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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Du nur bist der würdige Dichter! es kommt dir auf eine
Platitüde nicht an, nur um natürlich zu seyn --

neben folgende Worte Schlegel's:


S. 338. Schiller und Goethe neben einander zu stellen, kann ebenso
lehrreich wie unterhaltend sein, wenn man nicht blos nach Antithesen
hascht, sondern nur zur bestimmteren Würdigung eines großen Mannes,
auch in die andere Schale der Wage ein mächtiges Gewicht legt. Es
wäre unbillig, jenen mit diesem, der fast nicht umhin kann, auch das
geringste in seiner Art rein zu vollenden, der mit bewundernswürdiger
Selbstbeherrschung, selbst auf die Gefahr uninteressant und
trivial zu sein, seinem bestimmten Zwecke treu bleibt, als Dichter
zu vergleichen. --

Auch dies Xenion ist nun nach Inhalt und Beziehung erklärt. Vor
Allem behält Goethe, wie Friedrich Schlegel meint, die Art und Natur des
Gegenstandes, den er sich einmal zur Darstellung gewählt hat, fest im Auge;
er entfernt sich nie von der natürlichen Wahrheit der Dinge; und um dieser
höchsten Pflicht des darstellenden Dichters treu zu bleiben, kommt es ihm
nicht darauf an, seine Poesie, wenn es der Stoff zu verlangen scheint, selbst
mit dem Unbedeutenden und Platten in Berührung zu bringen. Es gilt hier
nicht zu erörtern, ob in diesem Urtheil ein Körnchen Wahres enthalten sei;
wir müssen hier nur darauf sehen, wie gelegen dem Xeniendichter dieser
Ausspruch kam. Dieser Ausspruch brauchte nur um einen Ton verstärkt
zu werden, und er war dem Dichter alsdann ein bequemes Mittel, um dieser
neuen, so anspruchsvoll sich geberdenden Kritik zu beweisen, wie sehr es ihr
an innerer Consistenz und Folgerichtigkeit mangle. Denn dieser selbe Dichter,
dem hier ohne Scheu das Wort "trivial" entgegengehalten wird, dieser selbe
Dichter war ja, nach Schlegel's Ansicht, der Verkünder und Urheber einer
neuen herrlichen Epoche der Kunstbildung; vornehmlich in seinen Werken
sollte, nach eben dieser Ansicht, der deutschen Poesie die Verheißung einer
großen, reichen Zukunft und die Gewähr edler Selbständigkeit gegeben sein.
Hatte doch erst wenige Monate zuvor Friedrich Schlegel der deutschen Lese¬
welt einen Abschnitt aus seinem Werke über "die Griechen und Römer" vor¬
gelegt, der einer Schilderung des Goethe'schen Dichtercharakters gewidmet
war, -- einer Schilderung, in welcher die meisten der damaligen Leser nur
den maßlosen Ausdruck einer parteiischen, ins Ueberschwängliche gesteigerten
Bewunderung erblickten*). In der Meinung Vieler war Friedrich Schlegel



-) Und doch klang auch in diesen Prächtig tönenden Hymnus ein wohlberechneter Mißlaut
hinein. Wir finden da die Worte: "So gefällt er sich auch zu Zeiten in geringfügigen Stoff,
hie und da so dünne und gleichartig wird, als ginge er ernstlich damit um -- wie es
°in leeres Denken ohne Inhalt gibt -- ganz reine Gedichte ohne allen Stoff hervorzubringen." --
53*
Du nur bist der würdige Dichter! es kommt dir auf eine
Platitüde nicht an, nur um natürlich zu seyn —

neben folgende Worte Schlegel's:


S. 338. Schiller und Goethe neben einander zu stellen, kann ebenso
lehrreich wie unterhaltend sein, wenn man nicht blos nach Antithesen
hascht, sondern nur zur bestimmteren Würdigung eines großen Mannes,
auch in die andere Schale der Wage ein mächtiges Gewicht legt. Es
wäre unbillig, jenen mit diesem, der fast nicht umhin kann, auch das
geringste in seiner Art rein zu vollenden, der mit bewundernswürdiger
Selbstbeherrschung, selbst auf die Gefahr uninteressant und
trivial zu sein, seinem bestimmten Zwecke treu bleibt, als Dichter
zu vergleichen. —

Auch dies Xenion ist nun nach Inhalt und Beziehung erklärt. Vor
Allem behält Goethe, wie Friedrich Schlegel meint, die Art und Natur des
Gegenstandes, den er sich einmal zur Darstellung gewählt hat, fest im Auge;
er entfernt sich nie von der natürlichen Wahrheit der Dinge; und um dieser
höchsten Pflicht des darstellenden Dichters treu zu bleiben, kommt es ihm
nicht darauf an, seine Poesie, wenn es der Stoff zu verlangen scheint, selbst
mit dem Unbedeutenden und Platten in Berührung zu bringen. Es gilt hier
nicht zu erörtern, ob in diesem Urtheil ein Körnchen Wahres enthalten sei;
wir müssen hier nur darauf sehen, wie gelegen dem Xeniendichter dieser
Ausspruch kam. Dieser Ausspruch brauchte nur um einen Ton verstärkt
zu werden, und er war dem Dichter alsdann ein bequemes Mittel, um dieser
neuen, so anspruchsvoll sich geberdenden Kritik zu beweisen, wie sehr es ihr
an innerer Consistenz und Folgerichtigkeit mangle. Denn dieser selbe Dichter,
dem hier ohne Scheu das Wort „trivial" entgegengehalten wird, dieser selbe
Dichter war ja, nach Schlegel's Ansicht, der Verkünder und Urheber einer
neuen herrlichen Epoche der Kunstbildung; vornehmlich in seinen Werken
sollte, nach eben dieser Ansicht, der deutschen Poesie die Verheißung einer
großen, reichen Zukunft und die Gewähr edler Selbständigkeit gegeben sein.
Hatte doch erst wenige Monate zuvor Friedrich Schlegel der deutschen Lese¬
welt einen Abschnitt aus seinem Werke über „die Griechen und Römer" vor¬
gelegt, der einer Schilderung des Goethe'schen Dichtercharakters gewidmet
war, — einer Schilderung, in welcher die meisten der damaligen Leser nur
den maßlosen Ausdruck einer parteiischen, ins Ueberschwängliche gesteigerten
Bewunderung erblickten*). In der Meinung Vieler war Friedrich Schlegel



-) Und doch klang auch in diesen Prächtig tönenden Hymnus ein wohlberechneter Mißlaut
hinein. Wir finden da die Worte: „So gefällt er sich auch zu Zeiten in geringfügigen Stoff,
hie und da so dünne und gleichartig wird, als ginge er ernstlich damit um — wie es
°in leeres Denken ohne Inhalt gibt — ganz reine Gedichte ohne allen Stoff hervorzubringen." —
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[0427] Du nur bist der würdige Dichter! es kommt dir auf eine Platitüde nicht an, nur um natürlich zu seyn — neben folgende Worte Schlegel's: S. 338. Schiller und Goethe neben einander zu stellen, kann ebenso lehrreich wie unterhaltend sein, wenn man nicht blos nach Antithesen hascht, sondern nur zur bestimmteren Würdigung eines großen Mannes, auch in die andere Schale der Wage ein mächtiges Gewicht legt. Es wäre unbillig, jenen mit diesem, der fast nicht umhin kann, auch das geringste in seiner Art rein zu vollenden, der mit bewundernswürdiger Selbstbeherrschung, selbst auf die Gefahr uninteressant und trivial zu sein, seinem bestimmten Zwecke treu bleibt, als Dichter zu vergleichen. — Auch dies Xenion ist nun nach Inhalt und Beziehung erklärt. Vor Allem behält Goethe, wie Friedrich Schlegel meint, die Art und Natur des Gegenstandes, den er sich einmal zur Darstellung gewählt hat, fest im Auge; er entfernt sich nie von der natürlichen Wahrheit der Dinge; und um dieser höchsten Pflicht des darstellenden Dichters treu zu bleiben, kommt es ihm nicht darauf an, seine Poesie, wenn es der Stoff zu verlangen scheint, selbst mit dem Unbedeutenden und Platten in Berührung zu bringen. Es gilt hier nicht zu erörtern, ob in diesem Urtheil ein Körnchen Wahres enthalten sei; wir müssen hier nur darauf sehen, wie gelegen dem Xeniendichter dieser Ausspruch kam. Dieser Ausspruch brauchte nur um einen Ton verstärkt zu werden, und er war dem Dichter alsdann ein bequemes Mittel, um dieser neuen, so anspruchsvoll sich geberdenden Kritik zu beweisen, wie sehr es ihr an innerer Consistenz und Folgerichtigkeit mangle. Denn dieser selbe Dichter, dem hier ohne Scheu das Wort „trivial" entgegengehalten wird, dieser selbe Dichter war ja, nach Schlegel's Ansicht, der Verkünder und Urheber einer neuen herrlichen Epoche der Kunstbildung; vornehmlich in seinen Werken sollte, nach eben dieser Ansicht, der deutschen Poesie die Verheißung einer großen, reichen Zukunft und die Gewähr edler Selbständigkeit gegeben sein. Hatte doch erst wenige Monate zuvor Friedrich Schlegel der deutschen Lese¬ welt einen Abschnitt aus seinem Werke über „die Griechen und Römer" vor¬ gelegt, der einer Schilderung des Goethe'schen Dichtercharakters gewidmet war, — einer Schilderung, in welcher die meisten der damaligen Leser nur den maßlosen Ausdruck einer parteiischen, ins Ueberschwängliche gesteigerten Bewunderung erblickten*). In der Meinung Vieler war Friedrich Schlegel -) Und doch klang auch in diesen Prächtig tönenden Hymnus ein wohlberechneter Mißlaut hinein. Wir finden da die Worte: „So gefällt er sich auch zu Zeiten in geringfügigen Stoff, hie und da so dünne und gleichartig wird, als ginge er ernstlich damit um — wie es °in leeres Denken ohne Inhalt gibt — ganz reine Gedichte ohne allen Stoff hervorzubringen." — 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/427>, abgerufen am 13.05.2024.