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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zur Wahlurne. Der Bauer ist an sich ziemlich gleichgiltig gegen die eigent¬
liche Politik, ob Guizot oder Thiörs, Rouher oder Ollivier Minister sind,
ob Preß- und Vereinsfreiheit herrschen oder nicht, bekümmert ihn wenig, er
hat uur zwei Interessen, seinen ländlichen Besitz und den Ruhm Frankreichs.
Bei der Invasion einer fremden Armee könnte jede Regierung auf die
bäuerliche Bevölkerung zählen, die Mehrzahl ist selbst Soldat gewesen oder
hat Angehörige im Heere. Die kleinliche auswärtige Politik der Julimonarchie
schadete dieser deshalb auf dem Lande mehr als die parlamentarische Freiheit
dort ihr nützte, weil der Bauer von jenen Kämpfen der Herren in Paris
nichts verstand; er bezahlte so viel Steuern wie zuvor und wurde von den
Präfekten so gemaßregelt wie sonst, aber er hatte mit dem ganzen Lande das
Gefühl, daß Frankreich nach außen hin nicht die Stellung einnehme, die
ihm gebühre, er sah deshalb die Julimonarchie ohne Bedauern fallen, nahm
aber auch die von ihm nicht verlangte, in Paris improvisirte Republik
gleichgiltig auf. Diese Gleichgültigkeit verkehrte sich sofort in Feindschaft als die
socialistische Partei, die treibende Kraft der Revolution, ihre Fahne ent¬
faltete. Nachdem das I. 1789 ihm gegeben, was das Ziel seiner Wünsche
war, freien Grundbesitz, fürchtet er von jeder Revolution Gefährdung
dieser Errungenschaft. Was helfen ihm die tönenden Reden von Gleich¬
heit und Brüderlichkeit, was Freiheitsbäume und Nationalwerkstätten? und
er fühlte die Segnungen der Republik nur in der Form der Zuschlag¬
steuer und des stockenden Absatzes seiner Producte. Er brauchte also sofort
das Wahlrecht, welches ihm die Revolution bescheerte, gegen die Republik, er
sandte die conservative Majorität in die Constituante, wählte den Erben der
napoleonischen Legende und ratificirte den Staatsstreich, denn er wollte eine
starke Regierung; Louis Napoleon ist Kaiser der Bauern, die seitdem zu ihm
gehalten haben. Es ist daher von ernster Bedeutung, daß sich bei den letzten
Wahlen manche bäuerliche Wahlkreise gegen die Kandidaten der Präfekten
entschieden, während sie früher unbedingt für dieselben stimmten; es zeigt,
daß die Regierung den Bogen überspannt hat, viel versprochen, wenig ge¬
halten, große Niederlagen nach Außen erlitten, leichtsinnig mit den Finanzen
gewirthschaftet hat. Die Gleichgiltigkeit beginnt zu weichen und es scheint
eine Art Bewegung in die conservativ - träge Schicht der ländlichen Wähler zu
kommen; man fängt an, sich ernstlich um ihre Gunst zu bewerben, die demo¬
kratischen Kandidaten wiederholen ihnen unaufhörlich, daß sie ihr Loos in
den eigenen Händen haben, daß es nur von ihren Wahlen abhänge, weniger
Steuern zu zahlen und weniger Rekruten zu stellen. Wie sich die Dinge
gestalten werden, wenn die offiziellen Candidaten aufgegeben werden müssen
und die Opposition mit freiem Vereinsrecht um die Stimmen der ländlichen
Distrikte wirbt, läßt sich noch nicht sagen, Pre'post-Paradol aber macht aus


zur Wahlurne. Der Bauer ist an sich ziemlich gleichgiltig gegen die eigent¬
liche Politik, ob Guizot oder Thiörs, Rouher oder Ollivier Minister sind,
ob Preß- und Vereinsfreiheit herrschen oder nicht, bekümmert ihn wenig, er
hat uur zwei Interessen, seinen ländlichen Besitz und den Ruhm Frankreichs.
Bei der Invasion einer fremden Armee könnte jede Regierung auf die
bäuerliche Bevölkerung zählen, die Mehrzahl ist selbst Soldat gewesen oder
hat Angehörige im Heere. Die kleinliche auswärtige Politik der Julimonarchie
schadete dieser deshalb auf dem Lande mehr als die parlamentarische Freiheit
dort ihr nützte, weil der Bauer von jenen Kämpfen der Herren in Paris
nichts verstand; er bezahlte so viel Steuern wie zuvor und wurde von den
Präfekten so gemaßregelt wie sonst, aber er hatte mit dem ganzen Lande das
Gefühl, daß Frankreich nach außen hin nicht die Stellung einnehme, die
ihm gebühre, er sah deshalb die Julimonarchie ohne Bedauern fallen, nahm
aber auch die von ihm nicht verlangte, in Paris improvisirte Republik
gleichgiltig auf. Diese Gleichgültigkeit verkehrte sich sofort in Feindschaft als die
socialistische Partei, die treibende Kraft der Revolution, ihre Fahne ent¬
faltete. Nachdem das I. 1789 ihm gegeben, was das Ziel seiner Wünsche
war, freien Grundbesitz, fürchtet er von jeder Revolution Gefährdung
dieser Errungenschaft. Was helfen ihm die tönenden Reden von Gleich¬
heit und Brüderlichkeit, was Freiheitsbäume und Nationalwerkstätten? und
er fühlte die Segnungen der Republik nur in der Form der Zuschlag¬
steuer und des stockenden Absatzes seiner Producte. Er brauchte also sofort
das Wahlrecht, welches ihm die Revolution bescheerte, gegen die Republik, er
sandte die conservative Majorität in die Constituante, wählte den Erben der
napoleonischen Legende und ratificirte den Staatsstreich, denn er wollte eine
starke Regierung; Louis Napoleon ist Kaiser der Bauern, die seitdem zu ihm
gehalten haben. Es ist daher von ernster Bedeutung, daß sich bei den letzten
Wahlen manche bäuerliche Wahlkreise gegen die Kandidaten der Präfekten
entschieden, während sie früher unbedingt für dieselben stimmten; es zeigt,
daß die Regierung den Bogen überspannt hat, viel versprochen, wenig ge¬
halten, große Niederlagen nach Außen erlitten, leichtsinnig mit den Finanzen
gewirthschaftet hat. Die Gleichgiltigkeit beginnt zu weichen und es scheint
eine Art Bewegung in die conservativ - träge Schicht der ländlichen Wähler zu
kommen; man fängt an, sich ernstlich um ihre Gunst zu bewerben, die demo¬
kratischen Kandidaten wiederholen ihnen unaufhörlich, daß sie ihr Loos in
den eigenen Händen haben, daß es nur von ihren Wahlen abhänge, weniger
Steuern zu zahlen und weniger Rekruten zu stellen. Wie sich die Dinge
gestalten werden, wenn die offiziellen Candidaten aufgegeben werden müssen
und die Opposition mit freiem Vereinsrecht um die Stimmen der ländlichen
Distrikte wirbt, läßt sich noch nicht sagen, Pre'post-Paradol aber macht aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/474>, abgerufen am 06.06.2024.