchgeführt zu haben.<lb/>
Er wollte seinen Helden im Verhältniß zu seiner Zeit, aber nicht als einen<lb/>
Vorkämpfer der Leidenschaften des 19. Jahrhunderts darstellen. Er schrieb<lb/>
nicht im Interesse einer Partei, um Rom zu vertheidigen oder anzugreifen.<lb/>
&#x201E;Hätte ich in ihm" sagt,er, &#x201E;einen Ketzer oder Ungläubigen gefunden, so<lb/>
würde ich ihn ohne allen Zweifel auch so geschildert haben. Statt dessen hat<lb/>
er sich mir in allen wesentlichen Punkten als Katholiken erwiesen und als<lb/>
solchen stelle ich ihn dem Leser dar."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_272" next="#ID_273"> Bei einem Stoff dieser Art ist es freilich doppelt schwierig, sich aller Vor¬<lb/>
eingenommenheit, aller Einwirkung nationaler und religiöser Rücksichten zu<lb/>
entschlagen, auch ist es begreiflich, wenn jahrelange angestrengte Beschäfti¬<lb/>
gung mit einem Helden dazu führt, mit derselben Wärme seine Sache vor der<lb/>
Nachwelt zu führen, mit welcher die Piagnonen zu Florenz ihr Parteihaupt<lb/>
schützten und verehrten. Allein wenn der Verfasser, wie uns in der That<lb/>
scheint, feinem Helden einen höheren Platz in der Geschichte anweist, als ihm<lb/>
wirklich zukommt, wenn er ihn als Geist ersten Ranges auch in solchen Fächern<lb/>
erhebt, in welchen Savonarola selbst sicher am wenigsten diesen Anspruch<lb/>
machte, wie z. B. in der Philosophie, so dient die eigene gewissenhafte Er¬<lb/>
zählung des Verfassers selbst dazu, solche summarische Urtheile auf ihren<lb/>
wahren Werth zurückzuführen.  Wenn Villari auch ganz mit Recht die Ver-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] Stil und in der Darstellungsweise. In einer einfachen und ruhigen Sprache und doch mit warmer Begeisterung entrollt Villari vor unseren Augen das Drama dieses bewegten Lebens. Mit wachsender Theilnahme folgen wir dem unerschrockenen Mönch auf jedem Schritt seiner gefährlichen Bahn und obwohl wir die Klippen, an denen er scheitern muß, klar voraussehen, stehen wir doch erschüttert, als die Katastrophe endlich über ihn hereinbricht." Die Documente, welche Villari neu aufgefunden hat, beziehen sich na¬ mentlich auf den Proceß, der nunmehr, wie auch der Hergang der Feuer¬ probe, vollständig aufgehellt ist. Ein mehrjähriges hingebendes Studium hat er sodann auf die Schriften Savonarola's verwandt und auch hier gelang es ihm, neue Schriften und Briefe aufzufinden, ferner autographische Rand¬ bemerkungen auf Bibeln, welche herausstellen, daß Savonarola immer sich selbst gleich geblieben ist, in der Einsamkeit seiner Zelle wie auf der Kanzel und in seinen öffentlichen Schriften. Auch die politische Geschichte von Flo¬ renz ist von dem Verfasser selbständig durchforscht worden. Ein klares Bild der Parteiverhältnisse ließ sich namentlich aus den bisher noch nicht benutzten Pratiche, d. h. den Auszügen der im Rath gepflogenen Verhandlungen, schöpfen, und der Vergleich derselben mit den Predigten Savonarola's ergab zugleich, in wie hohem Grad dieser der belebende Geist des großen politischen Dramas gewesen war. Endlich aber ist sich der Geschichtschreiber bewußt, seine Arbeit ohne vorgefaßte Meinung begonnen und durchgeführt zu haben. Er wollte seinen Helden im Verhältniß zu seiner Zeit, aber nicht als einen Vorkämpfer der Leidenschaften des 19. Jahrhunderts darstellen. Er schrieb nicht im Interesse einer Partei, um Rom zu vertheidigen oder anzugreifen. „Hätte ich in ihm" sagt,er, „einen Ketzer oder Ungläubigen gefunden, so würde ich ihn ohne allen Zweifel auch so geschildert haben. Statt dessen hat er sich mir in allen wesentlichen Punkten als Katholiken erwiesen und als solchen stelle ich ihn dem Leser dar." Bei einem Stoff dieser Art ist es freilich doppelt schwierig, sich aller Vor¬ eingenommenheit, aller Einwirkung nationaler und religiöser Rücksichten zu entschlagen, auch ist es begreiflich, wenn jahrelange angestrengte Beschäfti¬ gung mit einem Helden dazu führt, mit derselben Wärme seine Sache vor der Nachwelt zu führen, mit welcher die Piagnonen zu Florenz ihr Parteihaupt schützten und verehrten. Allein wenn der Verfasser, wie uns in der That scheint, feinem Helden einen höheren Platz in der Geschichte anweist, als ihm wirklich zukommt, wenn er ihn als Geist ersten Ranges auch in solchen Fächern erhebt, in welchen Savonarola selbst sicher am wenigsten diesen Anspruch machte, wie z. B. in der Philosophie, so dient die eigene gewissenhafte Er¬ zählung des Verfassers selbst dazu, solche summarische Urtheile auf ihren wahren Werth zurückzuführen. Wenn Villari auch ganz mit Recht die Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/99>, abgerufen am 13.06.2024.