Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rung an die Zeiten der östreichischen Unterdrückung, die Thaten der Haynau
und Urban. Im Parlament und in der Presse kam das zur Sprache, wie¬
wohl Niemand daran dachte, den Mord, dessen Opfer ein ganz Unschuldiger
geworden war, in Schutz zu nehmen: einige radicale Blätter ausgenommen,
die deswegen mit Preßprocessen verfolgt werden mußten.

Und auch zu der belobten Gemeinsamkeit der Interessen beider Länder
in den auswärtigen Angelegenheiten darf man ein Fragezeichen setzen. Sahen
sich doch gleich nach dem Erscheinen der Depesche im Rothbuch italienische
Regierungsorgane veranlaßt, bei aller Anerkennung der guten Absicht Beust's
hervorzuheben, daß die Ranküne gegen Preußen und die neuen Schöpfungen
in Deutschland, von der er sich noch nicht freigemacht habe, auf italienischer
Seite nicht getheilt werde; auch dem gesunden Verstand des Reichskanzlers
könne man doch kaum den Gedanken einer Restaurationspolitik in Deutsch¬
land zutrauen. Daß ferner in den orientalischen Fragen die italienischen In¬
teressen von den östreichischen wesentlich abweichen, hat sich in den letzten
Jahren schon öfter offenbart. Oestreichs Absichten bei einem künftigen orien¬
talischen Conflict sind besonders auf die Erwerbung von Bosnien und der
Herzegowina gerichtet. Diese Vergrößerung würde dem Kaiserstaat zu dem
schmalen unfruchtbaren Streif von Dalmatien ein stattliches Hinterland ge¬
währen, ihn aber damit zu einem gefährlichen Concurrenten Italiens im adria-
tischen Meere machen, dem einzigen, auf dem das Königreich noch die Herr¬
schaft behaupten kann. Einer solchen Gefahr gegenüber sich durch ein Neu¬
tralitätsversprechen im voraus die Hände binden zu wollen, würde ein un¬
verantwortlicher Schritt sein; und diese Einsicht macht sich bereits in Italien
geltend.

Der neuen östreichischen Verfassung bringt die Meinung in Italien, so
sehr sie den freisinnigen Geist einzelner Gesetze anerkennt, im Allgemeinen
wenig Sympathie entgegen. Es scheint ein Recht des alten Grolles gegen
die Präpotenz der Tedeschi, wenn selbst die Gemäßigten unter den Liberalen
für die unterdrückten Nationalitäten des Kaiserstaats, die Polen, Czechen,
Croaten, gegen den Dualismus Partei nehmen. Aber es handelt sich dabei
auch um ein italienisches Interesse: das Nationalitätsrecht auf Welschtirol.
Ein Blatt von so hochconservativer Haltung wie die Opinione nahm vor
nicht langer Zeit keinen Anstand, in einem Leitartikel die Trentiner in ihrem
Passiver Widerstande gegen die neue Verfassung zu ermuntern. Ein unbe¬
deutender Vorfall, wie kürzlich die Schlägerei zwischen italienischen Matrosen
und dem Pöbel von Sebenico, reicht hin, die ganze italienische Presse in
Allarm zu setzen, als suche Oestreich den Racenhaß der slavischen Bevölkerung
gegen die italienische Nationalität zu Hetzen, deren Fortschreiten an seinen
Grenzen es fürchte.


rung an die Zeiten der östreichischen Unterdrückung, die Thaten der Haynau
und Urban. Im Parlament und in der Presse kam das zur Sprache, wie¬
wohl Niemand daran dachte, den Mord, dessen Opfer ein ganz Unschuldiger
geworden war, in Schutz zu nehmen: einige radicale Blätter ausgenommen,
die deswegen mit Preßprocessen verfolgt werden mußten.

Und auch zu der belobten Gemeinsamkeit der Interessen beider Länder
in den auswärtigen Angelegenheiten darf man ein Fragezeichen setzen. Sahen
sich doch gleich nach dem Erscheinen der Depesche im Rothbuch italienische
Regierungsorgane veranlaßt, bei aller Anerkennung der guten Absicht Beust's
hervorzuheben, daß die Ranküne gegen Preußen und die neuen Schöpfungen
in Deutschland, von der er sich noch nicht freigemacht habe, auf italienischer
Seite nicht getheilt werde; auch dem gesunden Verstand des Reichskanzlers
könne man doch kaum den Gedanken einer Restaurationspolitik in Deutsch¬
land zutrauen. Daß ferner in den orientalischen Fragen die italienischen In¬
teressen von den östreichischen wesentlich abweichen, hat sich in den letzten
Jahren schon öfter offenbart. Oestreichs Absichten bei einem künftigen orien¬
talischen Conflict sind besonders auf die Erwerbung von Bosnien und der
Herzegowina gerichtet. Diese Vergrößerung würde dem Kaiserstaat zu dem
schmalen unfruchtbaren Streif von Dalmatien ein stattliches Hinterland ge¬
währen, ihn aber damit zu einem gefährlichen Concurrenten Italiens im adria-
tischen Meere machen, dem einzigen, auf dem das Königreich noch die Herr¬
schaft behaupten kann. Einer solchen Gefahr gegenüber sich durch ein Neu¬
tralitätsversprechen im voraus die Hände binden zu wollen, würde ein un¬
verantwortlicher Schritt sein; und diese Einsicht macht sich bereits in Italien
geltend.

Der neuen östreichischen Verfassung bringt die Meinung in Italien, so
sehr sie den freisinnigen Geist einzelner Gesetze anerkennt, im Allgemeinen
wenig Sympathie entgegen. Es scheint ein Recht des alten Grolles gegen
die Präpotenz der Tedeschi, wenn selbst die Gemäßigten unter den Liberalen
für die unterdrückten Nationalitäten des Kaiserstaats, die Polen, Czechen,
Croaten, gegen den Dualismus Partei nehmen. Aber es handelt sich dabei
auch um ein italienisches Interesse: das Nationalitätsrecht auf Welschtirol.
Ein Blatt von so hochconservativer Haltung wie die Opinione nahm vor
nicht langer Zeit keinen Anstand, in einem Leitartikel die Trentiner in ihrem
Passiver Widerstande gegen die neue Verfassung zu ermuntern. Ein unbe¬
deutender Vorfall, wie kürzlich die Schlägerei zwischen italienischen Matrosen
und dem Pöbel von Sebenico, reicht hin, die ganze italienische Presse in
Allarm zu setzen, als suche Oestreich den Racenhaß der slavischen Bevölkerung
gegen die italienische Nationalität zu Hetzen, deren Fortschreiten an seinen
Grenzen es fürchte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121920"/>
          <p xml:id="ID_425" prev="#ID_424"> rung an die Zeiten der östreichischen Unterdrückung, die Thaten der Haynau<lb/>
und Urban. Im Parlament und in der Presse kam das zur Sprache, wie¬<lb/>
wohl Niemand daran dachte, den Mord, dessen Opfer ein ganz Unschuldiger<lb/>
geworden war, in Schutz zu nehmen: einige radicale Blätter ausgenommen,<lb/>
die deswegen mit Preßprocessen verfolgt werden mußten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_426"> Und auch zu der belobten Gemeinsamkeit der Interessen beider Länder<lb/>
in den auswärtigen Angelegenheiten darf man ein Fragezeichen setzen. Sahen<lb/>
sich doch gleich nach dem Erscheinen der Depesche im Rothbuch italienische<lb/>
Regierungsorgane veranlaßt, bei aller Anerkennung der guten Absicht Beust's<lb/>
hervorzuheben, daß die Ranküne gegen Preußen und die neuen Schöpfungen<lb/>
in Deutschland, von der er sich noch nicht freigemacht habe, auf italienischer<lb/>
Seite nicht getheilt werde; auch dem gesunden Verstand des Reichskanzlers<lb/>
könne man doch kaum den Gedanken einer Restaurationspolitik in Deutsch¬<lb/>
land zutrauen. Daß ferner in den orientalischen Fragen die italienischen In¬<lb/>
teressen von den östreichischen wesentlich abweichen, hat sich in den letzten<lb/>
Jahren schon öfter offenbart. Oestreichs Absichten bei einem künftigen orien¬<lb/>
talischen Conflict sind besonders auf die Erwerbung von Bosnien und der<lb/>
Herzegowina gerichtet. Diese Vergrößerung würde dem Kaiserstaat zu dem<lb/>
schmalen unfruchtbaren Streif von Dalmatien ein stattliches Hinterland ge¬<lb/>
währen, ihn aber damit zu einem gefährlichen Concurrenten Italiens im adria-<lb/>
tischen Meere machen, dem einzigen, auf dem das Königreich noch die Herr¬<lb/>
schaft behaupten kann. Einer solchen Gefahr gegenüber sich durch ein Neu¬<lb/>
tralitätsversprechen im voraus die Hände binden zu wollen, würde ein un¬<lb/>
verantwortlicher Schritt sein; und diese Einsicht macht sich bereits in Italien<lb/>
geltend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_427"> Der neuen östreichischen Verfassung bringt die Meinung in Italien, so<lb/>
sehr sie den freisinnigen Geist einzelner Gesetze anerkennt, im Allgemeinen<lb/>
wenig Sympathie entgegen. Es scheint ein Recht des alten Grolles gegen<lb/>
die Präpotenz der Tedeschi, wenn selbst die Gemäßigten unter den Liberalen<lb/>
für die unterdrückten Nationalitäten des Kaiserstaats, die Polen, Czechen,<lb/>
Croaten, gegen den Dualismus Partei nehmen. Aber es handelt sich dabei<lb/>
auch um ein italienisches Interesse: das Nationalitätsrecht auf Welschtirol.<lb/>
Ein Blatt von so hochconservativer Haltung wie die Opinione nahm vor<lb/>
nicht langer Zeit keinen Anstand, in einem Leitartikel die Trentiner in ihrem<lb/>
Passiver Widerstande gegen die neue Verfassung zu ermuntern. Ein unbe¬<lb/>
deutender Vorfall, wie kürzlich die Schlägerei zwischen italienischen Matrosen<lb/>
und dem Pöbel von Sebenico, reicht hin, die ganze italienische Presse in<lb/>
Allarm zu setzen, als suche Oestreich den Racenhaß der slavischen Bevölkerung<lb/>
gegen die italienische Nationalität zu Hetzen, deren Fortschreiten an seinen<lb/>
Grenzen es fürchte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] rung an die Zeiten der östreichischen Unterdrückung, die Thaten der Haynau und Urban. Im Parlament und in der Presse kam das zur Sprache, wie¬ wohl Niemand daran dachte, den Mord, dessen Opfer ein ganz Unschuldiger geworden war, in Schutz zu nehmen: einige radicale Blätter ausgenommen, die deswegen mit Preßprocessen verfolgt werden mußten. Und auch zu der belobten Gemeinsamkeit der Interessen beider Länder in den auswärtigen Angelegenheiten darf man ein Fragezeichen setzen. Sahen sich doch gleich nach dem Erscheinen der Depesche im Rothbuch italienische Regierungsorgane veranlaßt, bei aller Anerkennung der guten Absicht Beust's hervorzuheben, daß die Ranküne gegen Preußen und die neuen Schöpfungen in Deutschland, von der er sich noch nicht freigemacht habe, auf italienischer Seite nicht getheilt werde; auch dem gesunden Verstand des Reichskanzlers könne man doch kaum den Gedanken einer Restaurationspolitik in Deutsch¬ land zutrauen. Daß ferner in den orientalischen Fragen die italienischen In¬ teressen von den östreichischen wesentlich abweichen, hat sich in den letzten Jahren schon öfter offenbart. Oestreichs Absichten bei einem künftigen orien¬ talischen Conflict sind besonders auf die Erwerbung von Bosnien und der Herzegowina gerichtet. Diese Vergrößerung würde dem Kaiserstaat zu dem schmalen unfruchtbaren Streif von Dalmatien ein stattliches Hinterland ge¬ währen, ihn aber damit zu einem gefährlichen Concurrenten Italiens im adria- tischen Meere machen, dem einzigen, auf dem das Königreich noch die Herr¬ schaft behaupten kann. Einer solchen Gefahr gegenüber sich durch ein Neu¬ tralitätsversprechen im voraus die Hände binden zu wollen, würde ein un¬ verantwortlicher Schritt sein; und diese Einsicht macht sich bereits in Italien geltend. Der neuen östreichischen Verfassung bringt die Meinung in Italien, so sehr sie den freisinnigen Geist einzelner Gesetze anerkennt, im Allgemeinen wenig Sympathie entgegen. Es scheint ein Recht des alten Grolles gegen die Präpotenz der Tedeschi, wenn selbst die Gemäßigten unter den Liberalen für die unterdrückten Nationalitäten des Kaiserstaats, die Polen, Czechen, Croaten, gegen den Dualismus Partei nehmen. Aber es handelt sich dabei auch um ein italienisches Interesse: das Nationalitätsrecht auf Welschtirol. Ein Blatt von so hochconservativer Haltung wie die Opinione nahm vor nicht langer Zeit keinen Anstand, in einem Leitartikel die Trentiner in ihrem Passiver Widerstande gegen die neue Verfassung zu ermuntern. Ein unbe¬ deutender Vorfall, wie kürzlich die Schlägerei zwischen italienischen Matrosen und dem Pöbel von Sebenico, reicht hin, die ganze italienische Presse in Allarm zu setzen, als suche Oestreich den Racenhaß der slavischen Bevölkerung gegen die italienische Nationalität zu Hetzen, deren Fortschreiten an seinen Grenzen es fürchte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/165>, abgerufen am 12.05.2024.