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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Roman, der einmal den Grafen Bismarck wegen seines mangelhaften Kir¬
chenbesuchs zu interpelliren sich herausnahm, machte mit irgend einem Geistes¬
verwandten einen höchst dürftigen Auszug der Verhandlungen zurecht, der
dann in die Presse wandert. Allein was ist die Folge? Daß Synoden, auf
denen die liberalen Ideen stärker vertreten sind, für ihre freisinnigen ge¬
färbten Discussionen mehr Leser finden, als die pommerschen Altlutheraner
während die Gegenstände der Verhandlung doch fast durchweg dieselben sind.
Wir prophezeien daher, daß der dünne Roman'sche Extract seinen Bestellern
selbst nicht mehr lange genügen wird, sie vielmehr bald wünschen werden,
den Argumenten der Unions-Freunde und Protestantenvereins-Genossen die
ihrigen in gleich weiter Oeffentlichkeit entgegengesetzt zu sehen. Der Parla¬
mentarismus ist nun einmal eine schiefe Ebene, auf der der gewandteste
scholastische Seiltänzer und sogar die nägelbeschlagenen Schuhe des hinter-
pommerschen Landpastors es schwer finden werden nach Belieben anzu¬
halten.

Destillirt wie die Provinzialsynoden sind aus einem Wahlverfahren, das
jedes je erlebte ständisch-politische an Engherzigkeit übertrifft, haben sie aus
dem Schooße der Gemeinden und von einzelnen unbenebelten Köpfen in ihrer
Mitte Proteste dagegen hervorgerufen, daß sie eine echte kirchliche Volksver¬
tretung seien. Insoweit diese Proteste von Mitgliedern ausgehen, wie z. B.
dem vortrefflichen Prediger Thomas in Berlin, appelliren sie von dem geist¬
lich geschulten Häuflein Laien an das gesammte evangelische Volk. Insofern
sie von außerhalb stammen, sind sie das erste erfreuliche Zeichen, daß man
sich bei späteren Wahlen besser rühren will. Beide Arten von Verwahrungen
können der Regierung die Richtung angeben, in welcher sie demnächst das
Product der Provinzialsynoden, den Durchschnitt aus ihren unmaßgeblichen
Gutachten zur Kirchenreform zu verbessern haben wird, wenn sie ein irgend
dauerhaftes Werk zu schaffen wünscht. Sollte freilich Herr v. Muster noch
Cultusminister sein, wenn diese Arbeit vorgenommen werden muß, so würde
man wohl selbst in Cassel nicht viel Gutes erwarten. Er würde sich dann
ohne Zweifel mit weiser Ueberlegenheit zwischen seine eigenen Vorschläge und
den Oberkirchenrath auf der einen, die Heißsporne der confessionellen Ortho¬
doxie auf der andern Seite stellen, und aus den Ideen beider Seiten ein
Gebräu zurechtmischen, das Jedem gleichmäßig übel machte. Allein wir denken,
mit der gegenwärtigen Session des Abgeordnetenhauses ist das Muster'sche
System in das Stadium der schleichenden Auflösung getreten. Mag dieses
Stadium längere oder kürzere Zeit dauern, -- sein Ausgang ist zweifellos.




Roman, der einmal den Grafen Bismarck wegen seines mangelhaften Kir¬
chenbesuchs zu interpelliren sich herausnahm, machte mit irgend einem Geistes¬
verwandten einen höchst dürftigen Auszug der Verhandlungen zurecht, der
dann in die Presse wandert. Allein was ist die Folge? Daß Synoden, auf
denen die liberalen Ideen stärker vertreten sind, für ihre freisinnigen ge¬
färbten Discussionen mehr Leser finden, als die pommerschen Altlutheraner
während die Gegenstände der Verhandlung doch fast durchweg dieselben sind.
Wir prophezeien daher, daß der dünne Roman'sche Extract seinen Bestellern
selbst nicht mehr lange genügen wird, sie vielmehr bald wünschen werden,
den Argumenten der Unions-Freunde und Protestantenvereins-Genossen die
ihrigen in gleich weiter Oeffentlichkeit entgegengesetzt zu sehen. Der Parla¬
mentarismus ist nun einmal eine schiefe Ebene, auf der der gewandteste
scholastische Seiltänzer und sogar die nägelbeschlagenen Schuhe des hinter-
pommerschen Landpastors es schwer finden werden nach Belieben anzu¬
halten.

Destillirt wie die Provinzialsynoden sind aus einem Wahlverfahren, das
jedes je erlebte ständisch-politische an Engherzigkeit übertrifft, haben sie aus
dem Schooße der Gemeinden und von einzelnen unbenebelten Köpfen in ihrer
Mitte Proteste dagegen hervorgerufen, daß sie eine echte kirchliche Volksver¬
tretung seien. Insoweit diese Proteste von Mitgliedern ausgehen, wie z. B.
dem vortrefflichen Prediger Thomas in Berlin, appelliren sie von dem geist¬
lich geschulten Häuflein Laien an das gesammte evangelische Volk. Insofern
sie von außerhalb stammen, sind sie das erste erfreuliche Zeichen, daß man
sich bei späteren Wahlen besser rühren will. Beide Arten von Verwahrungen
können der Regierung die Richtung angeben, in welcher sie demnächst das
Product der Provinzialsynoden, den Durchschnitt aus ihren unmaßgeblichen
Gutachten zur Kirchenreform zu verbessern haben wird, wenn sie ein irgend
dauerhaftes Werk zu schaffen wünscht. Sollte freilich Herr v. Muster noch
Cultusminister sein, wenn diese Arbeit vorgenommen werden muß, so würde
man wohl selbst in Cassel nicht viel Gutes erwarten. Er würde sich dann
ohne Zweifel mit weiser Ueberlegenheit zwischen seine eigenen Vorschläge und
den Oberkirchenrath auf der einen, die Heißsporne der confessionellen Ortho¬
doxie auf der andern Seite stellen, und aus den Ideen beider Seiten ein
Gebräu zurechtmischen, das Jedem gleichmäßig übel machte. Allein wir denken,
mit der gegenwärtigen Session des Abgeordnetenhauses ist das Muster'sche
System in das Stadium der schleichenden Auflösung getreten. Mag dieses
Stadium längere oder kürzere Zeit dauern, — sein Ausgang ist zweifellos.




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[0452] Roman, der einmal den Grafen Bismarck wegen seines mangelhaften Kir¬ chenbesuchs zu interpelliren sich herausnahm, machte mit irgend einem Geistes¬ verwandten einen höchst dürftigen Auszug der Verhandlungen zurecht, der dann in die Presse wandert. Allein was ist die Folge? Daß Synoden, auf denen die liberalen Ideen stärker vertreten sind, für ihre freisinnigen ge¬ färbten Discussionen mehr Leser finden, als die pommerschen Altlutheraner während die Gegenstände der Verhandlung doch fast durchweg dieselben sind. Wir prophezeien daher, daß der dünne Roman'sche Extract seinen Bestellern selbst nicht mehr lange genügen wird, sie vielmehr bald wünschen werden, den Argumenten der Unions-Freunde und Protestantenvereins-Genossen die ihrigen in gleich weiter Oeffentlichkeit entgegengesetzt zu sehen. Der Parla¬ mentarismus ist nun einmal eine schiefe Ebene, auf der der gewandteste scholastische Seiltänzer und sogar die nägelbeschlagenen Schuhe des hinter- pommerschen Landpastors es schwer finden werden nach Belieben anzu¬ halten. Destillirt wie die Provinzialsynoden sind aus einem Wahlverfahren, das jedes je erlebte ständisch-politische an Engherzigkeit übertrifft, haben sie aus dem Schooße der Gemeinden und von einzelnen unbenebelten Köpfen in ihrer Mitte Proteste dagegen hervorgerufen, daß sie eine echte kirchliche Volksver¬ tretung seien. Insoweit diese Proteste von Mitgliedern ausgehen, wie z. B. dem vortrefflichen Prediger Thomas in Berlin, appelliren sie von dem geist¬ lich geschulten Häuflein Laien an das gesammte evangelische Volk. Insofern sie von außerhalb stammen, sind sie das erste erfreuliche Zeichen, daß man sich bei späteren Wahlen besser rühren will. Beide Arten von Verwahrungen können der Regierung die Richtung angeben, in welcher sie demnächst das Product der Provinzialsynoden, den Durchschnitt aus ihren unmaßgeblichen Gutachten zur Kirchenreform zu verbessern haben wird, wenn sie ein irgend dauerhaftes Werk zu schaffen wünscht. Sollte freilich Herr v. Muster noch Cultusminister sein, wenn diese Arbeit vorgenommen werden muß, so würde man wohl selbst in Cassel nicht viel Gutes erwarten. Er würde sich dann ohne Zweifel mit weiser Ueberlegenheit zwischen seine eigenen Vorschläge und den Oberkirchenrath auf der einen, die Heißsporne der confessionellen Ortho¬ doxie auf der andern Seite stellen, und aus den Ideen beider Seiten ein Gebräu zurechtmischen, das Jedem gleichmäßig übel machte. Allein wir denken, mit der gegenwärtigen Session des Abgeordnetenhauses ist das Muster'sche System in das Stadium der schleichenden Auflösung getreten. Mag dieses Stadium längere oder kürzere Zeit dauern, — sein Ausgang ist zweifellos.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/452>, abgerufen am 12.05.2024.