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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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ersichtlich, sogar in einem und demselben Worte den deutschen und fremden
Theil durch verschiedenen Druck unterschied. Man findet ebenso ooustituiren,
"Ziviäiren, motiviren u. s. w., ein Unfug, der erst im achtzehnten Jahrhun¬
derte aufhörte, in welchem man aber daneben anfing, deutsche Werke ganz mit
lateinischen Buchstaben zu drucken. Anfänglich war dieser Gebrauch auf ge¬
lehrte Werke beschränkt, bald drang er aber auch in die Werke der schönen
Literatur ein, wozu am meisten die Geistes- und Geschmackslyrannei beitrug,
welche damals Frankreich ausübte.

Es waren eigentlich nicht die lateinischen Buchstaben, welche man in
Werken für das Volk allmälig gebrauchte, als vielmehr die französischen,
also nicht ein verbesserter Kunstgeschmack hat unsere Ahnen zur An¬
nahme der lateinischen Buchstaben bewogen, sondern vielmehr die unglück¬
selige Fremdländerei der damaligen Zeit. Am verbreitetsten war daher auch
dieser Gebrauch in jenen Gegenden Deutschlands, welche vollständig unter
geistige und politische Oberherrlichkeit Frankreichs gekommen waren. Die
lateinische Schrift wurde deshalb in demselben Maße seltener, in dem die
Fremdländerei zurückging und das nationale Bewußtsein erstarkte. In den
Zeiten der Freiheitskriege war der lateinische Druck, den man kaum zwei
Decennien vorher allgemein anzunehmen gerathen hatte, fast ganz außer
Gebrauch gekommen. Seitdem hat er wieder einigen Boden gewonnen,
namentlich in philologischen, medicinischen und naturwissenschaftlichen Werken,
bei denen er nicht zu unterschätzende Vorzüge besitzt. Denn abgesehen davon,
daß in diesen Wissenschaften viele der lateinischen Sprache entnommene Kunst¬
ausdrücke vorkommen, bringen die Citate aus lateinisch geschriebenen Schriften
den deutschen Druck durch Störung seiner Einheit um die Schönheit.

Hier war es Jacob Grimm, der, obwohl er seine ersten Werke selbst mit
Fracturschrift drucken ließ, ja, wenn wir uns recht erinnern, bei Gelegen¬
heit einmal sogar gegen den Gebrauch des fremden lateinischen Druckes eiferte,
den lateinischen Typen Bahn brach, die seitdem auch nicht nur von seinen
unmittelbaren und mittelbaren Schülern, sondern auch von den Bearbeitern
anderer sprachwissenschaftlicher Gebiete ausschließlich angewendet werden. Auch
in verwandten Disciplinen hat sich der durch eine solche Autorität begrün¬
dete Gebrauch rasch eingebürgert.

Es ist bekannt, daß die Schrift bis zum fünfzehnten Jahrhundert große
Anfangsbuchstaben nur zuweilen bei Eigennamen und am Anfange der Ab¬
schnitte ze. kennt. Dasselbe war bei den die Handschriften ersetzenden ersten
Drucken der Fall. Günther Zainer von Augsburg z. B., Johann Zainer
von Ulm, Johann Bämler in Augsburg und Mentelin in Straßburg kennen
nur kleine Buchstaben, was auch noch am Anfange des sechszehnten Jahr¬
hunderts z. B. bei Thomas Murner der Fall ist. Auch in der 1522 er¬
schienenen Uebersetzung des Neuen Testamentes von Luther finden sich keine


ersichtlich, sogar in einem und demselben Worte den deutschen und fremden
Theil durch verschiedenen Druck unterschied. Man findet ebenso ooustituiren,
«Ziviäiren, motiviren u. s. w., ein Unfug, der erst im achtzehnten Jahrhun¬
derte aufhörte, in welchem man aber daneben anfing, deutsche Werke ganz mit
lateinischen Buchstaben zu drucken. Anfänglich war dieser Gebrauch auf ge¬
lehrte Werke beschränkt, bald drang er aber auch in die Werke der schönen
Literatur ein, wozu am meisten die Geistes- und Geschmackslyrannei beitrug,
welche damals Frankreich ausübte.

Es waren eigentlich nicht die lateinischen Buchstaben, welche man in
Werken für das Volk allmälig gebrauchte, als vielmehr die französischen,
also nicht ein verbesserter Kunstgeschmack hat unsere Ahnen zur An¬
nahme der lateinischen Buchstaben bewogen, sondern vielmehr die unglück¬
selige Fremdländerei der damaligen Zeit. Am verbreitetsten war daher auch
dieser Gebrauch in jenen Gegenden Deutschlands, welche vollständig unter
geistige und politische Oberherrlichkeit Frankreichs gekommen waren. Die
lateinische Schrift wurde deshalb in demselben Maße seltener, in dem die
Fremdländerei zurückging und das nationale Bewußtsein erstarkte. In den
Zeiten der Freiheitskriege war der lateinische Druck, den man kaum zwei
Decennien vorher allgemein anzunehmen gerathen hatte, fast ganz außer
Gebrauch gekommen. Seitdem hat er wieder einigen Boden gewonnen,
namentlich in philologischen, medicinischen und naturwissenschaftlichen Werken,
bei denen er nicht zu unterschätzende Vorzüge besitzt. Denn abgesehen davon,
daß in diesen Wissenschaften viele der lateinischen Sprache entnommene Kunst¬
ausdrücke vorkommen, bringen die Citate aus lateinisch geschriebenen Schriften
den deutschen Druck durch Störung seiner Einheit um die Schönheit.

Hier war es Jacob Grimm, der, obwohl er seine ersten Werke selbst mit
Fracturschrift drucken ließ, ja, wenn wir uns recht erinnern, bei Gelegen¬
heit einmal sogar gegen den Gebrauch des fremden lateinischen Druckes eiferte,
den lateinischen Typen Bahn brach, die seitdem auch nicht nur von seinen
unmittelbaren und mittelbaren Schülern, sondern auch von den Bearbeitern
anderer sprachwissenschaftlicher Gebiete ausschließlich angewendet werden. Auch
in verwandten Disciplinen hat sich der durch eine solche Autorität begrün¬
dete Gebrauch rasch eingebürgert.

Es ist bekannt, daß die Schrift bis zum fünfzehnten Jahrhundert große
Anfangsbuchstaben nur zuweilen bei Eigennamen und am Anfange der Ab¬
schnitte ze. kennt. Dasselbe war bei den die Handschriften ersetzenden ersten
Drucken der Fall. Günther Zainer von Augsburg z. B., Johann Zainer
von Ulm, Johann Bämler in Augsburg und Mentelin in Straßburg kennen
nur kleine Buchstaben, was auch noch am Anfange des sechszehnten Jahr¬
hunderts z. B. bei Thomas Murner der Fall ist. Auch in der 1522 er¬
schienenen Uebersetzung des Neuen Testamentes von Luther finden sich keine


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[0104] ersichtlich, sogar in einem und demselben Worte den deutschen und fremden Theil durch verschiedenen Druck unterschied. Man findet ebenso ooustituiren, «Ziviäiren, motiviren u. s. w., ein Unfug, der erst im achtzehnten Jahrhun¬ derte aufhörte, in welchem man aber daneben anfing, deutsche Werke ganz mit lateinischen Buchstaben zu drucken. Anfänglich war dieser Gebrauch auf ge¬ lehrte Werke beschränkt, bald drang er aber auch in die Werke der schönen Literatur ein, wozu am meisten die Geistes- und Geschmackslyrannei beitrug, welche damals Frankreich ausübte. Es waren eigentlich nicht die lateinischen Buchstaben, welche man in Werken für das Volk allmälig gebrauchte, als vielmehr die französischen, also nicht ein verbesserter Kunstgeschmack hat unsere Ahnen zur An¬ nahme der lateinischen Buchstaben bewogen, sondern vielmehr die unglück¬ selige Fremdländerei der damaligen Zeit. Am verbreitetsten war daher auch dieser Gebrauch in jenen Gegenden Deutschlands, welche vollständig unter geistige und politische Oberherrlichkeit Frankreichs gekommen waren. Die lateinische Schrift wurde deshalb in demselben Maße seltener, in dem die Fremdländerei zurückging und das nationale Bewußtsein erstarkte. In den Zeiten der Freiheitskriege war der lateinische Druck, den man kaum zwei Decennien vorher allgemein anzunehmen gerathen hatte, fast ganz außer Gebrauch gekommen. Seitdem hat er wieder einigen Boden gewonnen, namentlich in philologischen, medicinischen und naturwissenschaftlichen Werken, bei denen er nicht zu unterschätzende Vorzüge besitzt. Denn abgesehen davon, daß in diesen Wissenschaften viele der lateinischen Sprache entnommene Kunst¬ ausdrücke vorkommen, bringen die Citate aus lateinisch geschriebenen Schriften den deutschen Druck durch Störung seiner Einheit um die Schönheit. Hier war es Jacob Grimm, der, obwohl er seine ersten Werke selbst mit Fracturschrift drucken ließ, ja, wenn wir uns recht erinnern, bei Gelegen¬ heit einmal sogar gegen den Gebrauch des fremden lateinischen Druckes eiferte, den lateinischen Typen Bahn brach, die seitdem auch nicht nur von seinen unmittelbaren und mittelbaren Schülern, sondern auch von den Bearbeitern anderer sprachwissenschaftlicher Gebiete ausschließlich angewendet werden. Auch in verwandten Disciplinen hat sich der durch eine solche Autorität begrün¬ dete Gebrauch rasch eingebürgert. Es ist bekannt, daß die Schrift bis zum fünfzehnten Jahrhundert große Anfangsbuchstaben nur zuweilen bei Eigennamen und am Anfange der Ab¬ schnitte ze. kennt. Dasselbe war bei den die Handschriften ersetzenden ersten Drucken der Fall. Günther Zainer von Augsburg z. B., Johann Zainer von Ulm, Johann Bämler in Augsburg und Mentelin in Straßburg kennen nur kleine Buchstaben, was auch noch am Anfange des sechszehnten Jahr¬ hunderts z. B. bei Thomas Murner der Fall ist. Auch in der 1522 er¬ schienenen Uebersetzung des Neuen Testamentes von Luther finden sich keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/104>, abgerufen am 23.05.2024.