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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zu erinnern, die er nicht überschreiten dürfe, unternimmt in Berlin Herr Graf
zur Lippe ihn vor das Forum des preußischen Herrenhauses zu citiren um
ihm zu beweisen, daß er seine Grenzen bereits rechtswidrig überschritten
habe. Die Bundesgewalt und der Reichstag werden sich schwerlich durch die
Aussicht auf einen möglichen Conflict mit dem preußischen Herrenhause oder
der sächsischen ersten Kammer davon abhalten lassen, auf dem betretenen Wege
rüstig vorwärts zu gehen, und dazu ist alle Aussicht vorhanden, denn an
demselben Tage, an welchem das in der letzten Session des Reichstages zum
Abschlüsse gebrachte wichtige Gesetzeswerk, die Gewerbeordnung, ins Leben
trat, versammelten sich in Berlin die Mitglieder der Commission, welche vom
Bundesrate berufen ist, für die nächste Neichstagssession ein Gesetzbuch von
hervorragendster Bedeutung, ein norddeutsches Strafgesetzbuch, vorzubereiten.
So steht es also in naher Aussicht, sich erfüllen zu sehen, was die Wissen¬
schaft von jeher gewünscht und gehofft, was sich mehr und mehr als prak¬
tisches Bedürfniß erwiesen hat und was eine nothwendige Consequenz der
nationalen Einheit ist. Davon kann gewiß nicht mehr die Rede sein, die
Frage noch einmal ernstlich erörtern zu wollen, ob es überhaupt an der
Zeit sei, auf dem Gebiete des Strafrechtes die particularistische Zersplitterung
auszurotten, denn diejenigen, welche diese Frage verneinen möchten, sind die
Gegner der deutschen Einheit überhaupt, und sie werden nur durch die That¬
sache der bestehenden Einheit allmälig bekehrt werden können. Nur um die
Erwägung kann es sich jetzt noch handeln, welche Wege einzuschlagen sind,
damit dem Bedürfnisse der Rechtseinheit nicht blos in formaler Weise ge¬
nügt, sondern zugleich ein Werk geschaffen werde, das auch seinem Inhalte
nach dem Bildungsstande, dem rechtlichen und sittlichen Bewußtsein des deut¬
schen Volkes, der Würde der deutschen Rechtswissenschaft, und der hervor¬
ragenden politischen Stellung Deutschlands entspricht.

Es ist schon früher von, einem hervorragenden Criminalisten mit Recht
ausgesprochen worden, daß für ein solches Werk ein nur im Sinne des alt¬
preußischen Beamtenthums gearbeiteter Entwurf nicht die richtige Basis sein
würde. Andrerseits konnte aber auch darüber nicht füglich ein Zweifel sein,
daß der Entwurf sich an den gegebenen Text eines deutschen Strafgesetzbuches
anzulehnen habe, und daß kein anderer, als der des preußischen Strafgesetz¬
buches von 1851 zu wählen sei. Dafür sprach der Umstand, daß in Deutsch¬
land das Herrschaftsgebiet des preußischen Strafgesetzbuches das bei weitem
größte ist. es sprach dasür der, trotz aller zu verbessernden Mängel, nicht zu
verkennende innere Werth desselben, der sich auch in dem weitreichenden Ein¬
flüsse kundgibt, den es seit 1851 selbst über die Grenzen Deutschlands hin¬
aus auf die Strafgesetzgebung ausgeübt hat, sowie endlich das einer neuen
Redaction sich darbietende, in der Praxis und in wissenschaftlichen Arbeiten


Grenzboten IV. 186V. 23

zu erinnern, die er nicht überschreiten dürfe, unternimmt in Berlin Herr Graf
zur Lippe ihn vor das Forum des preußischen Herrenhauses zu citiren um
ihm zu beweisen, daß er seine Grenzen bereits rechtswidrig überschritten
habe. Die Bundesgewalt und der Reichstag werden sich schwerlich durch die
Aussicht auf einen möglichen Conflict mit dem preußischen Herrenhause oder
der sächsischen ersten Kammer davon abhalten lassen, auf dem betretenen Wege
rüstig vorwärts zu gehen, und dazu ist alle Aussicht vorhanden, denn an
demselben Tage, an welchem das in der letzten Session des Reichstages zum
Abschlüsse gebrachte wichtige Gesetzeswerk, die Gewerbeordnung, ins Leben
trat, versammelten sich in Berlin die Mitglieder der Commission, welche vom
Bundesrate berufen ist, für die nächste Neichstagssession ein Gesetzbuch von
hervorragendster Bedeutung, ein norddeutsches Strafgesetzbuch, vorzubereiten.
So steht es also in naher Aussicht, sich erfüllen zu sehen, was die Wissen¬
schaft von jeher gewünscht und gehofft, was sich mehr und mehr als prak¬
tisches Bedürfniß erwiesen hat und was eine nothwendige Consequenz der
nationalen Einheit ist. Davon kann gewiß nicht mehr die Rede sein, die
Frage noch einmal ernstlich erörtern zu wollen, ob es überhaupt an der
Zeit sei, auf dem Gebiete des Strafrechtes die particularistische Zersplitterung
auszurotten, denn diejenigen, welche diese Frage verneinen möchten, sind die
Gegner der deutschen Einheit überhaupt, und sie werden nur durch die That¬
sache der bestehenden Einheit allmälig bekehrt werden können. Nur um die
Erwägung kann es sich jetzt noch handeln, welche Wege einzuschlagen sind,
damit dem Bedürfnisse der Rechtseinheit nicht blos in formaler Weise ge¬
nügt, sondern zugleich ein Werk geschaffen werde, das auch seinem Inhalte
nach dem Bildungsstande, dem rechtlichen und sittlichen Bewußtsein des deut¬
schen Volkes, der Würde der deutschen Rechtswissenschaft, und der hervor¬
ragenden politischen Stellung Deutschlands entspricht.

Es ist schon früher von, einem hervorragenden Criminalisten mit Recht
ausgesprochen worden, daß für ein solches Werk ein nur im Sinne des alt¬
preußischen Beamtenthums gearbeiteter Entwurf nicht die richtige Basis sein
würde. Andrerseits konnte aber auch darüber nicht füglich ein Zweifel sein,
daß der Entwurf sich an den gegebenen Text eines deutschen Strafgesetzbuches
anzulehnen habe, und daß kein anderer, als der des preußischen Strafgesetz¬
buches von 1851 zu wählen sei. Dafür sprach der Umstand, daß in Deutsch¬
land das Herrschaftsgebiet des preußischen Strafgesetzbuches das bei weitem
größte ist. es sprach dasür der, trotz aller zu verbessernden Mängel, nicht zu
verkennende innere Werth desselben, der sich auch in dem weitreichenden Ein¬
flüsse kundgibt, den es seit 1851 selbst über die Grenzen Deutschlands hin¬
aus auf die Strafgesetzgebung ausgeübt hat, sowie endlich das einer neuen
Redaction sich darbietende, in der Praxis und in wissenschaftlichen Arbeiten


Grenzboten IV. 186V. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/185>, abgerufen am 11.05.2024.