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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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die Gelegenheit entzogen, ihre Principien noch einmal in voller Klarheit vor
dem Lande auszusprechen und damit zugleich der Commissionsarbeit eine be¬
stimmtere Directive zu geben. Zwar wird sich im Verlauf der Session noch
mehr wie ein Anlaß finden, dem Cultusminister gegenüberzutreten. Hat doch
der Abgeordnete Ziegler schon in der Sitzung vom 19. Herrn von Muster
ein Verdammungsurtheil entgegengeschleudert, wie es stärker im parlamen¬
tarischen Leben wohl nie gehört worden ist. Aber was helfen Proteste und
Erklärungen, was hilft selbst ein aus der Tiefe patriotischer Entrüstung her¬
vordringender Wehruf, auch wenn er einen noch so einstimmigen Widerhall
findet? Der Minister setzt sich mit einem Achselzucken darüber hinweg und
die Dinge bleiben beim Alten. Also, wird man sagen, würde auch die Vor¬
berathung im Plenum nichts genutzt, würde auch sie höchstens eine vorüber¬
gehende "moralische" Wirkung gehabt haben. Wir glauben nicht, daß dieser
Einwand das Richtige trifft. Ein thatsächlicher Erfolg gewiß, er würde auch durch
die Vorberathung im Hause nicht bewirkt sein. Aber es ist doch ein erheb¬
licher Unterschied zwischen vereinzelten Angriffen, gelegentlichen Jnvectiven
und zwischen einer Debatte, welche auf der Grundlage eines zusammenhän¬
genden Entwurfes fußend, auch eine mehr oder weniger zusammenhängende
Kritik ermöglicht und ein concretes Bild von der Stellung der Parteien ge¬
liefert hätte. Dem Lande wäre dadurch nicht nur klar geworden, was es
von dem Cultusminister zu fürchten, sondern auch, was es von seinen Ver¬
tretern zu erwarten hat, welche positiven Ziele denselben vorschweben und
was sie an die Stelle des Entwurfs zu setzen gesonnen sind. Diese werth¬
volle Ausklärung ist abgeschnitten, die ganze Frage ist vorläufig vertagt
worden; sie hat der Concurrenz der Kreisordnung und der Finanzfrage
weichen müssen.

Vielleicht ist diese der Unterrichtsfrage aufgenöthigte parlamentarische
Pause geeignet, um den Entwurf, um den es sich dabei handelt, nicht im
Ganzen zu beleuchten, aber doch über die wichtigste, nämlich die confessionelle
Seite desselben wenigstens einige Andeutungen zu geben. Schon die bei der
Ueberreichung von dem Minister gehaltene Rede konnte über die allgemeine
Richtung, welche der Entwurf in dieser Beziehung verfolgt, keinen Zweifel
lassen. Eine nähere Betrachtung des letzteren und der ihm beigegebenen
Motive aber zeigt, daß derselbe in der That das Aeußerste leistet, was die
strengste Consessionalität zu fordern wagen würde, daß er nur eine consequente
Durchführung derjenigen Principien enthält, deren Beseitigung von der über¬
wiegenden Mehrheit der Bevölkerung für nothwendig gehalten wird.

Am schroffsten sind diese Principien bei der Organisation der öffentlichen
Volksschulen zur Geltung gebracht. Die Motive nehmen die sehr vage Be¬
stimmung des Art. 24 der Verfassungsurkunde, daß bei der Einrichtung der-


die Gelegenheit entzogen, ihre Principien noch einmal in voller Klarheit vor
dem Lande auszusprechen und damit zugleich der Commissionsarbeit eine be¬
stimmtere Directive zu geben. Zwar wird sich im Verlauf der Session noch
mehr wie ein Anlaß finden, dem Cultusminister gegenüberzutreten. Hat doch
der Abgeordnete Ziegler schon in der Sitzung vom 19. Herrn von Muster
ein Verdammungsurtheil entgegengeschleudert, wie es stärker im parlamen¬
tarischen Leben wohl nie gehört worden ist. Aber was helfen Proteste und
Erklärungen, was hilft selbst ein aus der Tiefe patriotischer Entrüstung her¬
vordringender Wehruf, auch wenn er einen noch so einstimmigen Widerhall
findet? Der Minister setzt sich mit einem Achselzucken darüber hinweg und
die Dinge bleiben beim Alten. Also, wird man sagen, würde auch die Vor¬
berathung im Plenum nichts genutzt, würde auch sie höchstens eine vorüber¬
gehende „moralische" Wirkung gehabt haben. Wir glauben nicht, daß dieser
Einwand das Richtige trifft. Ein thatsächlicher Erfolg gewiß, er würde auch durch
die Vorberathung im Hause nicht bewirkt sein. Aber es ist doch ein erheb¬
licher Unterschied zwischen vereinzelten Angriffen, gelegentlichen Jnvectiven
und zwischen einer Debatte, welche auf der Grundlage eines zusammenhän¬
genden Entwurfes fußend, auch eine mehr oder weniger zusammenhängende
Kritik ermöglicht und ein concretes Bild von der Stellung der Parteien ge¬
liefert hätte. Dem Lande wäre dadurch nicht nur klar geworden, was es
von dem Cultusminister zu fürchten, sondern auch, was es von seinen Ver¬
tretern zu erwarten hat, welche positiven Ziele denselben vorschweben und
was sie an die Stelle des Entwurfs zu setzen gesonnen sind. Diese werth¬
volle Ausklärung ist abgeschnitten, die ganze Frage ist vorläufig vertagt
worden; sie hat der Concurrenz der Kreisordnung und der Finanzfrage
weichen müssen.

Vielleicht ist diese der Unterrichtsfrage aufgenöthigte parlamentarische
Pause geeignet, um den Entwurf, um den es sich dabei handelt, nicht im
Ganzen zu beleuchten, aber doch über die wichtigste, nämlich die confessionelle
Seite desselben wenigstens einige Andeutungen zu geben. Schon die bei der
Ueberreichung von dem Minister gehaltene Rede konnte über die allgemeine
Richtung, welche der Entwurf in dieser Beziehung verfolgt, keinen Zweifel
lassen. Eine nähere Betrachtung des letzteren und der ihm beigegebenen
Motive aber zeigt, daß derselbe in der That das Aeußerste leistet, was die
strengste Consessionalität zu fordern wagen würde, daß er nur eine consequente
Durchführung derjenigen Principien enthält, deren Beseitigung von der über¬
wiegenden Mehrheit der Bevölkerung für nothwendig gehalten wird.

Am schroffsten sind diese Principien bei der Organisation der öffentlichen
Volksschulen zur Geltung gebracht. Die Motive nehmen die sehr vage Be¬
stimmung des Art. 24 der Verfassungsurkunde, daß bei der Einrichtung der-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/360>, abgerufen am 11.05.2024.