Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

neue Verbrüderung als ein politisches Ereigniß und dehnte sie zu einer Ueber¬
einstimmung der Interessen beider Ländern in allen wichtigen Fragen aus.

Diese Ueberzeugung muß sich dem Grafen Beust ziemlich Plötzlich
aufgedrängt haben. Das Rothbuch von 1868 erkennt noch in der Er¬
haltung der französischen Besatzung in Rom ein östreichisches In¬
teresse. Das Rothbuch von 1869 fand sich in allen auswärtigen Fragen
mit der italienischen Negierung auf gleichem Boden. Allerdings hatte der
Reichskanzler inzwischen Zeit gehabt, die Unzugänglichkeit des päpstlichen
Stuhls zu erproben; aber in erster Linie waren es doch die Schwingungen
der französischen Politik, welche ihm diese Ueberzeugung erleichterten. Es
ist kaum zweifelhaft, daß Kaiser Napoleon bei dem Freundschaftsbund der
beiden Herrscher Gevatter stand. Gleichzeitig und parallel mit demselben be¬
gannen auch die seit Monaten wiederaufgenommenen und so lang erfolglosen
Versuche zur Herstellung des früheren Einverständnisses zwischen den Höfen
von Paris und Florenz sich lebhafter zu erneuern: bekannte napoleonische
Agenten reisten dem Könige nach Neapel nach und verkehrten mit dem Haus¬
minister Marchese Gualterio, -- das Ministerium der auswärtigen Angelegen¬
heiten ließ man wieder absichtlich bei Seite. Dieser Verkehr, dem die in
Paris bereits beschlossene, jedoch auf Victor Emmanuels Wunsch zurückgenom¬
mene Ernennung des Generals Fleury zum Gesandten in Florenz Farbe
geben sollte, setzte sich bis in den Sommer fort, wo der kaiserliche Cabinets-
secretair Conti sich einige Wochen lang in dem Bad Montecattini bei Florenz
niederließ.

Der Herrscher an der Seine rechnet nicht übel, wenn er, der die Ab¬
neigung des Königs von Italien gegen den Namen einer Allianz mit Frank¬
reich kannte und die Rückwirkung auf die Stimmung des italienischen Volks
fürchtete, das harmlose freisinnige und friedensbedürftige Oestreich ins Vorder¬
treffen führte. Auf diese Weise inscenirt, konnte die neue Combination dem
sanguinischen Naturell des Königs zusagen, der in feinen politischen Nei¬
gungen und Abneigungen ebenso schnell zu wechseln liebt wie in seinen Lieb¬
habereien für Pferde und Weiber, und in seiner Phantasie nur zu häufig
die thatsächlichen Verhältnisse überspringt. Berichtete man doch damals von
ihm die mit der Genesis der Annäherung an Oestreich sonderbar contrastirende
Aeußerung: er hoffe am Nachbar Oestreich ein gutes Gegengewicht und einen
Rückhalt gegen Nachbar Frankreich zu erhalten. Namentlich aber fiel für
die östreichische Freundschaft günstig ins Gewicht, daß dieselbe einen Preis
bieten konnte: das Trentino war die Lockspeise, mit der man den annerions-
lustigen König am ersten beikommen konnte.

Es ist kein Zweifel, daß man damals über Abtrennung von Welschtirol
an Italien verhandelt hat und daß Oestreich sich gar nicht abgeneigt zeigte,


20*

neue Verbrüderung als ein politisches Ereigniß und dehnte sie zu einer Ueber¬
einstimmung der Interessen beider Ländern in allen wichtigen Fragen aus.

Diese Ueberzeugung muß sich dem Grafen Beust ziemlich Plötzlich
aufgedrängt haben. Das Rothbuch von 1868 erkennt noch in der Er¬
haltung der französischen Besatzung in Rom ein östreichisches In¬
teresse. Das Rothbuch von 1869 fand sich in allen auswärtigen Fragen
mit der italienischen Negierung auf gleichem Boden. Allerdings hatte der
Reichskanzler inzwischen Zeit gehabt, die Unzugänglichkeit des päpstlichen
Stuhls zu erproben; aber in erster Linie waren es doch die Schwingungen
der französischen Politik, welche ihm diese Ueberzeugung erleichterten. Es
ist kaum zweifelhaft, daß Kaiser Napoleon bei dem Freundschaftsbund der
beiden Herrscher Gevatter stand. Gleichzeitig und parallel mit demselben be¬
gannen auch die seit Monaten wiederaufgenommenen und so lang erfolglosen
Versuche zur Herstellung des früheren Einverständnisses zwischen den Höfen
von Paris und Florenz sich lebhafter zu erneuern: bekannte napoleonische
Agenten reisten dem Könige nach Neapel nach und verkehrten mit dem Haus¬
minister Marchese Gualterio, — das Ministerium der auswärtigen Angelegen¬
heiten ließ man wieder absichtlich bei Seite. Dieser Verkehr, dem die in
Paris bereits beschlossene, jedoch auf Victor Emmanuels Wunsch zurückgenom¬
mene Ernennung des Generals Fleury zum Gesandten in Florenz Farbe
geben sollte, setzte sich bis in den Sommer fort, wo der kaiserliche Cabinets-
secretair Conti sich einige Wochen lang in dem Bad Montecattini bei Florenz
niederließ.

Der Herrscher an der Seine rechnet nicht übel, wenn er, der die Ab¬
neigung des Königs von Italien gegen den Namen einer Allianz mit Frank¬
reich kannte und die Rückwirkung auf die Stimmung des italienischen Volks
fürchtete, das harmlose freisinnige und friedensbedürftige Oestreich ins Vorder¬
treffen führte. Auf diese Weise inscenirt, konnte die neue Combination dem
sanguinischen Naturell des Königs zusagen, der in feinen politischen Nei¬
gungen und Abneigungen ebenso schnell zu wechseln liebt wie in seinen Lieb¬
habereien für Pferde und Weiber, und in seiner Phantasie nur zu häufig
die thatsächlichen Verhältnisse überspringt. Berichtete man doch damals von
ihm die mit der Genesis der Annäherung an Oestreich sonderbar contrastirende
Aeußerung: er hoffe am Nachbar Oestreich ein gutes Gegengewicht und einen
Rückhalt gegen Nachbar Frankreich zu erhalten. Namentlich aber fiel für
die östreichische Freundschaft günstig ins Gewicht, daß dieselbe einen Preis
bieten konnte: das Trentino war die Lockspeise, mit der man den annerions-
lustigen König am ersten beikommen konnte.

Es ist kein Zweifel, daß man damals über Abtrennung von Welschtirol
an Italien verhandelt hat und daß Oestreich sich gar nicht abgeneigt zeigte,


20*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121918"/>
          <p xml:id="ID_418" prev="#ID_417"> neue Verbrüderung als ein politisches Ereigniß und dehnte sie zu einer Ueber¬<lb/>
einstimmung der Interessen beider Ländern in allen wichtigen Fragen aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_419"> Diese Ueberzeugung muß sich dem Grafen Beust ziemlich Plötzlich<lb/>
aufgedrängt haben. Das Rothbuch von 1868 erkennt noch in der Er¬<lb/>
haltung der französischen Besatzung in Rom ein östreichisches In¬<lb/>
teresse. Das Rothbuch von 1869 fand sich in allen auswärtigen Fragen<lb/>
mit der italienischen Negierung auf gleichem Boden. Allerdings hatte der<lb/>
Reichskanzler inzwischen Zeit gehabt, die Unzugänglichkeit des päpstlichen<lb/>
Stuhls zu erproben; aber in erster Linie waren es doch die Schwingungen<lb/>
der französischen Politik, welche ihm diese Ueberzeugung erleichterten. Es<lb/>
ist kaum zweifelhaft, daß Kaiser Napoleon bei dem Freundschaftsbund der<lb/>
beiden Herrscher Gevatter stand. Gleichzeitig und parallel mit demselben be¬<lb/>
gannen auch die seit Monaten wiederaufgenommenen und so lang erfolglosen<lb/>
Versuche zur Herstellung des früheren Einverständnisses zwischen den Höfen<lb/>
von Paris und Florenz sich lebhafter zu erneuern: bekannte napoleonische<lb/>
Agenten reisten dem Könige nach Neapel nach und verkehrten mit dem Haus¬<lb/>
minister Marchese Gualterio, &#x2014; das Ministerium der auswärtigen Angelegen¬<lb/>
heiten ließ man wieder absichtlich bei Seite. Dieser Verkehr, dem die in<lb/>
Paris bereits beschlossene, jedoch auf Victor Emmanuels Wunsch zurückgenom¬<lb/>
mene Ernennung des Generals Fleury zum Gesandten in Florenz Farbe<lb/>
geben sollte, setzte sich bis in den Sommer fort, wo der kaiserliche Cabinets-<lb/>
secretair Conti sich einige Wochen lang in dem Bad Montecattini bei Florenz<lb/>
niederließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_420"> Der Herrscher an der Seine rechnet nicht übel, wenn er, der die Ab¬<lb/>
neigung des Königs von Italien gegen den Namen einer Allianz mit Frank¬<lb/>
reich kannte und die Rückwirkung auf die Stimmung des italienischen Volks<lb/>
fürchtete, das harmlose freisinnige und friedensbedürftige Oestreich ins Vorder¬<lb/>
treffen führte. Auf diese Weise inscenirt, konnte die neue Combination dem<lb/>
sanguinischen Naturell des Königs zusagen, der in feinen politischen Nei¬<lb/>
gungen und Abneigungen ebenso schnell zu wechseln liebt wie in seinen Lieb¬<lb/>
habereien für Pferde und Weiber, und in seiner Phantasie nur zu häufig<lb/>
die thatsächlichen Verhältnisse überspringt. Berichtete man doch damals von<lb/>
ihm die mit der Genesis der Annäherung an Oestreich sonderbar contrastirende<lb/>
Aeußerung: er hoffe am Nachbar Oestreich ein gutes Gegengewicht und einen<lb/>
Rückhalt gegen Nachbar Frankreich zu erhalten. Namentlich aber fiel für<lb/>
die östreichische Freundschaft günstig ins Gewicht, daß dieselbe einen Preis<lb/>
bieten konnte: das Trentino war die Lockspeise, mit der man den annerions-<lb/>
lustigen König am ersten beikommen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_421" next="#ID_422"> Es ist kein Zweifel, daß man damals über Abtrennung von Welschtirol<lb/>
an Italien verhandelt hat und daß Oestreich sich gar nicht abgeneigt zeigte,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 20*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] neue Verbrüderung als ein politisches Ereigniß und dehnte sie zu einer Ueber¬ einstimmung der Interessen beider Ländern in allen wichtigen Fragen aus. Diese Ueberzeugung muß sich dem Grafen Beust ziemlich Plötzlich aufgedrängt haben. Das Rothbuch von 1868 erkennt noch in der Er¬ haltung der französischen Besatzung in Rom ein östreichisches In¬ teresse. Das Rothbuch von 1869 fand sich in allen auswärtigen Fragen mit der italienischen Negierung auf gleichem Boden. Allerdings hatte der Reichskanzler inzwischen Zeit gehabt, die Unzugänglichkeit des päpstlichen Stuhls zu erproben; aber in erster Linie waren es doch die Schwingungen der französischen Politik, welche ihm diese Ueberzeugung erleichterten. Es ist kaum zweifelhaft, daß Kaiser Napoleon bei dem Freundschaftsbund der beiden Herrscher Gevatter stand. Gleichzeitig und parallel mit demselben be¬ gannen auch die seit Monaten wiederaufgenommenen und so lang erfolglosen Versuche zur Herstellung des früheren Einverständnisses zwischen den Höfen von Paris und Florenz sich lebhafter zu erneuern: bekannte napoleonische Agenten reisten dem Könige nach Neapel nach und verkehrten mit dem Haus¬ minister Marchese Gualterio, — das Ministerium der auswärtigen Angelegen¬ heiten ließ man wieder absichtlich bei Seite. Dieser Verkehr, dem die in Paris bereits beschlossene, jedoch auf Victor Emmanuels Wunsch zurückgenom¬ mene Ernennung des Generals Fleury zum Gesandten in Florenz Farbe geben sollte, setzte sich bis in den Sommer fort, wo der kaiserliche Cabinets- secretair Conti sich einige Wochen lang in dem Bad Montecattini bei Florenz niederließ. Der Herrscher an der Seine rechnet nicht übel, wenn er, der die Ab¬ neigung des Königs von Italien gegen den Namen einer Allianz mit Frank¬ reich kannte und die Rückwirkung auf die Stimmung des italienischen Volks fürchtete, das harmlose freisinnige und friedensbedürftige Oestreich ins Vorder¬ treffen führte. Auf diese Weise inscenirt, konnte die neue Combination dem sanguinischen Naturell des Königs zusagen, der in feinen politischen Nei¬ gungen und Abneigungen ebenso schnell zu wechseln liebt wie in seinen Lieb¬ habereien für Pferde und Weiber, und in seiner Phantasie nur zu häufig die thatsächlichen Verhältnisse überspringt. Berichtete man doch damals von ihm die mit der Genesis der Annäherung an Oestreich sonderbar contrastirende Aeußerung: er hoffe am Nachbar Oestreich ein gutes Gegengewicht und einen Rückhalt gegen Nachbar Frankreich zu erhalten. Namentlich aber fiel für die östreichische Freundschaft günstig ins Gewicht, daß dieselbe einen Preis bieten konnte: das Trentino war die Lockspeise, mit der man den annerions- lustigen König am ersten beikommen konnte. Es ist kein Zweifel, daß man damals über Abtrennung von Welschtirol an Italien verhandelt hat und daß Oestreich sich gar nicht abgeneigt zeigte, 20*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/163>, abgerufen am 17.06.2024.