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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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denn er hatte die Unersetzlichkeit der Freiheit mit Schmerzen kennen gelernt,
und lernte nun sie täglich mehr kennen. Als aber im Herbst 1756 der neapoli¬
tanische Courier die Nachricht vom Einfall der Preußen in Sachsen und dann vom
Abzug des Dresdener Hofes nach Warschau brachte, glaubte er sicher die spar¬
same Unterstützung zu verlieren und trug dem Cardinal Archinto, dem ehe¬
maligen Nuntius in Dresden, seine Dienste an. Es ist kein Zweifel, daß
dabei weitgehnde Berechnungen und Hoffnungen mitspielten. Der Cardinal
war fast der einzige im heiligen Colleg, den der alte Papst achtete; er machte
ihn zum Staatssecretär, und was wichtiger war, alle Welt glaubte, daß er
bei dem zu erwartenden Conclave unter den sogMtti pÄMbili die erste Stelle
einnehmen werde. Archinto, hocherfreut, ernannte Winckelmann zu seinem
Bibliothekar und wies ihm ein weitläufiges Appartamento in der Can-
cellerie an. Denn da er als Minister beim Papste auf dem Quirinal wohnen
mußte, so war der herrliche Saal über der Thür mit dem Balcon frei.

Die Caneellerie, dieser feine Bau Bramante's, liegt in einem Theile
Rom's, der so reich ist an Erinnerungen der besten Zeiten neuerer Archi-
tectur. In der Nähe erhebt sich der Palast Farnese; ein Stück von dem be¬
rühmten Gesims, das Michelangelo componirt hatte, konnte man von den
Fenstern der Cancellerie aus sehen. Das Hauptthor des Palasts sieht auf
den Palast Massimi-alle-colonne; ein paar Schritte davon steht der Palast
Spada mit Erinnerungen an eine Villa Rafael's; der Palast Vidoni ist nicht
fern. Der ganze aus den Antoninischen Thermen gekommene Antikenschatz
war damals noch nicht ins bourbonische Museum in Neapel geschleppt wor¬
den. In dem Bewohne,- des Palasts, dem neapolitanischen Gesandten, Duca
ti Cerisano, entdeckt"? Wnickelwann "unen der größten Köpfe unter der Nation",
und die Veranlassung ihre, Bekanntschaft war das schmeichelhafte Wort des
Duca, "daß er Verlangen irage. Freunoschaft mit mir zu machen." Im
Erdgeschoß wohnte der brave Sicilianer Vahl mit seiner zahlreichen Familie,
der Ursache seiner Rastlosigkeit im Aetzen römischer Prospecte, die nur durch
die bestechenden Veduten Piranest's, des Tintoretto römischer Ruinen, ver¬
dunkelt werden konnten. --

Das Jahr der Ueberstedelung in die Cancellerie war auch das Jahr der
Einführung W's. in die römische Gelehrtenwelt. Erst dadurch wurde er in
Rom heimisch; denn alle Herrlichkeit der Außenwelt. Natur und Alterthum,
fesselt nicht dauernd, so lange man keine Wurzeln in der Gesellschaft gefaßt
hat. Als er im Februar des folgenden Jahres nach Neapel kam, konnte
ihm dort nicht mehr wohl werden; selbst "alle Herrlichkeit der Natur in jenen
Gegenden" schien ihm "nichts gegen Rom/' --

Die damaligen Zustände waren (soweit Rom von einem einzelnen Papste
beeinflußt werden kann) das Resultat der langen Regierung Benedict des XIV.,


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denn er hatte die Unersetzlichkeit der Freiheit mit Schmerzen kennen gelernt,
und lernte nun sie täglich mehr kennen. Als aber im Herbst 1756 der neapoli¬
tanische Courier die Nachricht vom Einfall der Preußen in Sachsen und dann vom
Abzug des Dresdener Hofes nach Warschau brachte, glaubte er sicher die spar¬
same Unterstützung zu verlieren und trug dem Cardinal Archinto, dem ehe¬
maligen Nuntius in Dresden, seine Dienste an. Es ist kein Zweifel, daß
dabei weitgehnde Berechnungen und Hoffnungen mitspielten. Der Cardinal
war fast der einzige im heiligen Colleg, den der alte Papst achtete; er machte
ihn zum Staatssecretär, und was wichtiger war, alle Welt glaubte, daß er
bei dem zu erwartenden Conclave unter den sogMtti pÄMbili die erste Stelle
einnehmen werde. Archinto, hocherfreut, ernannte Winckelmann zu seinem
Bibliothekar und wies ihm ein weitläufiges Appartamento in der Can-
cellerie an. Denn da er als Minister beim Papste auf dem Quirinal wohnen
mußte, so war der herrliche Saal über der Thür mit dem Balcon frei.

Die Caneellerie, dieser feine Bau Bramante's, liegt in einem Theile
Rom's, der so reich ist an Erinnerungen der besten Zeiten neuerer Archi-
tectur. In der Nähe erhebt sich der Palast Farnese; ein Stück von dem be¬
rühmten Gesims, das Michelangelo componirt hatte, konnte man von den
Fenstern der Cancellerie aus sehen. Das Hauptthor des Palasts sieht auf
den Palast Massimi-alle-colonne; ein paar Schritte davon steht der Palast
Spada mit Erinnerungen an eine Villa Rafael's; der Palast Vidoni ist nicht
fern. Der ganze aus den Antoninischen Thermen gekommene Antikenschatz
war damals noch nicht ins bourbonische Museum in Neapel geschleppt wor¬
den. In dem Bewohne,- des Palasts, dem neapolitanischen Gesandten, Duca
ti Cerisano, entdeckt«? Wnickelwann „unen der größten Köpfe unter der Nation",
und die Veranlassung ihre, Bekanntschaft war das schmeichelhafte Wort des
Duca, „daß er Verlangen irage. Freunoschaft mit mir zu machen." Im
Erdgeschoß wohnte der brave Sicilianer Vahl mit seiner zahlreichen Familie,
der Ursache seiner Rastlosigkeit im Aetzen römischer Prospecte, die nur durch
die bestechenden Veduten Piranest's, des Tintoretto römischer Ruinen, ver¬
dunkelt werden konnten. —

Das Jahr der Ueberstedelung in die Cancellerie war auch das Jahr der
Einführung W's. in die römische Gelehrtenwelt. Erst dadurch wurde er in
Rom heimisch; denn alle Herrlichkeit der Außenwelt. Natur und Alterthum,
fesselt nicht dauernd, so lange man keine Wurzeln in der Gesellschaft gefaßt
hat. Als er im Februar des folgenden Jahres nach Neapel kam, konnte
ihm dort nicht mehr wohl werden; selbst „alle Herrlichkeit der Natur in jenen
Gegenden" schien ihm „nichts gegen Rom/' —

Die damaligen Zustände waren (soweit Rom von einem einzelnen Papste
beeinflußt werden kann) das Resultat der langen Regierung Benedict des XIV.,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/371>, abgerufen am 23.05.2024.