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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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selbständigen Familienglieder nicht zu berechnen, oder empfangene Natural¬
leistungen nicht zu veranschlagen, während doch der anerkannte Umfang des
Verbrauchs beweist, daß ein entsprechendes Einkommen vorhanden sein muß,
um diese Bedürfnisse bezahlen zu können. Ebenso zeigt die Erfahrung
daß eine weit größere Zahl der kleineren Steuerpflichtigen zu solchen absicht¬
lichen oder unbewußten Täuschungen weit weniger geneigt ist, sobald es sich,
nur darum handelt, in eine tiefere Steuerclasse zu kommen, als wenn es
möglich ist. ganz von der Steuer frei zu bleiben.

Die Einschätzung der niedrigsten Classen empfiehlt sich also gewiß. Alle
übrigen Pflichtigen werden zur Selbstschätzung nach bestem Wissen und Ge¬
wissen aufgefordert, kommen sie dieser Aufforderung nicht in einem bestimm¬
ten Termin nach, so werden sie von der Behörde eingeschätzt. Erscheint der¬
selben die Selbstschätzung zu gering, so ladet sie den Pflichtigen ein, um Auf¬
klärungen zu geben; wenn er dieser Aufforderung nicht Folge leistet, oder
seine Declaration nicht zu vertreten im Stande ist. kann die Behörde eine
Erhöhung der Selbstschätzung vornehmen. Man hat sehr richtig nicht die
Declaration auf Eid gefordert, einmal, weil es sich bei Schätzung des Ein¬
kommens oft um so verwickelte Verhältnisse handelt, daß es selbst einem ge¬
wissenhaften Manne nicht immer möglich sein wird, seine Angaben eidlich zu
bestärken, sodann weil, wenn die Behörde gegründete Zweifel hat. ob das
Einkommen genügend angegeben ist, ihre Erhöhung als Berichtigung des Irr¬
thums erscheint, während bei eidlicher Erklärung in diesem Falle nur übrig
bliebe, einen Meineidsproceß zu machen. Dies Verfahren schließt aber natür¬
lich nicht strafrechtliche Verfolgung bei wirklich vorliegendem Betrüge aus.
Mit diesem Modus, den wir hier in seinen Einzelheiten (z. B. der Berech¬
nung des Einkommens) nicht verfolgen können, hat man durchweg befriedi¬
gende Resultate erzielt. In Hamburg unterließ im ersten Jahre nach Ein¬
führung desselben kaum der zehnte Theil der Steuerpflichtigen die Selbst-
einschätzuug, jetzt nur der zwanzigste und man erzielt bet einer Bevölkerung
von 300,000 Seelen einen jährlichen Ertrag von 1^/2 Mill. Thlr. Auch in
Berlin ergab es sich, daß, als in diesem Sommer eine städtische Einkommen¬
steuer mit Selbstabschätzung veranlagt wurde, sofort 3000 Einwohner mit
einem Einkommen von mehr als 1000 Thlr. ermittelt wurden, welche bisher
keine Staatseinkommensteuer bezahlt hatten. Warum sollte also die Selbst¬
schätzung nicht für den Staat eingeführt werden können? Daß Unredlich¬
keiten vorkommen werden, ist nicht in Abrede zu stellen, aber bei welcher
Steuer ist das nicht der Fall? Und ist es denn nicht auch eine Unredlichkeit,
wenn nach dem jetzigen System wohlhabende Männer sich viel zu geringe
Schätzungen stillschweigend gefallen lassen? Ganz gewiß aber würde die
Mehrzahl derselben sich sehr besinnen, bei der Selbstschätzung falsche Angaben


selbständigen Familienglieder nicht zu berechnen, oder empfangene Natural¬
leistungen nicht zu veranschlagen, während doch der anerkannte Umfang des
Verbrauchs beweist, daß ein entsprechendes Einkommen vorhanden sein muß,
um diese Bedürfnisse bezahlen zu können. Ebenso zeigt die Erfahrung
daß eine weit größere Zahl der kleineren Steuerpflichtigen zu solchen absicht¬
lichen oder unbewußten Täuschungen weit weniger geneigt ist, sobald es sich,
nur darum handelt, in eine tiefere Steuerclasse zu kommen, als wenn es
möglich ist. ganz von der Steuer frei zu bleiben.

Die Einschätzung der niedrigsten Classen empfiehlt sich also gewiß. Alle
übrigen Pflichtigen werden zur Selbstschätzung nach bestem Wissen und Ge¬
wissen aufgefordert, kommen sie dieser Aufforderung nicht in einem bestimm¬
ten Termin nach, so werden sie von der Behörde eingeschätzt. Erscheint der¬
selben die Selbstschätzung zu gering, so ladet sie den Pflichtigen ein, um Auf¬
klärungen zu geben; wenn er dieser Aufforderung nicht Folge leistet, oder
seine Declaration nicht zu vertreten im Stande ist. kann die Behörde eine
Erhöhung der Selbstschätzung vornehmen. Man hat sehr richtig nicht die
Declaration auf Eid gefordert, einmal, weil es sich bei Schätzung des Ein¬
kommens oft um so verwickelte Verhältnisse handelt, daß es selbst einem ge¬
wissenhaften Manne nicht immer möglich sein wird, seine Angaben eidlich zu
bestärken, sodann weil, wenn die Behörde gegründete Zweifel hat. ob das
Einkommen genügend angegeben ist, ihre Erhöhung als Berichtigung des Irr¬
thums erscheint, während bei eidlicher Erklärung in diesem Falle nur übrig
bliebe, einen Meineidsproceß zu machen. Dies Verfahren schließt aber natür¬
lich nicht strafrechtliche Verfolgung bei wirklich vorliegendem Betrüge aus.
Mit diesem Modus, den wir hier in seinen Einzelheiten (z. B. der Berech¬
nung des Einkommens) nicht verfolgen können, hat man durchweg befriedi¬
gende Resultate erzielt. In Hamburg unterließ im ersten Jahre nach Ein¬
führung desselben kaum der zehnte Theil der Steuerpflichtigen die Selbst-
einschätzuug, jetzt nur der zwanzigste und man erzielt bet einer Bevölkerung
von 300,000 Seelen einen jährlichen Ertrag von 1^/2 Mill. Thlr. Auch in
Berlin ergab es sich, daß, als in diesem Sommer eine städtische Einkommen¬
steuer mit Selbstabschätzung veranlagt wurde, sofort 3000 Einwohner mit
einem Einkommen von mehr als 1000 Thlr. ermittelt wurden, welche bisher
keine Staatseinkommensteuer bezahlt hatten. Warum sollte also die Selbst¬
schätzung nicht für den Staat eingeführt werden können? Daß Unredlich¬
keiten vorkommen werden, ist nicht in Abrede zu stellen, aber bei welcher
Steuer ist das nicht der Fall? Und ist es denn nicht auch eine Unredlichkeit,
wenn nach dem jetzigen System wohlhabende Männer sich viel zu geringe
Schätzungen stillschweigend gefallen lassen? Ganz gewiß aber würde die
Mehrzahl derselben sich sehr besinnen, bei der Selbstschätzung falsche Angaben


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[0394] selbständigen Familienglieder nicht zu berechnen, oder empfangene Natural¬ leistungen nicht zu veranschlagen, während doch der anerkannte Umfang des Verbrauchs beweist, daß ein entsprechendes Einkommen vorhanden sein muß, um diese Bedürfnisse bezahlen zu können. Ebenso zeigt die Erfahrung daß eine weit größere Zahl der kleineren Steuerpflichtigen zu solchen absicht¬ lichen oder unbewußten Täuschungen weit weniger geneigt ist, sobald es sich, nur darum handelt, in eine tiefere Steuerclasse zu kommen, als wenn es möglich ist. ganz von der Steuer frei zu bleiben. Die Einschätzung der niedrigsten Classen empfiehlt sich also gewiß. Alle übrigen Pflichtigen werden zur Selbstschätzung nach bestem Wissen und Ge¬ wissen aufgefordert, kommen sie dieser Aufforderung nicht in einem bestimm¬ ten Termin nach, so werden sie von der Behörde eingeschätzt. Erscheint der¬ selben die Selbstschätzung zu gering, so ladet sie den Pflichtigen ein, um Auf¬ klärungen zu geben; wenn er dieser Aufforderung nicht Folge leistet, oder seine Declaration nicht zu vertreten im Stande ist. kann die Behörde eine Erhöhung der Selbstschätzung vornehmen. Man hat sehr richtig nicht die Declaration auf Eid gefordert, einmal, weil es sich bei Schätzung des Ein¬ kommens oft um so verwickelte Verhältnisse handelt, daß es selbst einem ge¬ wissenhaften Manne nicht immer möglich sein wird, seine Angaben eidlich zu bestärken, sodann weil, wenn die Behörde gegründete Zweifel hat. ob das Einkommen genügend angegeben ist, ihre Erhöhung als Berichtigung des Irr¬ thums erscheint, während bei eidlicher Erklärung in diesem Falle nur übrig bliebe, einen Meineidsproceß zu machen. Dies Verfahren schließt aber natür¬ lich nicht strafrechtliche Verfolgung bei wirklich vorliegendem Betrüge aus. Mit diesem Modus, den wir hier in seinen Einzelheiten (z. B. der Berech¬ nung des Einkommens) nicht verfolgen können, hat man durchweg befriedi¬ gende Resultate erzielt. In Hamburg unterließ im ersten Jahre nach Ein¬ führung desselben kaum der zehnte Theil der Steuerpflichtigen die Selbst- einschätzuug, jetzt nur der zwanzigste und man erzielt bet einer Bevölkerung von 300,000 Seelen einen jährlichen Ertrag von 1^/2 Mill. Thlr. Auch in Berlin ergab es sich, daß, als in diesem Sommer eine städtische Einkommen¬ steuer mit Selbstabschätzung veranlagt wurde, sofort 3000 Einwohner mit einem Einkommen von mehr als 1000 Thlr. ermittelt wurden, welche bisher keine Staatseinkommensteuer bezahlt hatten. Warum sollte also die Selbst¬ schätzung nicht für den Staat eingeführt werden können? Daß Unredlich¬ keiten vorkommen werden, ist nicht in Abrede zu stellen, aber bei welcher Steuer ist das nicht der Fall? Und ist es denn nicht auch eine Unredlichkeit, wenn nach dem jetzigen System wohlhabende Männer sich viel zu geringe Schätzungen stillschweigend gefallen lassen? Ganz gewiß aber würde die Mehrzahl derselben sich sehr besinnen, bei der Selbstschätzung falsche Angaben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/394>, abgerufen am 06.06.2024.