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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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mit dem Reichskanzler schloß und die Unkosten desselben wesentlich von den
Deutsch-Oestreichern mit Uebernahme des größten Theils der Steuer- und
Schuldenlast bezahlen ließ; selbst vor den die siebenbürgischen Deutschen hart
bedrückenden Consequenzen des ungarischen Staatsprincips ist man diesseit
des Main und der Donau nicht zurückgewichen und die Freundschaft Nord¬
deutschlands für Ungarn ist nicht der letzte Grund, aus welchem wir in Wien
für Todfeinde des östreichischen Staats gelten.

Wir wissen nicht ob und in wie weit diese Umstände dazu geführt haben,
der deutsch-nationalen Beurtheilung ungarischer Dinge bei den Magyaren
selbst Einfluß zu verschaffen; wohl aber dürfen wir den Anspruch erheben,
Norddeutschland als den unbefangensten und wohlwollendsten aller Richter
angesehen zu wissen, welche über Erscheinungen des magyarischen Staats¬
lebens ihre Meinung sagen.

Diese Meinung ist durch den Ausfall der letzten ungarischen Landtags¬
wahlen weder bei Deutschen, noch bei urtheilsfähigem Franzosen und Eng¬
ländern gebessert worden. Der Sieg, den die Pester Linke und der mit ihr
verbündete Radikalismus über die bisher herrschende Partei in einer großen
Anzahl der wichtigsten Wahlbezirke erfochten haben, stellt der vielgerühmten
Mäßigung und dem staatsmännischen Sinn, der diesem Volke bisher im
Gegensatz zu Polen. Rumänen, Serben und anderen Bewohnern des öst¬
lichen Europa nachgerühmt worden, vielmehr ein ziemlich bedenkliches Zeugniß
aus und läßt uns fürchten, daß bei den deutschen Sympathien für Ungarn
ein gutes Stück Ueberschätzung mituntergelaufen ist, oder doch, daß nach einem
beschränkten Kreise von Staatsmännern voreilig auf den Bildungszustand
der gesammten Nation geschlossen worden.

Von den 329 Wahlen, deren Resultate bis jetzt bekannt geworden, sind
nicht weniger als 146 im Sinne der Opposition ausgefallen und ob der Rest
aus wirklich zuverlässigen Deakisten besteht, wird die Zukunft noch aus¬
weisen müssen.

Die Partei, welche bisher fast unumschränkt über das Pester Parlament
herrschte, hatte nicht nur einen beträchtlich Theil ihrer alten Sitze eingebüßt und
eine relativ schwache Majorität übrig behalten, -- sie ist, was sehr viel mehr
sagen will, gerade an den entscheidendsten Punkten empfindlich geschlagen worden.
In einer der Vorstädte der Landeshauptstadt ist der Finanzminister Gorove
durchgefallen, in den übrigen Pester Wahlbezirken haben zum Theil ziemlich
obscure Candidaten der Opposition über erprobte Männer der ministeriellen
Majorität gesiegt. Während die Linke all' ihre alten Führer durchgebracht
hat. fehlt in den Reihen des Dcakschen Generalstabs manch' theures Haupt.
Ja es sind nicht ein Mal immer Männer der gemäßigten und zurechnungs¬
fähigen Opposition gewesen, welche als Sieger aus dem Kampfe hervor-


Gr-nzboten II. >"69, 8

mit dem Reichskanzler schloß und die Unkosten desselben wesentlich von den
Deutsch-Oestreichern mit Uebernahme des größten Theils der Steuer- und
Schuldenlast bezahlen ließ; selbst vor den die siebenbürgischen Deutschen hart
bedrückenden Consequenzen des ungarischen Staatsprincips ist man diesseit
des Main und der Donau nicht zurückgewichen und die Freundschaft Nord¬
deutschlands für Ungarn ist nicht der letzte Grund, aus welchem wir in Wien
für Todfeinde des östreichischen Staats gelten.

Wir wissen nicht ob und in wie weit diese Umstände dazu geführt haben,
der deutsch-nationalen Beurtheilung ungarischer Dinge bei den Magyaren
selbst Einfluß zu verschaffen; wohl aber dürfen wir den Anspruch erheben,
Norddeutschland als den unbefangensten und wohlwollendsten aller Richter
angesehen zu wissen, welche über Erscheinungen des magyarischen Staats¬
lebens ihre Meinung sagen.

Diese Meinung ist durch den Ausfall der letzten ungarischen Landtags¬
wahlen weder bei Deutschen, noch bei urtheilsfähigem Franzosen und Eng¬
ländern gebessert worden. Der Sieg, den die Pester Linke und der mit ihr
verbündete Radikalismus über die bisher herrschende Partei in einer großen
Anzahl der wichtigsten Wahlbezirke erfochten haben, stellt der vielgerühmten
Mäßigung und dem staatsmännischen Sinn, der diesem Volke bisher im
Gegensatz zu Polen. Rumänen, Serben und anderen Bewohnern des öst¬
lichen Europa nachgerühmt worden, vielmehr ein ziemlich bedenkliches Zeugniß
aus und läßt uns fürchten, daß bei den deutschen Sympathien für Ungarn
ein gutes Stück Ueberschätzung mituntergelaufen ist, oder doch, daß nach einem
beschränkten Kreise von Staatsmännern voreilig auf den Bildungszustand
der gesammten Nation geschlossen worden.

Von den 329 Wahlen, deren Resultate bis jetzt bekannt geworden, sind
nicht weniger als 146 im Sinne der Opposition ausgefallen und ob der Rest
aus wirklich zuverlässigen Deakisten besteht, wird die Zukunft noch aus¬
weisen müssen.

Die Partei, welche bisher fast unumschränkt über das Pester Parlament
herrschte, hatte nicht nur einen beträchtlich Theil ihrer alten Sitze eingebüßt und
eine relativ schwache Majorität übrig behalten, — sie ist, was sehr viel mehr
sagen will, gerade an den entscheidendsten Punkten empfindlich geschlagen worden.
In einer der Vorstädte der Landeshauptstadt ist der Finanzminister Gorove
durchgefallen, in den übrigen Pester Wahlbezirken haben zum Theil ziemlich
obscure Candidaten der Opposition über erprobte Männer der ministeriellen
Majorität gesiegt. Während die Linke all' ihre alten Führer durchgebracht
hat. fehlt in den Reihen des Dcakschen Generalstabs manch' theures Haupt.
Ja es sind nicht ein Mal immer Männer der gemäßigten und zurechnungs¬
fähigen Opposition gewesen, welche als Sieger aus dem Kampfe hervor-


Gr-nzboten II. >«69, 8
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[0065] mit dem Reichskanzler schloß und die Unkosten desselben wesentlich von den Deutsch-Oestreichern mit Uebernahme des größten Theils der Steuer- und Schuldenlast bezahlen ließ; selbst vor den die siebenbürgischen Deutschen hart bedrückenden Consequenzen des ungarischen Staatsprincips ist man diesseit des Main und der Donau nicht zurückgewichen und die Freundschaft Nord¬ deutschlands für Ungarn ist nicht der letzte Grund, aus welchem wir in Wien für Todfeinde des östreichischen Staats gelten. Wir wissen nicht ob und in wie weit diese Umstände dazu geführt haben, der deutsch-nationalen Beurtheilung ungarischer Dinge bei den Magyaren selbst Einfluß zu verschaffen; wohl aber dürfen wir den Anspruch erheben, Norddeutschland als den unbefangensten und wohlwollendsten aller Richter angesehen zu wissen, welche über Erscheinungen des magyarischen Staats¬ lebens ihre Meinung sagen. Diese Meinung ist durch den Ausfall der letzten ungarischen Landtags¬ wahlen weder bei Deutschen, noch bei urtheilsfähigem Franzosen und Eng¬ ländern gebessert worden. Der Sieg, den die Pester Linke und der mit ihr verbündete Radikalismus über die bisher herrschende Partei in einer großen Anzahl der wichtigsten Wahlbezirke erfochten haben, stellt der vielgerühmten Mäßigung und dem staatsmännischen Sinn, der diesem Volke bisher im Gegensatz zu Polen. Rumänen, Serben und anderen Bewohnern des öst¬ lichen Europa nachgerühmt worden, vielmehr ein ziemlich bedenkliches Zeugniß aus und läßt uns fürchten, daß bei den deutschen Sympathien für Ungarn ein gutes Stück Ueberschätzung mituntergelaufen ist, oder doch, daß nach einem beschränkten Kreise von Staatsmännern voreilig auf den Bildungszustand der gesammten Nation geschlossen worden. Von den 329 Wahlen, deren Resultate bis jetzt bekannt geworden, sind nicht weniger als 146 im Sinne der Opposition ausgefallen und ob der Rest aus wirklich zuverlässigen Deakisten besteht, wird die Zukunft noch aus¬ weisen müssen. Die Partei, welche bisher fast unumschränkt über das Pester Parlament herrschte, hatte nicht nur einen beträchtlich Theil ihrer alten Sitze eingebüßt und eine relativ schwache Majorität übrig behalten, — sie ist, was sehr viel mehr sagen will, gerade an den entscheidendsten Punkten empfindlich geschlagen worden. In einer der Vorstädte der Landeshauptstadt ist der Finanzminister Gorove durchgefallen, in den übrigen Pester Wahlbezirken haben zum Theil ziemlich obscure Candidaten der Opposition über erprobte Männer der ministeriellen Majorität gesiegt. Während die Linke all' ihre alten Führer durchgebracht hat. fehlt in den Reihen des Dcakschen Generalstabs manch' theures Haupt. Ja es sind nicht ein Mal immer Männer der gemäßigten und zurechnungs¬ fähigen Opposition gewesen, welche als Sieger aus dem Kampfe hervor- Gr-nzboten II. >«69, 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/65>, abgerufen am 22.05.2024.