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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Wirkung der Concurrenz sie bald ausmerzen und nur die rücksichtsloseren
zurücklassen.

Die Hilfe steht theils beim Publicum. theils beim Staat. Das Publi-
cum muß sich gewöhnen, nicht blos auf die geschwindeste, sondern auf die
zugleich geschwindeste und sicherste Fahrt Gewicht zu legen. Der Staat
ist zweifältig interessirt, als Inhaber der PostVerwaltung und als Wächter
des Rechts. In seiner ersteren Eigenschaft muß er es aufgeben, die Beför¬
derungsverträge allemal einfach mit derjenigen Linie abzuschließen, deren
Schiffe am schnellsten fahren; er muß in geeigneter Form zugleich ein sicheres,
vorsichtiges Fahren ausbedingen. Er am wenigsten ist befugt, über die
Sorge für promptest mögliche Beförderung von Briefen und Packeten die
Rücksicht auf die Gefährdung oder Sicherung von Menschenleben ganz außer
Acht zu lassen. Als Wächter des Rechts aber muß er darauf Bedacht neh¬
men, unmittelbar dem Capitän, mittelbar zugleich dem Rheder Vorsicht ein¬
zuschärfen, indem er jenen und subsidiarisch diesen ebenfalls zum Schadenersatz
für frevelhaft geopferte Leben oder gesunde Glieder von Mitmenschen heran¬
zieht. Die Sachverständigen stimmen ziemlich darin überein, daß dies das
wirksamste Mittel sein würde, um die vermeidlichen Dampfschissunfälle, Col-
lisionen mit Segelschiffen natürlich eingeschlossen, auf das niedrigste Maß
herabzudrücken. Man darf uns deshalb nicht auf das Handelsgesetzbuch ver¬
weisen, dessen vage Bestimmungen nach dieser Seite hin ohne allen Erfolg
geblieben sind, sondern man muß -- eher noch, als für Eisenbahnen, Berg¬
werke und Fabriken -- für diese Art von Unfällen eine erfolgreich geltend
zu machende Verantwortlichkeit statuiren-

Dazu ist es allerdings nicht unbedingt nöthig, daß das erwähnte, vom
Justizausschuß des Bundesraths in den Grundzügen vorgeschlagene Haftbarkeits¬
gesetz auf Seeschiffe ausgedehnt werde. Es läßt sich auch im Zusammenhang
mit der Bundes-Seemcmnsordnung thun, welche durch die seit längerer Zeit
bereits bestehende Gemeinschaft der deutschen Handelsflagge ohnehin eine Noth¬
wendigkeit geworden ist. Zu einem solchen nautischen Codex ist der Grund
bereits gelegt. Auf Veranlassung Bremens haben Bevollmächtigte der drei
eigentlichen Nordseestaaten. Hamburgs, Bremens und Oldenburgs, einen Ent¬
wurf zur Bundes-Seemannsordnung aufgesetzt und wiewohl die Berliner
Bureaukratie dazu vorläufig ein wenig scheel sehen soll, wird sie diese fremde
Initiative auf einem ihr selbst so fernliegenden Gebiet am Ende doch will¬
kommen heißen müssen, da sie die Erreichung des Zweckes jedenfalls be¬
schleunigt.

Wem aber die Handhabung der aufzustellenden Strafvorschriften anver¬
trauen? Den gewöhnlichen Gerichten? Das erklärt das Bewußtsein des See¬
mannsstandes, -- der von der erhöhten Verantwortlichkeit an sich keineswegs


Wirkung der Concurrenz sie bald ausmerzen und nur die rücksichtsloseren
zurücklassen.

Die Hilfe steht theils beim Publicum. theils beim Staat. Das Publi-
cum muß sich gewöhnen, nicht blos auf die geschwindeste, sondern auf die
zugleich geschwindeste und sicherste Fahrt Gewicht zu legen. Der Staat
ist zweifältig interessirt, als Inhaber der PostVerwaltung und als Wächter
des Rechts. In seiner ersteren Eigenschaft muß er es aufgeben, die Beför¬
derungsverträge allemal einfach mit derjenigen Linie abzuschließen, deren
Schiffe am schnellsten fahren; er muß in geeigneter Form zugleich ein sicheres,
vorsichtiges Fahren ausbedingen. Er am wenigsten ist befugt, über die
Sorge für promptest mögliche Beförderung von Briefen und Packeten die
Rücksicht auf die Gefährdung oder Sicherung von Menschenleben ganz außer
Acht zu lassen. Als Wächter des Rechts aber muß er darauf Bedacht neh¬
men, unmittelbar dem Capitän, mittelbar zugleich dem Rheder Vorsicht ein¬
zuschärfen, indem er jenen und subsidiarisch diesen ebenfalls zum Schadenersatz
für frevelhaft geopferte Leben oder gesunde Glieder von Mitmenschen heran¬
zieht. Die Sachverständigen stimmen ziemlich darin überein, daß dies das
wirksamste Mittel sein würde, um die vermeidlichen Dampfschissunfälle, Col-
lisionen mit Segelschiffen natürlich eingeschlossen, auf das niedrigste Maß
herabzudrücken. Man darf uns deshalb nicht auf das Handelsgesetzbuch ver¬
weisen, dessen vage Bestimmungen nach dieser Seite hin ohne allen Erfolg
geblieben sind, sondern man muß — eher noch, als für Eisenbahnen, Berg¬
werke und Fabriken — für diese Art von Unfällen eine erfolgreich geltend
zu machende Verantwortlichkeit statuiren-

Dazu ist es allerdings nicht unbedingt nöthig, daß das erwähnte, vom
Justizausschuß des Bundesraths in den Grundzügen vorgeschlagene Haftbarkeits¬
gesetz auf Seeschiffe ausgedehnt werde. Es läßt sich auch im Zusammenhang
mit der Bundes-Seemcmnsordnung thun, welche durch die seit längerer Zeit
bereits bestehende Gemeinschaft der deutschen Handelsflagge ohnehin eine Noth¬
wendigkeit geworden ist. Zu einem solchen nautischen Codex ist der Grund
bereits gelegt. Auf Veranlassung Bremens haben Bevollmächtigte der drei
eigentlichen Nordseestaaten. Hamburgs, Bremens und Oldenburgs, einen Ent¬
wurf zur Bundes-Seemannsordnung aufgesetzt und wiewohl die Berliner
Bureaukratie dazu vorläufig ein wenig scheel sehen soll, wird sie diese fremde
Initiative auf einem ihr selbst so fernliegenden Gebiet am Ende doch will¬
kommen heißen müssen, da sie die Erreichung des Zweckes jedenfalls be¬
schleunigt.

Wem aber die Handhabung der aufzustellenden Strafvorschriften anver¬
trauen? Den gewöhnlichen Gerichten? Das erklärt das Bewußtsein des See¬
mannsstandes, — der von der erhöhten Verantwortlichkeit an sich keineswegs


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[0510] Wirkung der Concurrenz sie bald ausmerzen und nur die rücksichtsloseren zurücklassen. Die Hilfe steht theils beim Publicum. theils beim Staat. Das Publi- cum muß sich gewöhnen, nicht blos auf die geschwindeste, sondern auf die zugleich geschwindeste und sicherste Fahrt Gewicht zu legen. Der Staat ist zweifältig interessirt, als Inhaber der PostVerwaltung und als Wächter des Rechts. In seiner ersteren Eigenschaft muß er es aufgeben, die Beför¬ derungsverträge allemal einfach mit derjenigen Linie abzuschließen, deren Schiffe am schnellsten fahren; er muß in geeigneter Form zugleich ein sicheres, vorsichtiges Fahren ausbedingen. Er am wenigsten ist befugt, über die Sorge für promptest mögliche Beförderung von Briefen und Packeten die Rücksicht auf die Gefährdung oder Sicherung von Menschenleben ganz außer Acht zu lassen. Als Wächter des Rechts aber muß er darauf Bedacht neh¬ men, unmittelbar dem Capitän, mittelbar zugleich dem Rheder Vorsicht ein¬ zuschärfen, indem er jenen und subsidiarisch diesen ebenfalls zum Schadenersatz für frevelhaft geopferte Leben oder gesunde Glieder von Mitmenschen heran¬ zieht. Die Sachverständigen stimmen ziemlich darin überein, daß dies das wirksamste Mittel sein würde, um die vermeidlichen Dampfschissunfälle, Col- lisionen mit Segelschiffen natürlich eingeschlossen, auf das niedrigste Maß herabzudrücken. Man darf uns deshalb nicht auf das Handelsgesetzbuch ver¬ weisen, dessen vage Bestimmungen nach dieser Seite hin ohne allen Erfolg geblieben sind, sondern man muß — eher noch, als für Eisenbahnen, Berg¬ werke und Fabriken — für diese Art von Unfällen eine erfolgreich geltend zu machende Verantwortlichkeit statuiren- Dazu ist es allerdings nicht unbedingt nöthig, daß das erwähnte, vom Justizausschuß des Bundesraths in den Grundzügen vorgeschlagene Haftbarkeits¬ gesetz auf Seeschiffe ausgedehnt werde. Es läßt sich auch im Zusammenhang mit der Bundes-Seemcmnsordnung thun, welche durch die seit längerer Zeit bereits bestehende Gemeinschaft der deutschen Handelsflagge ohnehin eine Noth¬ wendigkeit geworden ist. Zu einem solchen nautischen Codex ist der Grund bereits gelegt. Auf Veranlassung Bremens haben Bevollmächtigte der drei eigentlichen Nordseestaaten. Hamburgs, Bremens und Oldenburgs, einen Ent¬ wurf zur Bundes-Seemannsordnung aufgesetzt und wiewohl die Berliner Bureaukratie dazu vorläufig ein wenig scheel sehen soll, wird sie diese fremde Initiative auf einem ihr selbst so fernliegenden Gebiet am Ende doch will¬ kommen heißen müssen, da sie die Erreichung des Zweckes jedenfalls be¬ schleunigt. Wem aber die Handhabung der aufzustellenden Strafvorschriften anver¬ trauen? Den gewöhnlichen Gerichten? Das erklärt das Bewußtsein des See¬ mannsstandes, — der von der erhöhten Verantwortlichkeit an sich keineswegs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/510>, abgerufen am 17.06.2024.