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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Können sie doch immerhin noch etwas mehr, als das bestcomponirte Con-
sistorium und der wohlgesinnteste Minister; müssen ihrer Majorität doch auch
die Liberalen sich fügen, welche der Autorität bureaukratisch-theologischer Be¬
hörden den Gehorsam aufgekündigt haben, und trägt diese Majorität doch
eine so erfreulich harmonisch tiefschwarze Farbe.

Wenn der Ausfall der ersten Synodalwahlen demnach die alten Gegner
kirchlicher Repräsentativverfassung in größerem oder geringerem Umfang zu
bekehren verspricht, so braucht er ihre Freunde und Erkämpfer darum nicht
zu entmuthigen. Sie haben es im Grunde ja nicht anders erwarten können.
So gut sie wußten, daß nur ein verschwindend kleiner Theil der Gebildeten
in den Gemeinden der Schalmei jener altgläubigen Hirten noch folgte, so
wenig war ihnen doch verborgen, daß der ganze große Nest zunächst nur
negativ mit ihnen war, nur in der Perhorrescirung hierarchischen Regiments
und starrer zwangsweiser Rechtgläubigkeit, nicht aber in positiver Erstrebung
der Reform. Ihre Rechnung konnte daher nicht auf unmittelbare Früchte
der Einführung der Synodalverfassung gerichtet sein, sondern nur auf mittel¬
bare. Nicht daß dieser Act in gewaltigem Umschwunge sofort alle er¬
wünschte Freiheit nach sich ziehen und für immer befestigen werde, durften
sie annehmen, fondern nur, daß er früher oder später mit Gewißheit das
evangelische Volk in hinlänglich starke und nachhaltige Bewegung setzen werde,
um sich der ihm zukommenden Freiheit Stück vor Stück selbst zu bemächtigen.
Das war die Tendenz des liberalen Kampfes für Kirchensynoden, und das
wird eintreffen, trifft ersichtlich bereits ein. Die Verhandlungen der Synoden
entwickeln eine ganz andere Macht, die Gemüther aufzuregen, die Gleich-
giltigen zu fesseln und die Lauer zu erwärmen, als gelegentliche brutale oder
perfide Acte der Consistorien konnten. Schon weil auf den Synoden auch
das rücksichtsloseste hohepriesterliche Extrem, von politischer Erwägung nicht
im Zaume gehalten, zu Worte kommt, wird durch sie im Volk die gesunde
Leidenschaft wachgerufen, welche die Consistortalvolitik mit dem Mohnsast
ihrer jesuitischen Umschweife und Verdrehungen stets wieder zu betäuben
wußte. Zugleich lernen die Gemeinden ihre kirchlichen Fürsprecher und An¬
wälte kennen; ja solche bilden sich erst in größerer Zahl, seitdem es für den
ehrlichen Kampf der Gründe eine geeignete öffentliche Stätte gibt, seitdem
für consequente practische Agitation eine entsprechende Prämie ausgesetzt ist:
die gesetzliche Macht der Mehrheit auf der Synode.

Es kann natürlich nicht fehlen, daß auch die dermaligen Inhaber der
Gewalt diesen Gang der Dinge ahnend voraussehen und ihm Steine in den
Weg zu wälzen suchen. So hat die pommersche Provinzialsynode, auf der
überhaupt das exclusive Lutherthum seine ausgelassensten Orgien feierte, die
Oeffentlichkeit von ihren Berathungen ausgesperrt; der bekannte Herr v.


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Können sie doch immerhin noch etwas mehr, als das bestcomponirte Con-
sistorium und der wohlgesinnteste Minister; müssen ihrer Majorität doch auch
die Liberalen sich fügen, welche der Autorität bureaukratisch-theologischer Be¬
hörden den Gehorsam aufgekündigt haben, und trägt diese Majorität doch
eine so erfreulich harmonisch tiefschwarze Farbe.

Wenn der Ausfall der ersten Synodalwahlen demnach die alten Gegner
kirchlicher Repräsentativverfassung in größerem oder geringerem Umfang zu
bekehren verspricht, so braucht er ihre Freunde und Erkämpfer darum nicht
zu entmuthigen. Sie haben es im Grunde ja nicht anders erwarten können.
So gut sie wußten, daß nur ein verschwindend kleiner Theil der Gebildeten
in den Gemeinden der Schalmei jener altgläubigen Hirten noch folgte, so
wenig war ihnen doch verborgen, daß der ganze große Nest zunächst nur
negativ mit ihnen war, nur in der Perhorrescirung hierarchischen Regiments
und starrer zwangsweiser Rechtgläubigkeit, nicht aber in positiver Erstrebung
der Reform. Ihre Rechnung konnte daher nicht auf unmittelbare Früchte
der Einführung der Synodalverfassung gerichtet sein, sondern nur auf mittel¬
bare. Nicht daß dieser Act in gewaltigem Umschwunge sofort alle er¬
wünschte Freiheit nach sich ziehen und für immer befestigen werde, durften
sie annehmen, fondern nur, daß er früher oder später mit Gewißheit das
evangelische Volk in hinlänglich starke und nachhaltige Bewegung setzen werde,
um sich der ihm zukommenden Freiheit Stück vor Stück selbst zu bemächtigen.
Das war die Tendenz des liberalen Kampfes für Kirchensynoden, und das
wird eintreffen, trifft ersichtlich bereits ein. Die Verhandlungen der Synoden
entwickeln eine ganz andere Macht, die Gemüther aufzuregen, die Gleich-
giltigen zu fesseln und die Lauer zu erwärmen, als gelegentliche brutale oder
perfide Acte der Consistorien konnten. Schon weil auf den Synoden auch
das rücksichtsloseste hohepriesterliche Extrem, von politischer Erwägung nicht
im Zaume gehalten, zu Worte kommt, wird durch sie im Volk die gesunde
Leidenschaft wachgerufen, welche die Consistortalvolitik mit dem Mohnsast
ihrer jesuitischen Umschweife und Verdrehungen stets wieder zu betäuben
wußte. Zugleich lernen die Gemeinden ihre kirchlichen Fürsprecher und An¬
wälte kennen; ja solche bilden sich erst in größerer Zahl, seitdem es für den
ehrlichen Kampf der Gründe eine geeignete öffentliche Stätte gibt, seitdem
für consequente practische Agitation eine entsprechende Prämie ausgesetzt ist:
die gesetzliche Macht der Mehrheit auf der Synode.

Es kann natürlich nicht fehlen, daß auch die dermaligen Inhaber der
Gewalt diesen Gang der Dinge ahnend voraussehen und ihm Steine in den
Weg zu wälzen suchen. So hat die pommersche Provinzialsynode, auf der
überhaupt das exclusive Lutherthum seine ausgelassensten Orgien feierte, die
Oeffentlichkeit von ihren Berathungen ausgesperrt; der bekannte Herr v.


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[0451] Können sie doch immerhin noch etwas mehr, als das bestcomponirte Con- sistorium und der wohlgesinnteste Minister; müssen ihrer Majorität doch auch die Liberalen sich fügen, welche der Autorität bureaukratisch-theologischer Be¬ hörden den Gehorsam aufgekündigt haben, und trägt diese Majorität doch eine so erfreulich harmonisch tiefschwarze Farbe. Wenn der Ausfall der ersten Synodalwahlen demnach die alten Gegner kirchlicher Repräsentativverfassung in größerem oder geringerem Umfang zu bekehren verspricht, so braucht er ihre Freunde und Erkämpfer darum nicht zu entmuthigen. Sie haben es im Grunde ja nicht anders erwarten können. So gut sie wußten, daß nur ein verschwindend kleiner Theil der Gebildeten in den Gemeinden der Schalmei jener altgläubigen Hirten noch folgte, so wenig war ihnen doch verborgen, daß der ganze große Nest zunächst nur negativ mit ihnen war, nur in der Perhorrescirung hierarchischen Regiments und starrer zwangsweiser Rechtgläubigkeit, nicht aber in positiver Erstrebung der Reform. Ihre Rechnung konnte daher nicht auf unmittelbare Früchte der Einführung der Synodalverfassung gerichtet sein, sondern nur auf mittel¬ bare. Nicht daß dieser Act in gewaltigem Umschwunge sofort alle er¬ wünschte Freiheit nach sich ziehen und für immer befestigen werde, durften sie annehmen, fondern nur, daß er früher oder später mit Gewißheit das evangelische Volk in hinlänglich starke und nachhaltige Bewegung setzen werde, um sich der ihm zukommenden Freiheit Stück vor Stück selbst zu bemächtigen. Das war die Tendenz des liberalen Kampfes für Kirchensynoden, und das wird eintreffen, trifft ersichtlich bereits ein. Die Verhandlungen der Synoden entwickeln eine ganz andere Macht, die Gemüther aufzuregen, die Gleich- giltigen zu fesseln und die Lauer zu erwärmen, als gelegentliche brutale oder perfide Acte der Consistorien konnten. Schon weil auf den Synoden auch das rücksichtsloseste hohepriesterliche Extrem, von politischer Erwägung nicht im Zaume gehalten, zu Worte kommt, wird durch sie im Volk die gesunde Leidenschaft wachgerufen, welche die Consistortalvolitik mit dem Mohnsast ihrer jesuitischen Umschweife und Verdrehungen stets wieder zu betäuben wußte. Zugleich lernen die Gemeinden ihre kirchlichen Fürsprecher und An¬ wälte kennen; ja solche bilden sich erst in größerer Zahl, seitdem es für den ehrlichen Kampf der Gründe eine geeignete öffentliche Stätte gibt, seitdem für consequente practische Agitation eine entsprechende Prämie ausgesetzt ist: die gesetzliche Macht der Mehrheit auf der Synode. Es kann natürlich nicht fehlen, daß auch die dermaligen Inhaber der Gewalt diesen Gang der Dinge ahnend voraussehen und ihm Steine in den Weg zu wälzen suchen. So hat die pommersche Provinzialsynode, auf der überhaupt das exclusive Lutherthum seine ausgelassensten Orgien feierte, die Oeffentlichkeit von ihren Berathungen ausgesperrt; der bekannte Herr v. 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/451>, abgerufen am 23.05.2024.