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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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sich die Motive auf die Verfassungsurkunde, welche dem Staate das Auf¬
sichtsrecht, den Religionsgemeinschaften die Leitung des religiösen Unterrichts
und den Gemeinden die Leitung der äußeren Angelegenheiten der Volksschule
zuerkennt. Die Betheiligung dieser drei Factoren, heißt es, ist als das
durch die Verfassung an die Hand gegebene leitende Princip anzusehen.
Die Befugnisse derselben können aber nicht in der unvermittelter Weise, in
der sie die Verfassungsurkunde neben einander stellt, geübt werden. Dadurch
würde vor Allem zwischen dem Staat und der Kirche ein Dualismus statuirt
werden, der einer inneren Zerreißung der Schule gleichkäme. Es muß daher eine
höhere Vermittelung gesucht und "die Einheit der Schule in ihren Beziehungen
zu Staat und Kirche unbedingt und in allen Consequenzen" festgehalten werden.
Man erkennt zunächst, daß die oben erwähnte Interpretation des Begriffs
"Religionsgesellschaften" auch hier maßgebend gewesen ist und daß ebensowohl
hierdurch wie durch die angestrebte "höhere Vermittelung" der Entwurf sich
von dem Boden der Verfassung entfernt, daß er der wirklichen unverfälschten
Meinung derselben schnurstracks zuwiderläuft. In welcher Art jene Ver¬
mittelung erreicht wird, haben wir bereits angedeutet. Das Wesentliche der¬
selben besteht darin, daß in der Gemeinde der Ortspfarrer als Schulpfleger
den gesammten Unterricht der Schule beaufsichtigt und von dem Zustand
desselben den Schulvorstand, dessen Mitglied er ist, in Kenntniß erhält, im
Kreise aber und in den Städten zur Ausübung dieser Aussicht ein oder meh¬
rere Schulinspectoren ernannt werden, welche zugleich Mitglieder der Schul¬
commission (respective des als Schulcommission fungirenden Kreisausschusses)
sind und mit Ausnahme des Falles, daß sich kein dazu williger oder geeig¬
neter Pfarrer findet, aus der Zahl der Geistlichen gewählt werden. Indem
es somit die Pfarrer sind, welche der Staat ausschließlich mit der inneren
Controle der Volksschule in der Gemeinde und im Kreise beauftragt, adoptirt
er im Princip schon ein in seinem Namen geübtes Aufsichtsrecht der Kirche
über die Schule. Er vindicirt aber neben der indirecten Einwirkung, welche
der Kirche damit eingeräumt ist, den kirchlichen Behörden außerdem
einen unmittelbaren Einfluß auf den Religionsunterricht, indem in Bezug
hierauf die mit der allgemeinen Aufsicht über die Schule betrauten Geist¬
lichen den Anordnungen der kirchlichen Behörden unterstellt und diese auch
bei der Festsetzung eines Grundlehrplans für die öffentliche Volksschule zu
Rathe gezogen werden. Wenn wir daher alle Bestimmungen, welche in die¬
sen Zusammenhang eingreifen, zusammenfassen und dabei dasjenige, was nur
aus formellem Schein beruht, abstreifen, so ergeben sich als die wesentlichen
Elemente des Entwurfs nach dieser Seite hin: eine confessionelle Volksschule,
eine allgemeine Beaussichttgung derselben durch die Geistlichkett, eine specielle
Leitung des Religionsunterrichts durch die kirchlichen Behörden.


sich die Motive auf die Verfassungsurkunde, welche dem Staate das Auf¬
sichtsrecht, den Religionsgemeinschaften die Leitung des religiösen Unterrichts
und den Gemeinden die Leitung der äußeren Angelegenheiten der Volksschule
zuerkennt. Die Betheiligung dieser drei Factoren, heißt es, ist als das
durch die Verfassung an die Hand gegebene leitende Princip anzusehen.
Die Befugnisse derselben können aber nicht in der unvermittelter Weise, in
der sie die Verfassungsurkunde neben einander stellt, geübt werden. Dadurch
würde vor Allem zwischen dem Staat und der Kirche ein Dualismus statuirt
werden, der einer inneren Zerreißung der Schule gleichkäme. Es muß daher eine
höhere Vermittelung gesucht und „die Einheit der Schule in ihren Beziehungen
zu Staat und Kirche unbedingt und in allen Consequenzen" festgehalten werden.
Man erkennt zunächst, daß die oben erwähnte Interpretation des Begriffs
„Religionsgesellschaften" auch hier maßgebend gewesen ist und daß ebensowohl
hierdurch wie durch die angestrebte „höhere Vermittelung" der Entwurf sich
von dem Boden der Verfassung entfernt, daß er der wirklichen unverfälschten
Meinung derselben schnurstracks zuwiderläuft. In welcher Art jene Ver¬
mittelung erreicht wird, haben wir bereits angedeutet. Das Wesentliche der¬
selben besteht darin, daß in der Gemeinde der Ortspfarrer als Schulpfleger
den gesammten Unterricht der Schule beaufsichtigt und von dem Zustand
desselben den Schulvorstand, dessen Mitglied er ist, in Kenntniß erhält, im
Kreise aber und in den Städten zur Ausübung dieser Aussicht ein oder meh¬
rere Schulinspectoren ernannt werden, welche zugleich Mitglieder der Schul¬
commission (respective des als Schulcommission fungirenden Kreisausschusses)
sind und mit Ausnahme des Falles, daß sich kein dazu williger oder geeig¬
neter Pfarrer findet, aus der Zahl der Geistlichen gewählt werden. Indem
es somit die Pfarrer sind, welche der Staat ausschließlich mit der inneren
Controle der Volksschule in der Gemeinde und im Kreise beauftragt, adoptirt
er im Princip schon ein in seinem Namen geübtes Aufsichtsrecht der Kirche
über die Schule. Er vindicirt aber neben der indirecten Einwirkung, welche
der Kirche damit eingeräumt ist, den kirchlichen Behörden außerdem
einen unmittelbaren Einfluß auf den Religionsunterricht, indem in Bezug
hierauf die mit der allgemeinen Aufsicht über die Schule betrauten Geist¬
lichen den Anordnungen der kirchlichen Behörden unterstellt und diese auch
bei der Festsetzung eines Grundlehrplans für die öffentliche Volksschule zu
Rathe gezogen werden. Wenn wir daher alle Bestimmungen, welche in die¬
sen Zusammenhang eingreifen, zusammenfassen und dabei dasjenige, was nur
aus formellem Schein beruht, abstreifen, so ergeben sich als die wesentlichen
Elemente des Entwurfs nach dieser Seite hin: eine confessionelle Volksschule,
eine allgemeine Beaussichttgung derselben durch die Geistlichkett, eine specielle
Leitung des Religionsunterrichts durch die kirchlichen Behörden.


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[0362] sich die Motive auf die Verfassungsurkunde, welche dem Staate das Auf¬ sichtsrecht, den Religionsgemeinschaften die Leitung des religiösen Unterrichts und den Gemeinden die Leitung der äußeren Angelegenheiten der Volksschule zuerkennt. Die Betheiligung dieser drei Factoren, heißt es, ist als das durch die Verfassung an die Hand gegebene leitende Princip anzusehen. Die Befugnisse derselben können aber nicht in der unvermittelter Weise, in der sie die Verfassungsurkunde neben einander stellt, geübt werden. Dadurch würde vor Allem zwischen dem Staat und der Kirche ein Dualismus statuirt werden, der einer inneren Zerreißung der Schule gleichkäme. Es muß daher eine höhere Vermittelung gesucht und „die Einheit der Schule in ihren Beziehungen zu Staat und Kirche unbedingt und in allen Consequenzen" festgehalten werden. Man erkennt zunächst, daß die oben erwähnte Interpretation des Begriffs „Religionsgesellschaften" auch hier maßgebend gewesen ist und daß ebensowohl hierdurch wie durch die angestrebte „höhere Vermittelung" der Entwurf sich von dem Boden der Verfassung entfernt, daß er der wirklichen unverfälschten Meinung derselben schnurstracks zuwiderläuft. In welcher Art jene Ver¬ mittelung erreicht wird, haben wir bereits angedeutet. Das Wesentliche der¬ selben besteht darin, daß in der Gemeinde der Ortspfarrer als Schulpfleger den gesammten Unterricht der Schule beaufsichtigt und von dem Zustand desselben den Schulvorstand, dessen Mitglied er ist, in Kenntniß erhält, im Kreise aber und in den Städten zur Ausübung dieser Aussicht ein oder meh¬ rere Schulinspectoren ernannt werden, welche zugleich Mitglieder der Schul¬ commission (respective des als Schulcommission fungirenden Kreisausschusses) sind und mit Ausnahme des Falles, daß sich kein dazu williger oder geeig¬ neter Pfarrer findet, aus der Zahl der Geistlichen gewählt werden. Indem es somit die Pfarrer sind, welche der Staat ausschließlich mit der inneren Controle der Volksschule in der Gemeinde und im Kreise beauftragt, adoptirt er im Princip schon ein in seinem Namen geübtes Aufsichtsrecht der Kirche über die Schule. Er vindicirt aber neben der indirecten Einwirkung, welche der Kirche damit eingeräumt ist, den kirchlichen Behörden außerdem einen unmittelbaren Einfluß auf den Religionsunterricht, indem in Bezug hierauf die mit der allgemeinen Aufsicht über die Schule betrauten Geist¬ lichen den Anordnungen der kirchlichen Behörden unterstellt und diese auch bei der Festsetzung eines Grundlehrplans für die öffentliche Volksschule zu Rathe gezogen werden. Wenn wir daher alle Bestimmungen, welche in die¬ sen Zusammenhang eingreifen, zusammenfassen und dabei dasjenige, was nur aus formellem Schein beruht, abstreifen, so ergeben sich als die wesentlichen Elemente des Entwurfs nach dieser Seite hin: eine confessionelle Volksschule, eine allgemeine Beaussichttgung derselben durch die Geistlichkett, eine specielle Leitung des Religionsunterrichts durch die kirchlichen Behörden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/362>, abgerufen am 16.06.2024.