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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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scheiterten an den exorbitanten Forderungen der Welfenregierung, welche
.alle Opfer Hamburg aufbürden und zum Lohne einen befestigten Brücken¬
kopf an der Stadt anlegen wollte. Das hat sich nun seit 1866 mit einem
Schlage geändert. In kürzester Frist sind die Verhandlungen über Herstellung
der Hamburg-Bremen-Kieler Bahn zum Abschluß gebracht, welche durch eine
rationell geführte, auf die Bedürfnisse des großen nationalen und internatio¬
nalen Handelsverkehrs berechnete Linie die unnatürlich verzerrten Maschen
des weiland hannoverschen Eisenbahnnetzes, mit seinem "Knotenpunkt" Lehrte
durchschneidet. In wenig Jahren wird der Zustand aufgehört haben, den
man Ausländern kaum eingestehen möchte,, daß^ den beiden ersten Handels¬
städten Deutschlands eine Schienenverbindung fehlte; andererseits wird auch
Bremen durch die Jnsterburg-Wittenberger Bahn eine directe Verbindung
mit Berlin und seinem großen Hinterkante erhalten. Mit dieser Freiheit des
Verkehrs, mit der Möglichkeit überall die geradesten Wege wählen zu können.
-- wodurch beiläufig bemerkt auch der deutschen, namentlich der westphälischen
Kohlenindustrie erst der rechte Abzug gesichert wird, -- erachten wir die Zu¬
kunft der commerziellen Bedeutung Hamburgs entschieden. Die alten Vor¬
züge unserer von der Natur so hoch begünstigten Oertlichkeit, welche man ein¬
zubüßen fürchten mußte, so lange das deutsche Eisenbahnwesen von kleinstaat¬
lichen Sonderinteressen beherrscht ward, sind jetzt wieder in ihre Rechte ein¬
gesetzt und es wird sich hier eine Vereinigung natürlicher und künstlicher
Verkehrswege herausbilden, die kaum anderswo erreicht, gewiß nicht leicht
übertreffen werden wird. Nimmt man dazu die großen Capitalien, unter
denen das geistige Capital kaufmännischer Einsicht und Erfahrung kaum von
minderem Werthe ist als das Geld, so darf man sicher hoffen, daß der
Schwerpunkt des deutschen und nordischen Waarengroßhandels, wenn er nicht
schon in Hamburg liegt, mehr und mehr dahin verlegt werden wird.

Der Gesichtspunkt, der steigenden Handelsgröße Hamburgs allen mög¬
lichen Vorschub zu leisten, wird auch unsere Regierungsbehörden voraussicht¬
lich abhalten, dem Antrage der Bürgerschaft zuzustimmen, welche wünscht,
daß das dem Staate gehörende Areal auf dem südlichen Elbufer, dem sog.
kleinen Grasbrook, und den Inseln Steinmarder und Peddel successive zum
Verkauf gebracht werden möge Die dieses Gebiet bildenden Plätze waren bisher
in Zeitpacht gegeben und es läßt sich nicht bezweifeln, daß durch den Ver¬
kauf desselben, welcher dem Staat zugleich wieder Grundsteuereinnahmen
bringen würde, ein beträchtlich höherer Ertrag erzielt werden könnte. Aber
wie uns scheint, sollte man um dieses augenblicklichen Vortheils willen nicht
ein Gebiet aus der Hand geben, dessen Erhaltung im Staatsbesitz wesentlich
auf die Entwickelung des Hamburgischen Handels einwirken muß. Der
Massenveikehr nämlich erträgt bei der gleichzeitig wachsenden Concurrenz


scheiterten an den exorbitanten Forderungen der Welfenregierung, welche
.alle Opfer Hamburg aufbürden und zum Lohne einen befestigten Brücken¬
kopf an der Stadt anlegen wollte. Das hat sich nun seit 1866 mit einem
Schlage geändert. In kürzester Frist sind die Verhandlungen über Herstellung
der Hamburg-Bremen-Kieler Bahn zum Abschluß gebracht, welche durch eine
rationell geführte, auf die Bedürfnisse des großen nationalen und internatio¬
nalen Handelsverkehrs berechnete Linie die unnatürlich verzerrten Maschen
des weiland hannoverschen Eisenbahnnetzes, mit seinem „Knotenpunkt" Lehrte
durchschneidet. In wenig Jahren wird der Zustand aufgehört haben, den
man Ausländern kaum eingestehen möchte,, daß^ den beiden ersten Handels¬
städten Deutschlands eine Schienenverbindung fehlte; andererseits wird auch
Bremen durch die Jnsterburg-Wittenberger Bahn eine directe Verbindung
mit Berlin und seinem großen Hinterkante erhalten. Mit dieser Freiheit des
Verkehrs, mit der Möglichkeit überall die geradesten Wege wählen zu können.
— wodurch beiläufig bemerkt auch der deutschen, namentlich der westphälischen
Kohlenindustrie erst der rechte Abzug gesichert wird, — erachten wir die Zu¬
kunft der commerziellen Bedeutung Hamburgs entschieden. Die alten Vor¬
züge unserer von der Natur so hoch begünstigten Oertlichkeit, welche man ein¬
zubüßen fürchten mußte, so lange das deutsche Eisenbahnwesen von kleinstaat¬
lichen Sonderinteressen beherrscht ward, sind jetzt wieder in ihre Rechte ein¬
gesetzt und es wird sich hier eine Vereinigung natürlicher und künstlicher
Verkehrswege herausbilden, die kaum anderswo erreicht, gewiß nicht leicht
übertreffen werden wird. Nimmt man dazu die großen Capitalien, unter
denen das geistige Capital kaufmännischer Einsicht und Erfahrung kaum von
minderem Werthe ist als das Geld, so darf man sicher hoffen, daß der
Schwerpunkt des deutschen und nordischen Waarengroßhandels, wenn er nicht
schon in Hamburg liegt, mehr und mehr dahin verlegt werden wird.

Der Gesichtspunkt, der steigenden Handelsgröße Hamburgs allen mög¬
lichen Vorschub zu leisten, wird auch unsere Regierungsbehörden voraussicht¬
lich abhalten, dem Antrage der Bürgerschaft zuzustimmen, welche wünscht,
daß das dem Staate gehörende Areal auf dem südlichen Elbufer, dem sog.
kleinen Grasbrook, und den Inseln Steinmarder und Peddel successive zum
Verkauf gebracht werden möge Die dieses Gebiet bildenden Plätze waren bisher
in Zeitpacht gegeben und es läßt sich nicht bezweifeln, daß durch den Ver¬
kauf desselben, welcher dem Staat zugleich wieder Grundsteuereinnahmen
bringen würde, ein beträchtlich höherer Ertrag erzielt werden könnte. Aber
wie uns scheint, sollte man um dieses augenblicklichen Vortheils willen nicht
ein Gebiet aus der Hand geben, dessen Erhaltung im Staatsbesitz wesentlich
auf die Entwickelung des Hamburgischen Handels einwirken muß. Der
Massenveikehr nämlich erträgt bei der gleichzeitig wachsenden Concurrenz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/430>, abgerufen am 26.05.2024.