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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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in dessen fünfzehnten Jahre Winckelmann in Rom angekommen war. Der
Leibarzt Monsignore Laurenti, hatte ihm bald eine Audienz verschafft, die
ihm gleich einiges Ansehen gab, obwohl die gnädigen Versicherungen des
alten Herrn natürlich keine weitere Folge hatten. Prospero Lambertini war
gewiß der gelehrteste Papst seit Hadrian von Utrecht (Bandini sagt: seit
Innocenz dem III.), doch war er mehr Jurist als Theologe; er hat der Welt drei¬
zehn Folianten hinterlassen; er selbst vindicirte sich nur einen "Sitz auf der
letzten Bank der Canonisten." In Winckelmann's Urtheilen, welche häufig die
Stimmung der römischen Gesellschaft wiedergeben, merkt man, daß er den
Römern viel zu lange lebte. "Ganz Rom seufzt nach einem neuen Papst,
dieser lebt allen Menschen, sonderlich den Cardinälen zu lange; aber seine
Gleichgiltigkeit erhält ihn der Welt zum Trotz". Er erwartet viel von einem
Nachfolger, "der mehr Geschmack und Liebe zu den Alterthümern hätte, als
dieser, der nichts thut, als über die ganze Welt lachen, und den Charakter
eines Buffo auch in einem so hohen Alter nicht abgelegt hat."

Sollte man glauben, daß Winckelmann so von einem Herrscher sprach,
dessen Regierung eine der weisesten und wohlmeinendsten war, welche die
Annalen des Papstthums ausgewiesen haben? Zehn Jahre vor seiner Er¬
hebung hatte er an Bottari geschrieben: "Die Pflicht der Cardinäle, der
beste Dienst, den ein Cardinal dem heiligen Stuhl bieten kann, ist, gelehrte
und ehrliche Männer nach Rom zu ziehen. Der Papst hat keine Waffen
und Armeen, er muß seine Autorität behaupten, indem er Rom zu einer
Musterstadt macht." Er wollte "die Donnerkeile des Vatican reden lassen."
Damals hüteten sich die Könige, etwas auszusprechen, vielmehr ins Werk zu
setzen, was einen Papst hätte verdrießen können, welcher glaubte, die Kirche
fahre am besten, wenn sie auf die Fürsten und ihre Wünsche Rücksicht
nehme. Voltaire widmete ihm seine Tragödie "Mahomet" und rühmte ihn
in einem Briefe an den Cardinal Quirini als einen Hui g. 6o1air6 1e luvuäö
aviwt as It! Zouveruer. --

Die Form, in welcher das intellectuelle Leben in Rom circulirte, war
die gelehrte Conversation, "Officirer, wo die Talente sich vereinigen und zu
gelehrten Erzeugnissen anregen." Des Papst's außerordentliche geistige Be¬
weglichkeit, die sich auch in seinen Scherzen äußerte (in dem derben Stil und
im Dialect Bologna's) bedürfte unter dem Druck der Geschäfte, deren Lästig¬
keit er lebhaft empfand, des Gegengewichts geistiger Anregung; er wollte
wenigstens den Vortheil von seiner Machtstellung haben, daß er die Gelehrten
Rom's um sich versammelte. Aber ein Papst kann nicht in Conversationen
erscheinen, er darf höchstens ihre festlichen Adunanzen mit seiner Gegenwart
beehren. Benedict XIV. war nicht sobald gekrönt, als er seinen Willen an¬
kündigte, eine Gruppe von Academien entstehen zu sehen, ähnlich wie der


in dessen fünfzehnten Jahre Winckelmann in Rom angekommen war. Der
Leibarzt Monsignore Laurenti, hatte ihm bald eine Audienz verschafft, die
ihm gleich einiges Ansehen gab, obwohl die gnädigen Versicherungen des
alten Herrn natürlich keine weitere Folge hatten. Prospero Lambertini war
gewiß der gelehrteste Papst seit Hadrian von Utrecht (Bandini sagt: seit
Innocenz dem III.), doch war er mehr Jurist als Theologe; er hat der Welt drei¬
zehn Folianten hinterlassen; er selbst vindicirte sich nur einen „Sitz auf der
letzten Bank der Canonisten." In Winckelmann's Urtheilen, welche häufig die
Stimmung der römischen Gesellschaft wiedergeben, merkt man, daß er den
Römern viel zu lange lebte. „Ganz Rom seufzt nach einem neuen Papst,
dieser lebt allen Menschen, sonderlich den Cardinälen zu lange; aber seine
Gleichgiltigkeit erhält ihn der Welt zum Trotz". Er erwartet viel von einem
Nachfolger, „der mehr Geschmack und Liebe zu den Alterthümern hätte, als
dieser, der nichts thut, als über die ganze Welt lachen, und den Charakter
eines Buffo auch in einem so hohen Alter nicht abgelegt hat."

Sollte man glauben, daß Winckelmann so von einem Herrscher sprach,
dessen Regierung eine der weisesten und wohlmeinendsten war, welche die
Annalen des Papstthums ausgewiesen haben? Zehn Jahre vor seiner Er¬
hebung hatte er an Bottari geschrieben: „Die Pflicht der Cardinäle, der
beste Dienst, den ein Cardinal dem heiligen Stuhl bieten kann, ist, gelehrte
und ehrliche Männer nach Rom zu ziehen. Der Papst hat keine Waffen
und Armeen, er muß seine Autorität behaupten, indem er Rom zu einer
Musterstadt macht." Er wollte „die Donnerkeile des Vatican reden lassen."
Damals hüteten sich die Könige, etwas auszusprechen, vielmehr ins Werk zu
setzen, was einen Papst hätte verdrießen können, welcher glaubte, die Kirche
fahre am besten, wenn sie auf die Fürsten und ihre Wünsche Rücksicht
nehme. Voltaire widmete ihm seine Tragödie „Mahomet" und rühmte ihn
in einem Briefe an den Cardinal Quirini als einen Hui g. 6o1air6 1e luvuäö
aviwt as It! Zouveruer. —

Die Form, in welcher das intellectuelle Leben in Rom circulirte, war
die gelehrte Conversation, „Officirer, wo die Talente sich vereinigen und zu
gelehrten Erzeugnissen anregen." Des Papst's außerordentliche geistige Be¬
weglichkeit, die sich auch in seinen Scherzen äußerte (in dem derben Stil und
im Dialect Bologna's) bedürfte unter dem Druck der Geschäfte, deren Lästig¬
keit er lebhaft empfand, des Gegengewichts geistiger Anregung; er wollte
wenigstens den Vortheil von seiner Machtstellung haben, daß er die Gelehrten
Rom's um sich versammelte. Aber ein Papst kann nicht in Conversationen
erscheinen, er darf höchstens ihre festlichen Adunanzen mit seiner Gegenwart
beehren. Benedict XIV. war nicht sobald gekrönt, als er seinen Willen an¬
kündigte, eine Gruppe von Academien entstehen zu sehen, ähnlich wie der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/372>, abgerufen am 16.06.2024.