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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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selben die confessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen sind, zum
Ausgangspunkt, und suchen für die Anwendung dieses Grundsatzes dadurch
eine weitere Grundlage zu gewinnen, daß der in demselben Artikel gebrauchte
und offenbar in weiterem Sinne verstandene Ausdruck "Religionsgesellschaften"
durch eine völlig willkürliche, auf Artikel 14 und 13 gestützte Interpretation
von vornherein auf die evangelische und die römisch-katholische Kirche ein¬
geschränkt wird. Es wird demgemäß mit Beiseitesetzung anderer Confessions-
unterschiede -- von den jüdischen Schulen sprechen wir später -- in dem
Entwurf der Begriff der Kirche in einer Weise eingeführt, daß darunter
immer g,ut--aut die katholische oder die evangelische Confession verstanden
und auch da, wo von der christlichen Religion im Allgemeinen gesprochen
wird, immer die eine oder die andere Form derselben als maßgebend voraus¬
gesetzt ist.

Die nächste Consequenz dieser Auffassung ist, daß der Entwurf prin¬
cipiell nur eine konfessionelle Volksschule kennt, in der alle Lehrer der Con¬
fession der Schule angehören. Der §. 24 nimmt zwar auf bestehende
Simultanschulen Rücksicht. In dem vorhergehenden §. aber wird den Schulen,
welche einen confessionellen Charakter haben, derselbe ausdrücklich gewahrt
und die Bestimmung hinzugefügt, daß neu errichtete öffentliche Gemeinde-
schulen der Confession folgen, welcher die Mehrheit der ihnen zugewiesenen
Kinder angehört, d. h. es wird für die Zukunft das ausschließliche Princip
der Confessionsschule aufgestellt. Wenn dagegen die schon im Landrecht aus¬
gesprochene Bestimmung, daß Kinder wegen Ve"sehn-derben des Glaubens¬
bekenntnisses nicht von der öffentlichen Volksschule ausgeschlossen, auch zur
Theilnahme an dem Religionsunterricht eines von dem ihrigen ve>schiedenen
Bekenntnisses nicht gezwungen werden können, wenn diese Bestimmung auch
in dem vorliegenden Entwürfe Platz gefunden hat, so wird man darin nicht
sowohl, wie die Motive zu verstehen geben, eine besondere Mäßigung des
confessionellen Princips, als eine selbstverständliche Folge des obligatorischen
Schulunterrichts erblicken, dessen Forderung im entgegengesetzten Falle nicht
aufrecht zu erhalten wäre. Verrathen doch die in §. 23 für die confessionelle
Minorität aufgestellten Normen die entschiedene Tendenz, die Absonderung
so viel als möglich zu begünstigen und ihr eine möglichst frühe Grenze zu
bestimmen.

Ist so einerseits die confessionelle Sonderung der Volksschulen in stric-
tester Weise als Regel ausgesprochen, so ist ein nicht minder bedeutsamer
Punkt die Organisation der staatlichen Aufsicht, die sich unter sorgfältiger
Jnnehaltung jener Sonderung auf allen Stufen der kirchlichen Organe bedient
und durch diese Substitution ihre eigenen Rechte thatsächlich zum guten
Theil an die Kirche abgibt. Zur Rechtfertigung dieses Verfahrens berufen


Grcnjbotm IV. 1869. 43

selben die confessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen sind, zum
Ausgangspunkt, und suchen für die Anwendung dieses Grundsatzes dadurch
eine weitere Grundlage zu gewinnen, daß der in demselben Artikel gebrauchte
und offenbar in weiterem Sinne verstandene Ausdruck „Religionsgesellschaften"
durch eine völlig willkürliche, auf Artikel 14 und 13 gestützte Interpretation
von vornherein auf die evangelische und die römisch-katholische Kirche ein¬
geschränkt wird. Es wird demgemäß mit Beiseitesetzung anderer Confessions-
unterschiede — von den jüdischen Schulen sprechen wir später — in dem
Entwurf der Begriff der Kirche in einer Weise eingeführt, daß darunter
immer g,ut—aut die katholische oder die evangelische Confession verstanden
und auch da, wo von der christlichen Religion im Allgemeinen gesprochen
wird, immer die eine oder die andere Form derselben als maßgebend voraus¬
gesetzt ist.

Die nächste Consequenz dieser Auffassung ist, daß der Entwurf prin¬
cipiell nur eine konfessionelle Volksschule kennt, in der alle Lehrer der Con¬
fession der Schule angehören. Der §. 24 nimmt zwar auf bestehende
Simultanschulen Rücksicht. In dem vorhergehenden §. aber wird den Schulen,
welche einen confessionellen Charakter haben, derselbe ausdrücklich gewahrt
und die Bestimmung hinzugefügt, daß neu errichtete öffentliche Gemeinde-
schulen der Confession folgen, welcher die Mehrheit der ihnen zugewiesenen
Kinder angehört, d. h. es wird für die Zukunft das ausschließliche Princip
der Confessionsschule aufgestellt. Wenn dagegen die schon im Landrecht aus¬
gesprochene Bestimmung, daß Kinder wegen Ve»sehn-derben des Glaubens¬
bekenntnisses nicht von der öffentlichen Volksschule ausgeschlossen, auch zur
Theilnahme an dem Religionsunterricht eines von dem ihrigen ve>schiedenen
Bekenntnisses nicht gezwungen werden können, wenn diese Bestimmung auch
in dem vorliegenden Entwürfe Platz gefunden hat, so wird man darin nicht
sowohl, wie die Motive zu verstehen geben, eine besondere Mäßigung des
confessionellen Princips, als eine selbstverständliche Folge des obligatorischen
Schulunterrichts erblicken, dessen Forderung im entgegengesetzten Falle nicht
aufrecht zu erhalten wäre. Verrathen doch die in §. 23 für die confessionelle
Minorität aufgestellten Normen die entschiedene Tendenz, die Absonderung
so viel als möglich zu begünstigen und ihr eine möglichst frühe Grenze zu
bestimmen.

Ist so einerseits die confessionelle Sonderung der Volksschulen in stric-
tester Weise als Regel ausgesprochen, so ist ein nicht minder bedeutsamer
Punkt die Organisation der staatlichen Aufsicht, die sich unter sorgfältiger
Jnnehaltung jener Sonderung auf allen Stufen der kirchlichen Organe bedient
und durch diese Substitution ihre eigenen Rechte thatsächlich zum guten
Theil an die Kirche abgibt. Zur Rechtfertigung dieses Verfahrens berufen


Grcnjbotm IV. 1869. 43
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/361>, abgerufen am 23.05.2024.