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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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unter gewissen Voraussetzungen auf diesen kleinen Gebietstheil zu verzichten.
Preußenfeindliche Staatsmänner In Florenz machten es damals wieder
Preußen zum Borwurf, daß dasselbe in Nikolsburg nicht energischer die-
italienischen Wünsche auf Annexion des Trentino unterstützt und damit ein
so bequemes Compensationsobject in den Händen Oestreichs gelassen habe.

Was Oestreich als Gegenleistung für ein solches Opfer in Italien ver¬
langt haben kann, läßt sich allerdings nicht mit gleicher Sicherheit sagen.
Daß die active Theilnahme Italiens bei einer französisch-östreichischen Offenflv-
Allianz gegen Preußen in Aussicht genommen worden wäre, also die alte
Tripelallianzidee in neuer Auflage, ist wohl behauptet worden; doch dürfen
wir es nach allen Versicherungen Unterrichteter bezweifeln. Auch die Auf¬
stellung, welche neuerdings wieder Credit fand, daß für den Fall eines sol¬
chen Kriegs gegen Preußen der König von Italien die Verpflichtung über¬
nommen habe, die französischen Garnisonen in Algier durch italienische
Truppen abzulösen, um jene im Felde verwendbar zu machen, hieße doch,
abgesehen von weiteren UnWahrscheinlichkeiten, der sechsten Großmacht eine
Bedientenrolle zumuthen, vor deren Uebernahme auch die servilste Regierung
zurückschrecken dürfte. Die wahrscheinlichste Version bleibt, daß von Italien
nichts weiter erwartet wurde als eine "wohlwollende Neutralität" und zwar
eine unbedingte auch für den Fall, daß der supponirte Conflict größere
Ausdehnung gewinnen und den Orient mitergreifen würde. Eine uneinge¬
schränkte Zustimmung Italiens zu Oestreichs orientalischen Plänen würde
allerdings ein werthvolles Geschenk sein und unter Umständen das Trentino
aufwiegen.

Im Grunde haben diese Besprechungen -- denn zu mehr scheint
es nicht gekommen zu sein -- freilich nur noch einen retrospectiven Werth,
nachdem namentlich in Frankreich durch die Krisis im Lande 'und auf
dem Thron die Situation sich erheblich geändert hat. Die mehrfach er¬
erwähnte Beust'sche Depesche scheint einstweilen die einzige Frucht der neuen
Entente geblieben zu sein. Sie hat italienischerseits nicht einmal eine Ant¬
wort erfahren: ja der mehr schwunghafte als sachliche Inhalt ließ beinahe
vermuthen, daß auch diese Depesche wie so manche Studie desselben Autors,
der leider seinen wahren Beruf verfehlt hat, eigentlich an eine andere Adresse
gerichtet sei als die sie an der Stirne trug. Die Genugthuung, mit welcher
der Reichskanzler constatirt, daß der Jahrhunderte alte Hohn und Hader
wischen Italien und Oestreich nun definitiv getilgt und vergessen sei. erhielt
noch ehe sie ausgesprochen war, ein schlimmes Dementi durch das Attentat
auf den Grafen Crennville in Livorno. Diese unglückliche Rachethat eines
von dem ehemaligen Statthalter von Livorno schwer Gemißhandelten gab der
öffentlichen Meinung Italiens just im ungeschicktesten Moment eine Erinne-


unter gewissen Voraussetzungen auf diesen kleinen Gebietstheil zu verzichten.
Preußenfeindliche Staatsmänner In Florenz machten es damals wieder
Preußen zum Borwurf, daß dasselbe in Nikolsburg nicht energischer die-
italienischen Wünsche auf Annexion des Trentino unterstützt und damit ein
so bequemes Compensationsobject in den Händen Oestreichs gelassen habe.

Was Oestreich als Gegenleistung für ein solches Opfer in Italien ver¬
langt haben kann, läßt sich allerdings nicht mit gleicher Sicherheit sagen.
Daß die active Theilnahme Italiens bei einer französisch-östreichischen Offenflv-
Allianz gegen Preußen in Aussicht genommen worden wäre, also die alte
Tripelallianzidee in neuer Auflage, ist wohl behauptet worden; doch dürfen
wir es nach allen Versicherungen Unterrichteter bezweifeln. Auch die Auf¬
stellung, welche neuerdings wieder Credit fand, daß für den Fall eines sol¬
chen Kriegs gegen Preußen der König von Italien die Verpflichtung über¬
nommen habe, die französischen Garnisonen in Algier durch italienische
Truppen abzulösen, um jene im Felde verwendbar zu machen, hieße doch,
abgesehen von weiteren UnWahrscheinlichkeiten, der sechsten Großmacht eine
Bedientenrolle zumuthen, vor deren Uebernahme auch die servilste Regierung
zurückschrecken dürfte. Die wahrscheinlichste Version bleibt, daß von Italien
nichts weiter erwartet wurde als eine „wohlwollende Neutralität" und zwar
eine unbedingte auch für den Fall, daß der supponirte Conflict größere
Ausdehnung gewinnen und den Orient mitergreifen würde. Eine uneinge¬
schränkte Zustimmung Italiens zu Oestreichs orientalischen Plänen würde
allerdings ein werthvolles Geschenk sein und unter Umständen das Trentino
aufwiegen.

Im Grunde haben diese Besprechungen — denn zu mehr scheint
es nicht gekommen zu sein — freilich nur noch einen retrospectiven Werth,
nachdem namentlich in Frankreich durch die Krisis im Lande 'und auf
dem Thron die Situation sich erheblich geändert hat. Die mehrfach er¬
erwähnte Beust'sche Depesche scheint einstweilen die einzige Frucht der neuen
Entente geblieben zu sein. Sie hat italienischerseits nicht einmal eine Ant¬
wort erfahren: ja der mehr schwunghafte als sachliche Inhalt ließ beinahe
vermuthen, daß auch diese Depesche wie so manche Studie desselben Autors,
der leider seinen wahren Beruf verfehlt hat, eigentlich an eine andere Adresse
gerichtet sei als die sie an der Stirne trug. Die Genugthuung, mit welcher
der Reichskanzler constatirt, daß der Jahrhunderte alte Hohn und Hader
wischen Italien und Oestreich nun definitiv getilgt und vergessen sei. erhielt
noch ehe sie ausgesprochen war, ein schlimmes Dementi durch das Attentat
auf den Grafen Crennville in Livorno. Diese unglückliche Rachethat eines
von dem ehemaligen Statthalter von Livorno schwer Gemißhandelten gab der
öffentlichen Meinung Italiens just im ungeschicktesten Moment eine Erinne-


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[0164] unter gewissen Voraussetzungen auf diesen kleinen Gebietstheil zu verzichten. Preußenfeindliche Staatsmänner In Florenz machten es damals wieder Preußen zum Borwurf, daß dasselbe in Nikolsburg nicht energischer die- italienischen Wünsche auf Annexion des Trentino unterstützt und damit ein so bequemes Compensationsobject in den Händen Oestreichs gelassen habe. Was Oestreich als Gegenleistung für ein solches Opfer in Italien ver¬ langt haben kann, läßt sich allerdings nicht mit gleicher Sicherheit sagen. Daß die active Theilnahme Italiens bei einer französisch-östreichischen Offenflv- Allianz gegen Preußen in Aussicht genommen worden wäre, also die alte Tripelallianzidee in neuer Auflage, ist wohl behauptet worden; doch dürfen wir es nach allen Versicherungen Unterrichteter bezweifeln. Auch die Auf¬ stellung, welche neuerdings wieder Credit fand, daß für den Fall eines sol¬ chen Kriegs gegen Preußen der König von Italien die Verpflichtung über¬ nommen habe, die französischen Garnisonen in Algier durch italienische Truppen abzulösen, um jene im Felde verwendbar zu machen, hieße doch, abgesehen von weiteren UnWahrscheinlichkeiten, der sechsten Großmacht eine Bedientenrolle zumuthen, vor deren Uebernahme auch die servilste Regierung zurückschrecken dürfte. Die wahrscheinlichste Version bleibt, daß von Italien nichts weiter erwartet wurde als eine „wohlwollende Neutralität" und zwar eine unbedingte auch für den Fall, daß der supponirte Conflict größere Ausdehnung gewinnen und den Orient mitergreifen würde. Eine uneinge¬ schränkte Zustimmung Italiens zu Oestreichs orientalischen Plänen würde allerdings ein werthvolles Geschenk sein und unter Umständen das Trentino aufwiegen. Im Grunde haben diese Besprechungen — denn zu mehr scheint es nicht gekommen zu sein — freilich nur noch einen retrospectiven Werth, nachdem namentlich in Frankreich durch die Krisis im Lande 'und auf dem Thron die Situation sich erheblich geändert hat. Die mehrfach er¬ erwähnte Beust'sche Depesche scheint einstweilen die einzige Frucht der neuen Entente geblieben zu sein. Sie hat italienischerseits nicht einmal eine Ant¬ wort erfahren: ja der mehr schwunghafte als sachliche Inhalt ließ beinahe vermuthen, daß auch diese Depesche wie so manche Studie desselben Autors, der leider seinen wahren Beruf verfehlt hat, eigentlich an eine andere Adresse gerichtet sei als die sie an der Stirne trug. Die Genugthuung, mit welcher der Reichskanzler constatirt, daß der Jahrhunderte alte Hohn und Hader wischen Italien und Oestreich nun definitiv getilgt und vergessen sei. erhielt noch ehe sie ausgesprochen war, ein schlimmes Dementi durch das Attentat auf den Grafen Crennville in Livorno. Diese unglückliche Rachethat eines von dem ehemaligen Statthalter von Livorno schwer Gemißhandelten gab der öffentlichen Meinung Italiens just im ungeschicktesten Moment eine Erinne-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/164>, abgerufen am 26.05.2024.