Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von den Regierungen ausgehende Vorlage uns unzulänglich erscheint? Wir
dürfen uns in dieser Beziehung auf die Behandlung berufen, welche früher-
hin alle umfangreicheren Gesetzentwürfe, in denen das juristisch-technische
Element eine gleich hervorragende Rolle spielte wie in dem Entwürfe eines
Strafgesetzbuches, ganz naturgemäß erfahren haben. Man hat es bei der¬
gleichen Gesetzen stets für nothwendig erachtet, die ersten Entwürfe der ein¬
gehenden Kritik sachkundiger Theoretiker und Practiker anheim zu geben, um
erst nach Sichtung, Prüfung und Verwerthung des so gewonnenen Materials
die Entwürfe den parlamentarischen Versammlungen zur entscheidenden Be¬
schlußfassung vorzulegen. Die parlamentarischen Versammlungen selbst werden
sich zwar stets die endgiltige Entscheidung über die Fragen von fundamen¬
taler den ganzen Charakter des Gesetzbuches bestimmender Bedeutung vor¬
behalten müssen, aber sie werden, wenn nicht statt eines wohl geordneten
Ganzen ein aus disparaten Elementen zusammengeflicktes Stückwerk heraus¬
kommen soll, auch nicht früher an die Kritik des Einzelnen gehen dürfen, als
bis jene Fragen zu klarer, fester Entscheidung gelangt sind, und werden sich
bei dieser Kritik selbst, wie es immer geschehen ist, bescheiden müssen, der
Autorität der Sachverständigen gegenüber mit großer Vorsicht und Enthalt¬
samkeit zu verfahren. Ist doch, wie bekannt, der Entwurf des preußischen
Strafgesetzbuchs von den Kammern in der von den Commissionen vorge¬
schlagenen Fassung nach kurzer Debatte <zu dive angenommen worden. Wenn
aber die Volksvertretung, wie es bei solchen Gesetzvorlagen unvermeidlich ist,
in vielen Beziehungen sich damit beruhigen soll, dem Urtheile der Sachver¬
ständigen gefolgt zu sein, so wird auch der Entwurf in vollem Maße als ein
von der Autorität der Wissenschaft und reifer, practischer Erfahrung getragener
erscheinen müssen. Das preußische Strafgesetzbuch hat eine fast unabsehbare
Reihe von Stadien der Berathung im Schooße des Ministeriums, des Staats¬
rathes, ständischer Versammlungen und in der öffentlichen Discussion durch¬
laufen, um nach 2Sjähriger Vorarbeit endlich durch die Beschlüsse des Land¬
tages festgestellt zu werden. Wir sind weit entfernt, ein solches Beispiel sorg¬
samer Vorbereitung zur Nachahmung zu empfehlen. Aber zwischen solcher
Langsamkeit und der Eile, mit welcher man die Feststellung eines norddeutschen
Strafgesetzbuches betreibt, möchte doch leicht ein Mittelweg zu finden sein.

Der im Justiz-Ministerium angefertigte Entwurf ist allerdings im Laufe
des August veröffentlicht worden. Damit war der Tagespresse Gelegenheit
gegeben, ihren Lesern einige Mittheilungen über den Entwurf zu machen, um
einige da und dort tadelnde, vielfach aber anerkennende .Bemerkungen beizu¬
fügen. Daß die zum 1. Oetober nach Berlin berufene Commission schon
irgend eine ernste kritische Erörterung des Entwurfes vorfinden würde, konnte
man unmöglich erwarten- Sollte aber auch die Zeit bis zum Beginn der


23*

von den Regierungen ausgehende Vorlage uns unzulänglich erscheint? Wir
dürfen uns in dieser Beziehung auf die Behandlung berufen, welche früher-
hin alle umfangreicheren Gesetzentwürfe, in denen das juristisch-technische
Element eine gleich hervorragende Rolle spielte wie in dem Entwürfe eines
Strafgesetzbuches, ganz naturgemäß erfahren haben. Man hat es bei der¬
gleichen Gesetzen stets für nothwendig erachtet, die ersten Entwürfe der ein¬
gehenden Kritik sachkundiger Theoretiker und Practiker anheim zu geben, um
erst nach Sichtung, Prüfung und Verwerthung des so gewonnenen Materials
die Entwürfe den parlamentarischen Versammlungen zur entscheidenden Be¬
schlußfassung vorzulegen. Die parlamentarischen Versammlungen selbst werden
sich zwar stets die endgiltige Entscheidung über die Fragen von fundamen¬
taler den ganzen Charakter des Gesetzbuches bestimmender Bedeutung vor¬
behalten müssen, aber sie werden, wenn nicht statt eines wohl geordneten
Ganzen ein aus disparaten Elementen zusammengeflicktes Stückwerk heraus¬
kommen soll, auch nicht früher an die Kritik des Einzelnen gehen dürfen, als
bis jene Fragen zu klarer, fester Entscheidung gelangt sind, und werden sich
bei dieser Kritik selbst, wie es immer geschehen ist, bescheiden müssen, der
Autorität der Sachverständigen gegenüber mit großer Vorsicht und Enthalt¬
samkeit zu verfahren. Ist doch, wie bekannt, der Entwurf des preußischen
Strafgesetzbuchs von den Kammern in der von den Commissionen vorge¬
schlagenen Fassung nach kurzer Debatte <zu dive angenommen worden. Wenn
aber die Volksvertretung, wie es bei solchen Gesetzvorlagen unvermeidlich ist,
in vielen Beziehungen sich damit beruhigen soll, dem Urtheile der Sachver¬
ständigen gefolgt zu sein, so wird auch der Entwurf in vollem Maße als ein
von der Autorität der Wissenschaft und reifer, practischer Erfahrung getragener
erscheinen müssen. Das preußische Strafgesetzbuch hat eine fast unabsehbare
Reihe von Stadien der Berathung im Schooße des Ministeriums, des Staats¬
rathes, ständischer Versammlungen und in der öffentlichen Discussion durch¬
laufen, um nach 2Sjähriger Vorarbeit endlich durch die Beschlüsse des Land¬
tages festgestellt zu werden. Wir sind weit entfernt, ein solches Beispiel sorg¬
samer Vorbereitung zur Nachahmung zu empfehlen. Aber zwischen solcher
Langsamkeit und der Eile, mit welcher man die Feststellung eines norddeutschen
Strafgesetzbuches betreibt, möchte doch leicht ein Mittelweg zu finden sein.

Der im Justiz-Ministerium angefertigte Entwurf ist allerdings im Laufe
des August veröffentlicht worden. Damit war der Tagespresse Gelegenheit
gegeben, ihren Lesern einige Mittheilungen über den Entwurf zu machen, um
einige da und dort tadelnde, vielfach aber anerkennende .Bemerkungen beizu¬
fügen. Daß die zum 1. Oetober nach Berlin berufene Commission schon
irgend eine ernste kritische Erörterung des Entwurfes vorfinden würde, konnte
man unmöglich erwarten- Sollte aber auch die Zeit bis zum Beginn der


23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121942"/>
          <p xml:id="ID_484" prev="#ID_483"> von den Regierungen ausgehende Vorlage uns unzulänglich erscheint? Wir<lb/>
dürfen uns in dieser Beziehung auf die Behandlung berufen, welche früher-<lb/>
hin alle umfangreicheren Gesetzentwürfe, in denen das juristisch-technische<lb/>
Element eine gleich hervorragende Rolle spielte wie in dem Entwürfe eines<lb/>
Strafgesetzbuches, ganz naturgemäß erfahren haben. Man hat es bei der¬<lb/>
gleichen Gesetzen stets für nothwendig erachtet, die ersten Entwürfe der ein¬<lb/>
gehenden Kritik sachkundiger Theoretiker und Practiker anheim zu geben, um<lb/>
erst nach Sichtung, Prüfung und Verwerthung des so gewonnenen Materials<lb/>
die Entwürfe den parlamentarischen Versammlungen zur entscheidenden Be¬<lb/>
schlußfassung vorzulegen. Die parlamentarischen Versammlungen selbst werden<lb/>
sich zwar stets die endgiltige Entscheidung über die Fragen von fundamen¬<lb/>
taler den ganzen Charakter des Gesetzbuches bestimmender Bedeutung vor¬<lb/>
behalten müssen, aber sie werden, wenn nicht statt eines wohl geordneten<lb/>
Ganzen ein aus disparaten Elementen zusammengeflicktes Stückwerk heraus¬<lb/>
kommen soll, auch nicht früher an die Kritik des Einzelnen gehen dürfen, als<lb/>
bis jene Fragen zu klarer, fester Entscheidung gelangt sind, und werden sich<lb/>
bei dieser Kritik selbst, wie es immer geschehen ist, bescheiden müssen, der<lb/>
Autorität der Sachverständigen gegenüber mit großer Vorsicht und Enthalt¬<lb/>
samkeit zu verfahren. Ist doch, wie bekannt, der Entwurf des preußischen<lb/>
Strafgesetzbuchs von den Kammern in der von den Commissionen vorge¬<lb/>
schlagenen Fassung nach kurzer Debatte &lt;zu dive angenommen worden. Wenn<lb/>
aber die Volksvertretung, wie es bei solchen Gesetzvorlagen unvermeidlich ist,<lb/>
in vielen Beziehungen sich damit beruhigen soll, dem Urtheile der Sachver¬<lb/>
ständigen gefolgt zu sein, so wird auch der Entwurf in vollem Maße als ein<lb/>
von der Autorität der Wissenschaft und reifer, practischer Erfahrung getragener<lb/>
erscheinen müssen. Das preußische Strafgesetzbuch hat eine fast unabsehbare<lb/>
Reihe von Stadien der Berathung im Schooße des Ministeriums, des Staats¬<lb/>
rathes, ständischer Versammlungen und in der öffentlichen Discussion durch¬<lb/>
laufen, um nach 2Sjähriger Vorarbeit endlich durch die Beschlüsse des Land¬<lb/>
tages festgestellt zu werden. Wir sind weit entfernt, ein solches Beispiel sorg¬<lb/>
samer Vorbereitung zur Nachahmung zu empfehlen. Aber zwischen solcher<lb/>
Langsamkeit und der Eile, mit welcher man die Feststellung eines norddeutschen<lb/>
Strafgesetzbuches betreibt, möchte doch leicht ein Mittelweg zu finden sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485" next="#ID_486"> Der im Justiz-Ministerium angefertigte Entwurf ist allerdings im Laufe<lb/>
des August veröffentlicht worden. Damit war der Tagespresse Gelegenheit<lb/>
gegeben, ihren Lesern einige Mittheilungen über den Entwurf zu machen, um<lb/>
einige da und dort tadelnde, vielfach aber anerkennende .Bemerkungen beizu¬<lb/>
fügen. Daß die zum 1. Oetober nach Berlin berufene Commission schon<lb/>
irgend eine ernste kritische Erörterung des Entwurfes vorfinden würde, konnte<lb/>
man unmöglich erwarten- Sollte aber auch die Zeit bis zum Beginn der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] von den Regierungen ausgehende Vorlage uns unzulänglich erscheint? Wir dürfen uns in dieser Beziehung auf die Behandlung berufen, welche früher- hin alle umfangreicheren Gesetzentwürfe, in denen das juristisch-technische Element eine gleich hervorragende Rolle spielte wie in dem Entwürfe eines Strafgesetzbuches, ganz naturgemäß erfahren haben. Man hat es bei der¬ gleichen Gesetzen stets für nothwendig erachtet, die ersten Entwürfe der ein¬ gehenden Kritik sachkundiger Theoretiker und Practiker anheim zu geben, um erst nach Sichtung, Prüfung und Verwerthung des so gewonnenen Materials die Entwürfe den parlamentarischen Versammlungen zur entscheidenden Be¬ schlußfassung vorzulegen. Die parlamentarischen Versammlungen selbst werden sich zwar stets die endgiltige Entscheidung über die Fragen von fundamen¬ taler den ganzen Charakter des Gesetzbuches bestimmender Bedeutung vor¬ behalten müssen, aber sie werden, wenn nicht statt eines wohl geordneten Ganzen ein aus disparaten Elementen zusammengeflicktes Stückwerk heraus¬ kommen soll, auch nicht früher an die Kritik des Einzelnen gehen dürfen, als bis jene Fragen zu klarer, fester Entscheidung gelangt sind, und werden sich bei dieser Kritik selbst, wie es immer geschehen ist, bescheiden müssen, der Autorität der Sachverständigen gegenüber mit großer Vorsicht und Enthalt¬ samkeit zu verfahren. Ist doch, wie bekannt, der Entwurf des preußischen Strafgesetzbuchs von den Kammern in der von den Commissionen vorge¬ schlagenen Fassung nach kurzer Debatte <zu dive angenommen worden. Wenn aber die Volksvertretung, wie es bei solchen Gesetzvorlagen unvermeidlich ist, in vielen Beziehungen sich damit beruhigen soll, dem Urtheile der Sachver¬ ständigen gefolgt zu sein, so wird auch der Entwurf in vollem Maße als ein von der Autorität der Wissenschaft und reifer, practischer Erfahrung getragener erscheinen müssen. Das preußische Strafgesetzbuch hat eine fast unabsehbare Reihe von Stadien der Berathung im Schooße des Ministeriums, des Staats¬ rathes, ständischer Versammlungen und in der öffentlichen Discussion durch¬ laufen, um nach 2Sjähriger Vorarbeit endlich durch die Beschlüsse des Land¬ tages festgestellt zu werden. Wir sind weit entfernt, ein solches Beispiel sorg¬ samer Vorbereitung zur Nachahmung zu empfehlen. Aber zwischen solcher Langsamkeit und der Eile, mit welcher man die Feststellung eines norddeutschen Strafgesetzbuches betreibt, möchte doch leicht ein Mittelweg zu finden sein. Der im Justiz-Ministerium angefertigte Entwurf ist allerdings im Laufe des August veröffentlicht worden. Damit war der Tagespresse Gelegenheit gegeben, ihren Lesern einige Mittheilungen über den Entwurf zu machen, um einige da und dort tadelnde, vielfach aber anerkennende .Bemerkungen beizu¬ fügen. Daß die zum 1. Oetober nach Berlin berufene Commission schon irgend eine ernste kritische Erörterung des Entwurfes vorfinden würde, konnte man unmöglich erwarten- Sollte aber auch die Zeit bis zum Beginn der 23*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/187>, abgerufen am 16.06.2024.