Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gingen, sondern nicht weniger als 40 Radikale, zum Theil Männer, deren
bloße Namen für eine Kriegserklärung gegen die jm Jahr 1867 begründete
Ordnung der Dinge gelten müssen.

Kossuth ist in zwei Wahlbezirken gewählt worden und wenn er sich zur
Annahme eines Maubads herbeiläßt, so werden sein Sohn und eine nicht
ganz unbedeutende Zahl von alten und neuen Freunden dem gefährlichen
republikanischen Agitator bei dem Eintritt in das Pester Ständehaus als
Escorte dienen.

Daß das Ministerium Andrassy selbst die ihm übrig gebliebene Majorität
nicht für ausreichend und zuverlässig genug hält, um mit Hilfe derselben
die stritte Fortführung des bisherigen Systems zu versuchen, hat es bereits
deutlich gesagt. Noch bevor die Wahlresultate der letzten besonders un¬
günstigen Tage vorlagen, war der ungarische Premier mit Herrn v. Ticza
und andern Führern der Linken in Beziehungen, getreten, um sein Cabinet
im Sinne der veränderten Verhältnisse umzugestalten; daß diese Unterhand¬
lungen bis jetzt keine Früchte getragen haben, soll seinen Hauptgrund darin
haben, daß die Partei, welche sie für die Trägerin der Zukunft hält, mit
einem Portefeuille nicht zufrieden war und durch ein Hinausschieben
des Compromisses mit den Ministern günstigere Bedingungen für sich er¬
reichen zu können glaubte. Die Richtigkeit dieser Rechnung scheint sich schon
jetzt bestätigt zu haben, denn der Wahlkampf hat nicht nur die Zahl der
vorgeschrittenen Deputirten vermehrt, sondern Muth, Einfluß und Leiden¬
schaft ihrer Wähler gehoben. Eine etwaige Auflösung des neugewählten
Hauses würde die Sache der Deakisten auf eine noch schmalere Basis stellen.

Vom specifisch preußischen Standpunkte haben wir gegen diesen bedeut¬
samen Umschwung in der öffentlichen Meinung Ungarns kaum etwas ein¬
zuwenden. Der Leiter der diplomatischen Geschicke des, ungarW-östreichi¬
schen Staats hat von der Unversöhnlichkeit seines Hasses gegen Preußen und
seiner petulanten Jntriguensucht gerade in der letzten Zeit zu häufige und
zu deutliche Beweise geliefert, als daß wir irgend ein Interesse daran haben
könnten, ihm das Leben leicht gemacht zu sehen. Wir wissen im Gegentheil,
daß der zunehmende Einfluß der linken Seite des ungarischen Ständehauseö
auf des Grafen Beust bewegliche und unternehmungslustige Politik bändi¬
gend wirken, ihm die weitere Verfolgung seiner Pläne beträchtlich erschweren
wird. Wenn schon Graf Andrassy nicht im Stande war, dem Reichskanzler
auf das Feld alt-östreichischer Großmachtspolitik zu folgen, so werden die
Anhänger Ticza's, die kein anderes als das specifisch ungarische Interesse
kennen, von derselben vollends nichts wissen wollen und sicherere Garantien
dafür verlangen, nicht in Conflicte verwickelt zu werden, bei denen Ungarn
nur verlieren und nicht gewinnen kann.


gingen, sondern nicht weniger als 40 Radikale, zum Theil Männer, deren
bloße Namen für eine Kriegserklärung gegen die jm Jahr 1867 begründete
Ordnung der Dinge gelten müssen.

Kossuth ist in zwei Wahlbezirken gewählt worden und wenn er sich zur
Annahme eines Maubads herbeiläßt, so werden sein Sohn und eine nicht
ganz unbedeutende Zahl von alten und neuen Freunden dem gefährlichen
republikanischen Agitator bei dem Eintritt in das Pester Ständehaus als
Escorte dienen.

Daß das Ministerium Andrassy selbst die ihm übrig gebliebene Majorität
nicht für ausreichend und zuverlässig genug hält, um mit Hilfe derselben
die stritte Fortführung des bisherigen Systems zu versuchen, hat es bereits
deutlich gesagt. Noch bevor die Wahlresultate der letzten besonders un¬
günstigen Tage vorlagen, war der ungarische Premier mit Herrn v. Ticza
und andern Führern der Linken in Beziehungen, getreten, um sein Cabinet
im Sinne der veränderten Verhältnisse umzugestalten; daß diese Unterhand¬
lungen bis jetzt keine Früchte getragen haben, soll seinen Hauptgrund darin
haben, daß die Partei, welche sie für die Trägerin der Zukunft hält, mit
einem Portefeuille nicht zufrieden war und durch ein Hinausschieben
des Compromisses mit den Ministern günstigere Bedingungen für sich er¬
reichen zu können glaubte. Die Richtigkeit dieser Rechnung scheint sich schon
jetzt bestätigt zu haben, denn der Wahlkampf hat nicht nur die Zahl der
vorgeschrittenen Deputirten vermehrt, sondern Muth, Einfluß und Leiden¬
schaft ihrer Wähler gehoben. Eine etwaige Auflösung des neugewählten
Hauses würde die Sache der Deakisten auf eine noch schmalere Basis stellen.

Vom specifisch preußischen Standpunkte haben wir gegen diesen bedeut¬
samen Umschwung in der öffentlichen Meinung Ungarns kaum etwas ein¬
zuwenden. Der Leiter der diplomatischen Geschicke des, ungarW-östreichi¬
schen Staats hat von der Unversöhnlichkeit seines Hasses gegen Preußen und
seiner petulanten Jntriguensucht gerade in der letzten Zeit zu häufige und
zu deutliche Beweise geliefert, als daß wir irgend ein Interesse daran haben
könnten, ihm das Leben leicht gemacht zu sehen. Wir wissen im Gegentheil,
daß der zunehmende Einfluß der linken Seite des ungarischen Ständehauseö
auf des Grafen Beust bewegliche und unternehmungslustige Politik bändi¬
gend wirken, ihm die weitere Verfolgung seiner Pläne beträchtlich erschweren
wird. Wenn schon Graf Andrassy nicht im Stande war, dem Reichskanzler
auf das Feld alt-östreichischer Großmachtspolitik zu folgen, so werden die
Anhänger Ticza's, die kein anderes als das specifisch ungarische Interesse
kennen, von derselben vollends nichts wissen wollen und sicherere Garantien
dafür verlangen, nicht in Conflicte verwickelt zu werden, bei denen Ungarn
nur verlieren und nicht gewinnen kann.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120753"/>
          <p xml:id="ID_160" prev="#ID_159"> gingen, sondern nicht weniger als 40 Radikale, zum Theil Männer, deren<lb/>
bloße Namen für eine Kriegserklärung gegen die jm Jahr 1867 begründete<lb/>
Ordnung der Dinge gelten müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_161"> Kossuth ist in zwei Wahlbezirken gewählt worden und wenn er sich zur<lb/>
Annahme eines Maubads herbeiläßt, so werden sein Sohn und eine nicht<lb/>
ganz unbedeutende Zahl von alten und neuen Freunden dem gefährlichen<lb/>
republikanischen Agitator bei dem Eintritt in das Pester Ständehaus als<lb/>
Escorte dienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_162"> Daß das Ministerium Andrassy selbst die ihm übrig gebliebene Majorität<lb/>
nicht für ausreichend und zuverlässig genug hält, um mit Hilfe derselben<lb/>
die stritte Fortführung des bisherigen Systems zu versuchen, hat es bereits<lb/>
deutlich gesagt. Noch bevor die Wahlresultate der letzten besonders un¬<lb/>
günstigen Tage vorlagen, war der ungarische Premier mit Herrn v. Ticza<lb/>
und andern Führern der Linken in Beziehungen, getreten, um sein Cabinet<lb/>
im Sinne der veränderten Verhältnisse umzugestalten; daß diese Unterhand¬<lb/>
lungen bis jetzt keine Früchte getragen haben, soll seinen Hauptgrund darin<lb/>
haben, daß die Partei, welche sie für die Trägerin der Zukunft hält, mit<lb/>
einem Portefeuille nicht zufrieden war und durch ein Hinausschieben<lb/>
des Compromisses mit den Ministern günstigere Bedingungen für sich er¬<lb/>
reichen zu können glaubte. Die Richtigkeit dieser Rechnung scheint sich schon<lb/>
jetzt bestätigt zu haben, denn der Wahlkampf hat nicht nur die Zahl der<lb/>
vorgeschrittenen Deputirten vermehrt, sondern Muth, Einfluß und Leiden¬<lb/>
schaft ihrer Wähler gehoben. Eine etwaige Auflösung des neugewählten<lb/>
Hauses würde die Sache der Deakisten auf eine noch schmalere Basis stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_163"> Vom specifisch preußischen Standpunkte haben wir gegen diesen bedeut¬<lb/>
samen Umschwung in der öffentlichen Meinung Ungarns kaum etwas ein¬<lb/>
zuwenden. Der Leiter der diplomatischen Geschicke des, ungarW-östreichi¬<lb/>
schen Staats hat von der Unversöhnlichkeit seines Hasses gegen Preußen und<lb/>
seiner petulanten Jntriguensucht gerade in der letzten Zeit zu häufige und<lb/>
zu deutliche Beweise geliefert, als daß wir irgend ein Interesse daran haben<lb/>
könnten, ihm das Leben leicht gemacht zu sehen. Wir wissen im Gegentheil,<lb/>
daß der zunehmende Einfluß der linken Seite des ungarischen Ständehauseö<lb/>
auf des Grafen Beust bewegliche und unternehmungslustige Politik bändi¬<lb/>
gend wirken, ihm die weitere Verfolgung seiner Pläne beträchtlich erschweren<lb/>
wird. Wenn schon Graf Andrassy nicht im Stande war, dem Reichskanzler<lb/>
auf das Feld alt-östreichischer Großmachtspolitik zu folgen, so werden die<lb/>
Anhänger Ticza's, die kein anderes als das specifisch ungarische Interesse<lb/>
kennen, von derselben vollends nichts wissen wollen und sicherere Garantien<lb/>
dafür verlangen, nicht in Conflicte verwickelt zu werden, bei denen Ungarn<lb/>
nur verlieren und nicht gewinnen kann.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] gingen, sondern nicht weniger als 40 Radikale, zum Theil Männer, deren bloße Namen für eine Kriegserklärung gegen die jm Jahr 1867 begründete Ordnung der Dinge gelten müssen. Kossuth ist in zwei Wahlbezirken gewählt worden und wenn er sich zur Annahme eines Maubads herbeiläßt, so werden sein Sohn und eine nicht ganz unbedeutende Zahl von alten und neuen Freunden dem gefährlichen republikanischen Agitator bei dem Eintritt in das Pester Ständehaus als Escorte dienen. Daß das Ministerium Andrassy selbst die ihm übrig gebliebene Majorität nicht für ausreichend und zuverlässig genug hält, um mit Hilfe derselben die stritte Fortführung des bisherigen Systems zu versuchen, hat es bereits deutlich gesagt. Noch bevor die Wahlresultate der letzten besonders un¬ günstigen Tage vorlagen, war der ungarische Premier mit Herrn v. Ticza und andern Führern der Linken in Beziehungen, getreten, um sein Cabinet im Sinne der veränderten Verhältnisse umzugestalten; daß diese Unterhand¬ lungen bis jetzt keine Früchte getragen haben, soll seinen Hauptgrund darin haben, daß die Partei, welche sie für die Trägerin der Zukunft hält, mit einem Portefeuille nicht zufrieden war und durch ein Hinausschieben des Compromisses mit den Ministern günstigere Bedingungen für sich er¬ reichen zu können glaubte. Die Richtigkeit dieser Rechnung scheint sich schon jetzt bestätigt zu haben, denn der Wahlkampf hat nicht nur die Zahl der vorgeschrittenen Deputirten vermehrt, sondern Muth, Einfluß und Leiden¬ schaft ihrer Wähler gehoben. Eine etwaige Auflösung des neugewählten Hauses würde die Sache der Deakisten auf eine noch schmalere Basis stellen. Vom specifisch preußischen Standpunkte haben wir gegen diesen bedeut¬ samen Umschwung in der öffentlichen Meinung Ungarns kaum etwas ein¬ zuwenden. Der Leiter der diplomatischen Geschicke des, ungarW-östreichi¬ schen Staats hat von der Unversöhnlichkeit seines Hasses gegen Preußen und seiner petulanten Jntriguensucht gerade in der letzten Zeit zu häufige und zu deutliche Beweise geliefert, als daß wir irgend ein Interesse daran haben könnten, ihm das Leben leicht gemacht zu sehen. Wir wissen im Gegentheil, daß der zunehmende Einfluß der linken Seite des ungarischen Ständehauseö auf des Grafen Beust bewegliche und unternehmungslustige Politik bändi¬ gend wirken, ihm die weitere Verfolgung seiner Pläne beträchtlich erschweren wird. Wenn schon Graf Andrassy nicht im Stande war, dem Reichskanzler auf das Feld alt-östreichischer Großmachtspolitik zu folgen, so werden die Anhänger Ticza's, die kein anderes als das specifisch ungarische Interesse kennen, von derselben vollends nichts wissen wollen und sicherere Garantien dafür verlangen, nicht in Conflicte verwickelt zu werden, bei denen Ungarn nur verlieren und nicht gewinnen kann.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/66>, abgerufen am 16.06.2024.