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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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das Bewußtsein von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen in den Völkern zu
befestigen. In den römischen Wirren vom Herbst 1867 und dem daraus
folgenden Schwächezustand hat sein Auftreten der italienischen Regierung
wiederholt kräftigen Rückhalt geboten. Größer ist das allgemeine Resultat,
das diese Politik durch die Gunst der Umstände erreicht hat: in dem Maße,
als seit Mendana die französische Allianz hier das Terrain verloren hat,
haben in der Masse der Nation die Sympathien für Preußen und Deutsch¬
land feste Wurzeln geschlagen. Dies hat sich letzthin wieder bei Gelegenheit
der umschwirrenden Allianzgerüchte fühlbar gemacht.

Das Verdienst Usedom's ist hier, wo die Stellung des Landes zu Frank¬
reich nach wie vor die Tagesfrage bleibt, von Freund und Gegner gewür¬
digt. Um so natürlicher und allgemeiner jetzt die Bestürzung, die sein plötz¬
licher Rücktritt hervorrief. Man sucht nach den tieferen Ursachen dieses
Schrittes, und in den wunderbaren, sich gegenseitig aufhebenden Conjecturen,
die noch immer zu Tage kommen, spiegelt sich die Verwirrung deutlich wie¬
der. In der That haben unsere politischen Zeichendeuter so ziemlich alle
Möglichkeiten erschöpft. Die Einen meinen, Angesichts der drohenden Tripel¬
allianz habe Graf Bismarck eine Concession an Frankreich für an der Zeit
gehalten; nach den Andern hat vielmehr, daß Usedom diese Tripelallianz
nicht gehindert habe, des Ministers Zorn erregt. Dieser behauptet. Preu¬
ßen habe den Verfasser der Note vom 17. Juni 1866 an Oestreich geopfert,
und Jener, es sei nicht die Note, sondern die Veröffentlichung einer an¬
geblichen auf dieselbe bezüglichen Depesche in einem Blatte östreichischer
Farbe, für welche der Gesandte, an den sie gerichtet, büßen müsse. Hier
macht man geltend, die preußische Regierung habe zeitig mit der Eventuali¬
tät eines Zukunftsministeriums La Marmora abrechnen wollen. Dort gar,
Usedom habe sich mit der Opposition in ein Komplott gegen das Ministerium
Menabrea eingelassen und sei auf dessen Wunsch entfernt. Ein schweizer
Blatt läßt sich endlich schreiben, der Gesandte sei in letzter Zeit sichtlich ge¬
altert und der Posten erfordere eine frischere Kraft; im erbaulichen Gegensatz
dazu tadelt eine französische Stimme die fieberhafte Activität des Grafen, die
der Regierung unbequem geworden sei.

Alle diese auf gerngläubige Gemüther berechneten Märchen beweisen nur,
daß man über die wahre Ursache noch im Finstern, tappt. Was zumal die
in der auswärtigen Presse vielfach gehörte Angabe betrifft, als hätte Usedom
"mit Ratazzi und den Radicalen" gegen das Ministerium Menabrea gewühlt
und sich bei "den Gemäßigten" unmöglich gemacht, so hat dieselbe durch das
Ministerium selbst ein energisches Dementi erfahren. Im Gegentheil darf
man sagen, daß Usedom sein günstiges Verhältniß zu alle den successiven
italienischen Cabinetten -- von LaMarmora abgesehen, mit dem einmal kein


das Bewußtsein von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen in den Völkern zu
befestigen. In den römischen Wirren vom Herbst 1867 und dem daraus
folgenden Schwächezustand hat sein Auftreten der italienischen Regierung
wiederholt kräftigen Rückhalt geboten. Größer ist das allgemeine Resultat,
das diese Politik durch die Gunst der Umstände erreicht hat: in dem Maße,
als seit Mendana die französische Allianz hier das Terrain verloren hat,
haben in der Masse der Nation die Sympathien für Preußen und Deutsch¬
land feste Wurzeln geschlagen. Dies hat sich letzthin wieder bei Gelegenheit
der umschwirrenden Allianzgerüchte fühlbar gemacht.

Das Verdienst Usedom's ist hier, wo die Stellung des Landes zu Frank¬
reich nach wie vor die Tagesfrage bleibt, von Freund und Gegner gewür¬
digt. Um so natürlicher und allgemeiner jetzt die Bestürzung, die sein plötz¬
licher Rücktritt hervorrief. Man sucht nach den tieferen Ursachen dieses
Schrittes, und in den wunderbaren, sich gegenseitig aufhebenden Conjecturen,
die noch immer zu Tage kommen, spiegelt sich die Verwirrung deutlich wie¬
der. In der That haben unsere politischen Zeichendeuter so ziemlich alle
Möglichkeiten erschöpft. Die Einen meinen, Angesichts der drohenden Tripel¬
allianz habe Graf Bismarck eine Concession an Frankreich für an der Zeit
gehalten; nach den Andern hat vielmehr, daß Usedom diese Tripelallianz
nicht gehindert habe, des Ministers Zorn erregt. Dieser behauptet. Preu¬
ßen habe den Verfasser der Note vom 17. Juni 1866 an Oestreich geopfert,
und Jener, es sei nicht die Note, sondern die Veröffentlichung einer an¬
geblichen auf dieselbe bezüglichen Depesche in einem Blatte östreichischer
Farbe, für welche der Gesandte, an den sie gerichtet, büßen müsse. Hier
macht man geltend, die preußische Regierung habe zeitig mit der Eventuali¬
tät eines Zukunftsministeriums La Marmora abrechnen wollen. Dort gar,
Usedom habe sich mit der Opposition in ein Komplott gegen das Ministerium
Menabrea eingelassen und sei auf dessen Wunsch entfernt. Ein schweizer
Blatt läßt sich endlich schreiben, der Gesandte sei in letzter Zeit sichtlich ge¬
altert und der Posten erfordere eine frischere Kraft; im erbaulichen Gegensatz
dazu tadelt eine französische Stimme die fieberhafte Activität des Grafen, die
der Regierung unbequem geworden sei.

Alle diese auf gerngläubige Gemüther berechneten Märchen beweisen nur,
daß man über die wahre Ursache noch im Finstern, tappt. Was zumal die
in der auswärtigen Presse vielfach gehörte Angabe betrifft, als hätte Usedom
„mit Ratazzi und den Radicalen" gegen das Ministerium Menabrea gewühlt
und sich bei „den Gemäßigten" unmöglich gemacht, so hat dieselbe durch das
Ministerium selbst ein energisches Dementi erfahren. Im Gegentheil darf
man sagen, daß Usedom sein günstiges Verhältniß zu alle den successiven
italienischen Cabinetten — von LaMarmora abgesehen, mit dem einmal kein


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[0072] das Bewußtsein von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen in den Völkern zu befestigen. In den römischen Wirren vom Herbst 1867 und dem daraus folgenden Schwächezustand hat sein Auftreten der italienischen Regierung wiederholt kräftigen Rückhalt geboten. Größer ist das allgemeine Resultat, das diese Politik durch die Gunst der Umstände erreicht hat: in dem Maße, als seit Mendana die französische Allianz hier das Terrain verloren hat, haben in der Masse der Nation die Sympathien für Preußen und Deutsch¬ land feste Wurzeln geschlagen. Dies hat sich letzthin wieder bei Gelegenheit der umschwirrenden Allianzgerüchte fühlbar gemacht. Das Verdienst Usedom's ist hier, wo die Stellung des Landes zu Frank¬ reich nach wie vor die Tagesfrage bleibt, von Freund und Gegner gewür¬ digt. Um so natürlicher und allgemeiner jetzt die Bestürzung, die sein plötz¬ licher Rücktritt hervorrief. Man sucht nach den tieferen Ursachen dieses Schrittes, und in den wunderbaren, sich gegenseitig aufhebenden Conjecturen, die noch immer zu Tage kommen, spiegelt sich die Verwirrung deutlich wie¬ der. In der That haben unsere politischen Zeichendeuter so ziemlich alle Möglichkeiten erschöpft. Die Einen meinen, Angesichts der drohenden Tripel¬ allianz habe Graf Bismarck eine Concession an Frankreich für an der Zeit gehalten; nach den Andern hat vielmehr, daß Usedom diese Tripelallianz nicht gehindert habe, des Ministers Zorn erregt. Dieser behauptet. Preu¬ ßen habe den Verfasser der Note vom 17. Juni 1866 an Oestreich geopfert, und Jener, es sei nicht die Note, sondern die Veröffentlichung einer an¬ geblichen auf dieselbe bezüglichen Depesche in einem Blatte östreichischer Farbe, für welche der Gesandte, an den sie gerichtet, büßen müsse. Hier macht man geltend, die preußische Regierung habe zeitig mit der Eventuali¬ tät eines Zukunftsministeriums La Marmora abrechnen wollen. Dort gar, Usedom habe sich mit der Opposition in ein Komplott gegen das Ministerium Menabrea eingelassen und sei auf dessen Wunsch entfernt. Ein schweizer Blatt läßt sich endlich schreiben, der Gesandte sei in letzter Zeit sichtlich ge¬ altert und der Posten erfordere eine frischere Kraft; im erbaulichen Gegensatz dazu tadelt eine französische Stimme die fieberhafte Activität des Grafen, die der Regierung unbequem geworden sei. Alle diese auf gerngläubige Gemüther berechneten Märchen beweisen nur, daß man über die wahre Ursache noch im Finstern, tappt. Was zumal die in der auswärtigen Presse vielfach gehörte Angabe betrifft, als hätte Usedom „mit Ratazzi und den Radicalen" gegen das Ministerium Menabrea gewühlt und sich bei „den Gemäßigten" unmöglich gemacht, so hat dieselbe durch das Ministerium selbst ein energisches Dementi erfahren. Im Gegentheil darf man sagen, daß Usedom sein günstiges Verhältniß zu alle den successiven italienischen Cabinetten — von LaMarmora abgesehen, mit dem einmal kein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/72>, abgerufen am 15.06.2024.