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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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haben, als dieselbe garnicht in die Nothwendigkeit versetzt ist, in der Kreis¬
ordnungsfrage nur mit den Demokraten zu rechnen. So zurückhaltend die
Freieonservativen und die Ueberbleibsel der altliberalen Partei sich bis
jetzt auch gezeigt haben, es liegt vorderhand doch kein Grund für die An¬
nahme, daß die Anschauungen derselben mit denen des Abgeordneten Gneist
übereinstimmen, den wesentlich seine Vorliebe für englische Institutionen
und sein langjähriges Studium derselben, dazu vermocht hatten sich für die
Bevorzugung auszusprechen, welche die Regierung und die Conservativen
dem großen Grundbesitz bezüglich der Ehrenämter zu Theil werden lassen
wollen. Auch die Regierung hatte noch nicht erklärt, daß sie in diesem Punkte
nicht mit sich handeln lassen werde. Konnte es unter solchen Umständen
Sache der national-liberalen Partei sein, eine Vermittlung von vorn herein zu
erschweren, konnte es ihrem Interesse und ihren Intentionen entsprechen, wenn
auf die Unfehlbarkeit des künftigen demokratischen Zukunftsreichs Wechsel
gezogen wurden?

Wenn wir nicht aus einer ziemlich langen Reihe von Erfahrungen
wüßten, daß der heterogene Ursprung der national-liberalen Partei für den
Zusammenhang und die Disciplin derselben ominös gewesen ist, so würden
wir die Frage, wie ein solches Vorgehen zu der Taktik einer Fraction stimmt,
die für regierungsfähig gelten will, kaum unterdrücken können. Indessen
hat die von der Einsicht des Präsidenten v. Forkenbeck vorgeschlagene acht¬
tägige Unterbrechung der Generaldebatte dafür gesorgt, daß die ersten Ein¬
drücke nicht die entscheidenden sein werden. Die Bedingungen, welche der Re¬
gierung zu machen sind, werden von den Fractionen noch ein Mal berathen,
die Punkte, über welche Kompromisse möglich sind, nach Abgabe der ver¬
schiedenen Fractionsvoten endgiltig festgestellt werden. Nächst der Fest¬
stellung der Amtsbezirke, in welche Graf Eulenburg aller Wahrscheinlichkeit
nach willigen wird, wird die Frage der Ehrenämter ohne Zweifel die ent¬
scheidende sein. Auch über diese scheint eine Verständigung nicht möglich, denn
der Minister hat allen Grund bis an die Grenze der ihm möglichen Zuge¬
ständnisse zu gehen. Zwischen dieser und dem Programm, das die Fort¬
schrittspartei, oder doch ein Theil derselben aufgestellt hat, ist freilich eine
tiefe Kluft. Bis jetzt ist aber keineswegs gesagt, daß die Nationalliberalen
sich der Theorie zu Liebe auf den abstract demokratischen Standpunkt stellen
Werden. Bei der Entscheidung darüber, welche Garantien für den dem mitt¬
leren Grundbesitz zustehenden Antheil an der Kreisverwaltung zu fordern sind,
wird freilich der linke Flügel dieser Fraction das hauptsächlichste Wort zu
sagen haben, denn da der Gesetzentwurf zunächst nur auf die alten Provinzen
Bezug hat, ist ein großer Theil der gemäßigteren Führer nicht direct engagirt.


haben, als dieselbe garnicht in die Nothwendigkeit versetzt ist, in der Kreis¬
ordnungsfrage nur mit den Demokraten zu rechnen. So zurückhaltend die
Freieonservativen und die Ueberbleibsel der altliberalen Partei sich bis
jetzt auch gezeigt haben, es liegt vorderhand doch kein Grund für die An¬
nahme, daß die Anschauungen derselben mit denen des Abgeordneten Gneist
übereinstimmen, den wesentlich seine Vorliebe für englische Institutionen
und sein langjähriges Studium derselben, dazu vermocht hatten sich für die
Bevorzugung auszusprechen, welche die Regierung und die Conservativen
dem großen Grundbesitz bezüglich der Ehrenämter zu Theil werden lassen
wollen. Auch die Regierung hatte noch nicht erklärt, daß sie in diesem Punkte
nicht mit sich handeln lassen werde. Konnte es unter solchen Umständen
Sache der national-liberalen Partei sein, eine Vermittlung von vorn herein zu
erschweren, konnte es ihrem Interesse und ihren Intentionen entsprechen, wenn
auf die Unfehlbarkeit des künftigen demokratischen Zukunftsreichs Wechsel
gezogen wurden?

Wenn wir nicht aus einer ziemlich langen Reihe von Erfahrungen
wüßten, daß der heterogene Ursprung der national-liberalen Partei für den
Zusammenhang und die Disciplin derselben ominös gewesen ist, so würden
wir die Frage, wie ein solches Vorgehen zu der Taktik einer Fraction stimmt,
die für regierungsfähig gelten will, kaum unterdrücken können. Indessen
hat die von der Einsicht des Präsidenten v. Forkenbeck vorgeschlagene acht¬
tägige Unterbrechung der Generaldebatte dafür gesorgt, daß die ersten Ein¬
drücke nicht die entscheidenden sein werden. Die Bedingungen, welche der Re¬
gierung zu machen sind, werden von den Fractionen noch ein Mal berathen,
die Punkte, über welche Kompromisse möglich sind, nach Abgabe der ver¬
schiedenen Fractionsvoten endgiltig festgestellt werden. Nächst der Fest¬
stellung der Amtsbezirke, in welche Graf Eulenburg aller Wahrscheinlichkeit
nach willigen wird, wird die Frage der Ehrenämter ohne Zweifel die ent¬
scheidende sein. Auch über diese scheint eine Verständigung nicht möglich, denn
der Minister hat allen Grund bis an die Grenze der ihm möglichen Zuge¬
ständnisse zu gehen. Zwischen dieser und dem Programm, das die Fort¬
schrittspartei, oder doch ein Theil derselben aufgestellt hat, ist freilich eine
tiefe Kluft. Bis jetzt ist aber keineswegs gesagt, daß die Nationalliberalen
sich der Theorie zu Liebe auf den abstract demokratischen Standpunkt stellen
Werden. Bei der Entscheidung darüber, welche Garantien für den dem mitt¬
leren Grundbesitz zustehenden Antheil an der Kreisverwaltung zu fordern sind,
wird freilich der linke Flügel dieser Fraction das hauptsächlichste Wort zu
sagen haben, denn da der Gesetzentwurf zunächst nur auf die alten Provinzen
Bezug hat, ist ein großer Theil der gemäßigteren Führer nicht direct engagirt.


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[0207] haben, als dieselbe garnicht in die Nothwendigkeit versetzt ist, in der Kreis¬ ordnungsfrage nur mit den Demokraten zu rechnen. So zurückhaltend die Freieonservativen und die Ueberbleibsel der altliberalen Partei sich bis jetzt auch gezeigt haben, es liegt vorderhand doch kein Grund für die An¬ nahme, daß die Anschauungen derselben mit denen des Abgeordneten Gneist übereinstimmen, den wesentlich seine Vorliebe für englische Institutionen und sein langjähriges Studium derselben, dazu vermocht hatten sich für die Bevorzugung auszusprechen, welche die Regierung und die Conservativen dem großen Grundbesitz bezüglich der Ehrenämter zu Theil werden lassen wollen. Auch die Regierung hatte noch nicht erklärt, daß sie in diesem Punkte nicht mit sich handeln lassen werde. Konnte es unter solchen Umständen Sache der national-liberalen Partei sein, eine Vermittlung von vorn herein zu erschweren, konnte es ihrem Interesse und ihren Intentionen entsprechen, wenn auf die Unfehlbarkeit des künftigen demokratischen Zukunftsreichs Wechsel gezogen wurden? Wenn wir nicht aus einer ziemlich langen Reihe von Erfahrungen wüßten, daß der heterogene Ursprung der national-liberalen Partei für den Zusammenhang und die Disciplin derselben ominös gewesen ist, so würden wir die Frage, wie ein solches Vorgehen zu der Taktik einer Fraction stimmt, die für regierungsfähig gelten will, kaum unterdrücken können. Indessen hat die von der Einsicht des Präsidenten v. Forkenbeck vorgeschlagene acht¬ tägige Unterbrechung der Generaldebatte dafür gesorgt, daß die ersten Ein¬ drücke nicht die entscheidenden sein werden. Die Bedingungen, welche der Re¬ gierung zu machen sind, werden von den Fractionen noch ein Mal berathen, die Punkte, über welche Kompromisse möglich sind, nach Abgabe der ver¬ schiedenen Fractionsvoten endgiltig festgestellt werden. Nächst der Fest¬ stellung der Amtsbezirke, in welche Graf Eulenburg aller Wahrscheinlichkeit nach willigen wird, wird die Frage der Ehrenämter ohne Zweifel die ent¬ scheidende sein. Auch über diese scheint eine Verständigung nicht möglich, denn der Minister hat allen Grund bis an die Grenze der ihm möglichen Zuge¬ ständnisse zu gehen. Zwischen dieser und dem Programm, das die Fort¬ schrittspartei, oder doch ein Theil derselben aufgestellt hat, ist freilich eine tiefe Kluft. Bis jetzt ist aber keineswegs gesagt, daß die Nationalliberalen sich der Theorie zu Liebe auf den abstract demokratischen Standpunkt stellen Werden. Bei der Entscheidung darüber, welche Garantien für den dem mitt¬ leren Grundbesitz zustehenden Antheil an der Kreisverwaltung zu fordern sind, wird freilich der linke Flügel dieser Fraction das hauptsächlichste Wort zu sagen haben, denn da der Gesetzentwurf zunächst nur auf die alten Provinzen Bezug hat, ist ein großer Theil der gemäßigteren Führer nicht direct engagirt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/207>, abgerufen am 28.05.2024.