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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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verkam, in welches sie durch den Proceß gegen ihn gestürzt wurde. Der
Ausgangspunkt desselben war die klar bewiesene Thatsache gewesen, daß der
Senator an ihr Gewalt geübt hatte.

Es eröffnet sich durch dieses Bild der Blick in einen Pfuhl von Nichts¬
würdigkeit, der sich durch keine schwachmüthigem und sentimentalen Redensarten
verdecken läßt. Solche Zustände verdienten so bald und so gründlich als
möglich ganz vertilgt zu werden, und die französische Revolution hat dies
schnell genug gethan. Das Reich und seine natürliche Reichshauptstadt waren
von Einem Stoffe geformt, und wenn die deutsche Nation noch irgend eine
Zukunft haben sollte, mußten beide versinken. Im Vergleich damit war selbst
die rheinbündlerische Bureaukratenwirthschaft ein Fortschritt. Wenigstens
wurden dadurch die Adern unterbunden, zum Theil sogar durchschnitten, durch
welche das Gift in dem unseligen Volkskörper circulirte. Geheilt wurde er
freilich nicht durch eine solche rohe Procedur. Auch Frankfurt ist, was das
Wesen betrifft, durch die Stürme der letzten 80 Jahre nur degradirt, aber
nicht desinficirt, und dasselbe gilt ja auch von jenem so schönen und reich¬
gesegneten Theile unseres Vaterlandes, der einst vorzugsweise das Reich hieß
und jetzt das Stammland und Hauptquartier unserer Particularisten. Ultra¬
montanen und Volksparteiler ist. Es sind die directen leiblichen und geisti¬
gen Nachkommen der würdigen Landsleute und Zeitgenossen eines Erasmus
Senckenberg. Lebte er heute, so wäre es nicht schwer zu sagen, in welchem
Lager wir ihn zu suchen hätten, nur daß heute seine Talente noch glänzender
vor dem übrigen Trosse hervorleuchten würden. Denn der Boden hat auch
in natürlicher Folge seine geniale Productivität, die er damals unleugbar be¬
saß, ganz verloren; es ist ein bloßer Sumpf worden, und was dieser produ-
ciren kann, ist ja bekannt und gibt der Augenschein. Die 1815 wiederher¬
gestellte Reichsstadt Frankfurt konnte nichts anderes als ein künstlich von
der Unterwelt beschworenes Gespenst sein; die blutlosen Schatten jener lebendi¬
gen Gestalten, die sie noch zu Goethe's Jugendzeit erfüllten, trieben sich in ihr
herum, und wer sich die Augen von ihnen blenden ließ, mochte glauben, es
seien die alten, wohlbekannten Wesen. Der neue Senat verdiente es, ein
Nachfolger des alten zu sein, die Bundestagswirthschaft glich auf ein Haar
jenem Schwärme diplomatischer Abenteurer, der einst hier in der Neichshaupt"
stadt seine Orgien gefeiert hatte, ja es gab sogar wie damals inmitten der
strengprotestantischen Stadt eine verbissene ultramontane Clique, die ihre
Netze mit allen Seilen auswarf. Das Jahr 1866 hat diese Gespenster nicht
gebannt, aber sie einstweilen doch genöthigt, sich etwas in die Winkel zurück¬
zuziehen. Dort mögen sie noch lange Hausen, denn die Krankheiten einer
Volksseele lassen sich nur in Generationen und nicht in Jahren heilen. Aber
es wäre feige, an ihrer Heilbarkeit zu verzweifeln. In diesem Augenblick


verkam, in welches sie durch den Proceß gegen ihn gestürzt wurde. Der
Ausgangspunkt desselben war die klar bewiesene Thatsache gewesen, daß der
Senator an ihr Gewalt geübt hatte.

Es eröffnet sich durch dieses Bild der Blick in einen Pfuhl von Nichts¬
würdigkeit, der sich durch keine schwachmüthigem und sentimentalen Redensarten
verdecken läßt. Solche Zustände verdienten so bald und so gründlich als
möglich ganz vertilgt zu werden, und die französische Revolution hat dies
schnell genug gethan. Das Reich und seine natürliche Reichshauptstadt waren
von Einem Stoffe geformt, und wenn die deutsche Nation noch irgend eine
Zukunft haben sollte, mußten beide versinken. Im Vergleich damit war selbst
die rheinbündlerische Bureaukratenwirthschaft ein Fortschritt. Wenigstens
wurden dadurch die Adern unterbunden, zum Theil sogar durchschnitten, durch
welche das Gift in dem unseligen Volkskörper circulirte. Geheilt wurde er
freilich nicht durch eine solche rohe Procedur. Auch Frankfurt ist, was das
Wesen betrifft, durch die Stürme der letzten 80 Jahre nur degradirt, aber
nicht desinficirt, und dasselbe gilt ja auch von jenem so schönen und reich¬
gesegneten Theile unseres Vaterlandes, der einst vorzugsweise das Reich hieß
und jetzt das Stammland und Hauptquartier unserer Particularisten. Ultra¬
montanen und Volksparteiler ist. Es sind die directen leiblichen und geisti¬
gen Nachkommen der würdigen Landsleute und Zeitgenossen eines Erasmus
Senckenberg. Lebte er heute, so wäre es nicht schwer zu sagen, in welchem
Lager wir ihn zu suchen hätten, nur daß heute seine Talente noch glänzender
vor dem übrigen Trosse hervorleuchten würden. Denn der Boden hat auch
in natürlicher Folge seine geniale Productivität, die er damals unleugbar be¬
saß, ganz verloren; es ist ein bloßer Sumpf worden, und was dieser produ-
ciren kann, ist ja bekannt und gibt der Augenschein. Die 1815 wiederher¬
gestellte Reichsstadt Frankfurt konnte nichts anderes als ein künstlich von
der Unterwelt beschworenes Gespenst sein; die blutlosen Schatten jener lebendi¬
gen Gestalten, die sie noch zu Goethe's Jugendzeit erfüllten, trieben sich in ihr
herum, und wer sich die Augen von ihnen blenden ließ, mochte glauben, es
seien die alten, wohlbekannten Wesen. Der neue Senat verdiente es, ein
Nachfolger des alten zu sein, die Bundestagswirthschaft glich auf ein Haar
jenem Schwärme diplomatischer Abenteurer, der einst hier in der Neichshaupt«
stadt seine Orgien gefeiert hatte, ja es gab sogar wie damals inmitten der
strengprotestantischen Stadt eine verbissene ultramontane Clique, die ihre
Netze mit allen Seilen auswarf. Das Jahr 1866 hat diese Gespenster nicht
gebannt, aber sie einstweilen doch genöthigt, sich etwas in die Winkel zurück¬
zuziehen. Dort mögen sie noch lange Hausen, denn die Krankheiten einer
Volksseele lassen sich nur in Generationen und nicht in Jahren heilen. Aber
es wäre feige, an ihrer Heilbarkeit zu verzweifeln. In diesem Augenblick


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/344>, abgerufen am 28.05.2024.